Neuer Stahlboom bringt deutschen Herstellern wieder Gewinne
Jahrelang herrschte in der deutschen Stahlindustrie Krisenstimmung: Die Preise fielen, die Verluste türmten sich in schwindelerregende Höhen. Allein der deutsche Branchenführer Thyssenkrupp Steel machte im vergangenen Geschäftsjahr ein Minus von fast einer Milliarde Euro.
Seit der Erholung der Weltwirtschaft vom Coronaschock hat sich das Blatt aber gewendet: Die Nachfrage ist sprunghaft gestiegen - die Preise sind es ebenso.
Stahl häufig Mangelware
Stahl ist in vielen Bereichen zur Mangelware geworden, und das schlägt sich im Geschäft nieder. Thyssenkrupp meldete am Mittwoch nach langer Durststrecke wieder schwarze Zahlen bei seinem Traditionsprodukt. Deutschlands zweitgrößter Anbieter Salzgitter berichtete bei der Vorlage der Halbjahreszahlen sogar vom höchsten Vorsteuergewinn seit 13 Jahren.
Der neue Stahlboom ist keine deutsche Besonderheit. Für Europas größten Stahlkonzern Arcelormittal war das zweite Quartal nach eigenen Angaben "das beste seit 2008".
Rekordergebnis
Die Produzenten konnten in den vergangenen Monaten oft höhere Preise bei Abnehmern etwa aus der Autoindustrie oder dem Maschinenbau erzielen. In der Baubranche wurden Komponenten mit den wichtigen Metall-Legierungen mancherorts knapp. VW-Konzernchef Herbert Diess sprach kürzlich von einem "starken Rohstoffpreis-Anstieg" - und die Steigerungen könnten sich bald teils auch in den Fahrzeugpreisen wiederfinden, sie ließen sich wahrscheinlich nicht ganz auffangen.
Bei Thyssenkrupp profitierte laut Finanzvorstand Klaus Keysberg zunächst vor allem der Werkstoffhandel mit einem Rekordergebnis von den "enorm gestiegenen Stahlpreisen". Thyssenkrupp Steel, die Stahlsparte des Revierkonzerns, schaffte nach drei Vierteln des am 30. September endenden Geschäftsjahres beim operativen Ergebnis ein Plus von 87 Millionen Euro. Im Vorjahr war hier noch ein Minus von 617 Mio. Euro gestanden. Auf die Stahlsparte entfällt ein gutes Viertel des Gesamtumsatzes des Konzerns.
Gutes Geschäft für Salzgitter
Noch besser lief es beim kleineren Konkurrenten Salzgitter. Der Konzern konnte im laufenden Geschäft das Minus von rund 128 Mio. Euro aus der ersten Hälfte des Vorjahres in ein Plus von knapp 306 Mio. Euro drehen. Nach Steuern blieben etwa 231 Mio. Euro, nach einem Fehlbetrag von 145 Mio. Euro 2020.
Bei Thyssenkrupp Steel komme der Preisanstieg wegen langfristiger Lieferverträge erst zeitverzögert an, sagte Keysberg. "Der positive Ergebniseffekt wird kommen. Wir werden ihn bei uns nur später sehen als beim Wettbewerb." Die gestiegenen Preise würden jetzt in die neuen Verträge mit der Autoindustrie umgesetzt.
Stahlmarkt-Analyst David Varga von der Privatbank Metzler erwartet deshalb, dass das nächste Geschäftsjahr 2021/22 für Thyssenkrupp Steel "zumindest das beste der vergangenen 13 Jahre werden" könnte.
Personalkürzungen
Der Stahl- und Industriekonzern konnte seine Erholung im dritten Geschäftsquartal fortsetzen. Unterm Strich blieb insgesamt ein Gewinn von 125 Mio. Euro hängen, nach einem Verlust von 678 Mio. Euro im Vorjahresquartal. Dazu tragen aber auch erhebliche Personalkürzungen bei: Von den 12.000 Stellen, die Thyssenkrupp streichen will, seien bereits 6.900 abgebaut, sagte Keysberg.
Wie lange wird der Boom im zyklischen Stahlgeschäft anhalten? Das Wirtschaftsforschungsinstitut RWI weist auf Risiken hin. Die aktuell günstigen Faktoren dürften "nur temporär wirken", heißt es im jüngsten RWI-Konjunkturbericht.
Herausforderungen bleiben
Die großen Herausforderungen für die deutsche Stahlindustrie blieben bestehen. Die Autoindustrie, der wichtigste Stahlverwender, sei in einem Umstrukturierungsprozess. Die Gewichte im globalen Stahlmarkt verschöben sich weiter in Richtung China. Und die Umstellung auf eine "grüne" Stahlproduktion erfordere Milliardeninvestitionen, die die Unternehmen aus eigener Kraft wohl kaum stemmen könnten.
Doch ausgerechnet vom großen Rivalen China, dem die europäischen Hersteller in den vergangenen Jahren unfaire Praktiken vorgeworfen hatten, kommt Entlastung. Die Regierung in Peking hatte unter anderem Steuererleichterungen für Stahlexporte gestrichen.
Zusammen mit den Schutzmaßnahmen der EU könne das dafür sorgen, dass die deutschen Hersteller "die Marktanteile zurückgewinnen, die sie in der Vergangenheit an Importeure verloren haben", schätzt Stahl-Analyst Varga. Die Stahlpreise blieben zwar wohl nicht dauerhaft auf dem jetzigen Niveau. "Wir werden in den 2020er Jahren aber deutlich höhere Preise haben als im vergangenen Jahrzehnt."