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Die Kraft von Grün: Was Pflanzen für das Stadtklima leisten könnten

Es ist immer gut, einen Plan B zu haben. „Um eine Stadt abzukühlen, braucht es wirklich großflächige Maßnahmen.“ Eigentlich drängt Maja Zuvela-Aloise ja auf Klimaschutz. Auch weil sie weiß, dass „kleinräumige Initiativen auch nur kleinräumig etwas bringen“. Was, hat die Stadtklimaforscherin erforscht – Stichwort Plan B.

„Unsere Städte sind für dieses Klima nicht gemacht“ , sagt sie. „Hitzewellen kommen großräumig und können nicht beeinflusst werden, aber die Stadtstruktur verstärkt oder mindert die Effekte.“ Und sie gießt die Kraft von Grün in Zahlen: „Nutzt man in Wien alle für Dachbegrünung geeigneten Flächen und deckt die restlichen Dächer mit einem Material ab, das 70 Prozent der Sonnenstrahlung reflektiert, geht die Zahl der Tage mit mehr als 30 Grad in der Innenstadt 30 Prozent zurück.“

Andere Materialien, mehr Grün für Dächer und Fassaden sowie Wasserflächen lautet ihre Devise. Das Potenzial sei groß: „45 Prozent der Dächer in Wien sind begrünbar. Aber nur zwei Prozent sind derzeit tatsächlich bepflanzt.“ Damit ist Zuvela-Aloise aber auch schon fertig mit einfachen Antworten: „Alle Maßnahmen muss man im Kontext der Stadt anschauen, denn manches, was für den einen Ort passt, macht es an einem anderen möglicherweise schlimmer.“

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Plus 7,6 Grad?

Es ist kompliziert, das zeigt sich auch an der Studie der ETH Zürich, die dieser Tage nicht nur die Gemüter erhitzte: Die Schweizer Forscher haben berechnet, wie sehr sich  große Städte in Folge des Klimawandels bis 2050 erwärmen werden. Für Wien prognostizieren sie ein plus  von  7,6 Grad Celsius. Dazu muss man laut Zuvela-Aloise Folgendes wissen: „Die Kollegen der ETH haben die maximale Temperatur des wärmsten Monats herangezogen“, erklärt sie. Sie errechneten eine Erhöhung der durchschnittlichen Jahrestemperatur um 2,3 Grad Celsius. Die Studie sei mit ihren Daten schwer vergleichbar: Sie haben als Basis globale Modelle genommen, während die Stadtklimaforscherin regionale Modelle heranzieht.  „Unsere Studien zeigen ebenfalls eine Erwärmung, allerdings keine so extreme. Wir gehen für 2050 von einem Anstieg von fünf Hitzetagen im Jahr aus.“ Außerdem sieht sie ein Temperaturplus von 2,9 Grad im Jänner und 2,2 Grad im Juli voraus. So oder so: „Begrünung ist  überall ein Thema.“

Azra Korjenic ist eindeutig die richtige Adresse für grüne Fassaden: Seit Jahren erprobt, misst und simuliert die Bauingenieurin von der Technischen Universität Wien die verschiedensten Fassaden-Begrünungsstrategien. Alle fünf Minuten hat sie Wärmeströme sowie andere bauphysikalische Daten bestimmt – „einmal im Bereich ohne und einmal mit Begrünung“. Dann wurden alle Daten in Simulationsprogramme eingespeist.

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Korjenic: „Dass Fassadenbegrünung zu Verbesserungen führt, steht mittlerweile außer Zweifel“. Im Sommer werden Räume und Höfe deutlich kühler, weil Pflanzen die Wärme draußen halten. Durch die Verdunstung von Wasser tragen sie auch zur allgemeinen Kühlung bei. Egal, ob das Haus der MA 48, der MA 31, das Boutiquehotel Stadthalle oder die Schule in der Wiener Kandlgasse: Frau Professor hat „alle Systeme, die in Österreich erhältlich sind, untersucht“. Fest steht: Pflanzen direkt vor der Fassade machen ein anderes Mikroklima. Die Faustregel dabei: „Wenn ein Gebäude nicht gedämmt ist, bringt die Begrünung viel, ist es gedämmt weniger“, sagt Korjenic. Sind Fassaden komplett grün, heizen sich die Betonbauteile weniger auf, die Strahlung in einem Straßenzug entfällt – das Mikroklima wird angenehmer und kühler.

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Das einfachste Konzept ist, Kletterpflanzen an der Fassade wachsen zu lassen, doch es gibt bauphysikalisch deutlich wirkungsvollere Techniken. Man kann vor der Wand eine zweite Fassade aus Alu-Pflanzentrögen errichten. Oder feste Fasermatten, etwa aus Steinwolle-Platten, mit integriertem Substrat und Befeuchtungsanlage, anbringen. Oder Alukassetten – ebenfalls mit Bewässerungsschläuchen und Substrat – montieren. Problem ist der Preis: Billiger als 700 € pro m² wird es nicht.

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Katzenminze und Schafgarbe

Korjenic erforscht auch, welche Pflanzen geeignet sind: Katzenminze etwa oder Federnelke, Schleifenblume oder Schafgarbe – „für außen macht man immer eine Mischung. Wir benutzen viele Gräser, Stauden und Kräuter“. Alle Fragen kann die Bauingenieurin noch nicht final beantworten. „Die Stadt möchte überall dort, wo es die Gehsteig-Breite erlaubt, direkt an der Wand Schlitze machen, aus denen Kletterpflanzen die Fassade hochranken. Das wäre die einfachste und billigste Lösung“, erzählt sie und sorgt sich wegen der Feuchte um das Mauerwerk. „Wir haben unsere Sensoren an drei Objekten installiert – einem Betonbau, einem Ziegelbau und einem Mischmauerwerk, allesamt Altbauten ohne Dämmung.“ Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Beton sich nicht beeindrucken lässt, auch Ziegel scheint geeignet, Mischmauerwerk weniger. Ehe sie ihr OK gibt, wird aber alles noch im Labor überprüfen.

Unterdessen verweist Klimaforscherin Zuvela-Aloise darauf, dass auch die Gebäudegeometrie eine Gratwanderung sei: „Die Häuser sollen dicht an dicht stehen, damit sie unter tags beschattet sind, aber nicht zu dicht, damit sie sich in der Nacht abkühlen können.“ Woraus wir lernen: Von der Wissenschaft dürfen wir uns keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen erwarten.