Wirtschaft/Immo

Neue Bauordnung: Schutz für alte Substanz

„Pfiat eich. Das Restaurant Sperl schließt.“ Mit dieser Facebook-Zeile informierte Wirt Karl Sperl seine Gäste Mitte Juni vom Ende des Restaurants Sperl in Wien-Wieden. 93 Jahre lang gab es das Gasthaus, oder besser: die Institution. So verwundert es nicht, dass dessen Aus beinahe die ganze Stadt bewegt. „Im Gastgewerbe hat sich sehr viel geändert und es ist alles sehr schwer geworden“, so Karl Sperl. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Wirt das zweistöckige Biedermeier-Gebäude bereits verkauft. Weitere Überraschung für Gäste und Anwohner: Nur ein paar Tage nach der endgültigen Sperrstunde wurde das Gebäude diese Woche abgerissen.

Der neue Eigentümer hatte es nicht ohne Grund besonders eilig. Denn am Donnerstag zog der Wiener Landtag Teile aus der eigentlich für Herbst geplanten Novelle der Wiener Bauordnung zur Beschlussfassung vor – als Vorsichtsmaßnahme, um überstürzte Abbrüche zu verhindern. Für das Sperl-Biedermeier-Haus kommt diese Maßnahme dennoch zu spät, es konnte damit nicht mehr gerettet werden.

Gebäude, die vor 1945 errichtet wurden, dürfen ab Anfang Juli nur mehr mit einer Prüfung durch die Stadt (MA 19) abgerissen werden. Das gilt auch für Objekte außerhalb der Schutzzonen. Damit will die Stadt den Bestand an alter Bausubstanz besser schützen. „Mit der neuen Regelung in der Bauordnung schieben wir den zunehmenden Begehrlichkeiten von Immobilienspekulanten, mit Abbrüchen viel Geld zu machen, einen Riegel vor“, sagt die neue Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal.

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Genauso wie das Sperl-Haus wurden eine Handvoll anderer Objekte in den vergangenen Tagen Hals über Kopf dem Boden gleich gemacht – noch schnell bis zum endgültigen Inkrafttreten der neuen Regelung. Zu Redaktionsschluss stand aufgrund von behördlichen Fristen noch nicht fest, ab welchem Tag genau Anfang Juli die Regelung gilt. „In den vergangenen Tagen häufen sich die Mitteilungen über Abrisse“, sagt jedenfalls Markus Landerer von der Initiative Denkmalschutz.

Unter Beobachtung von Seiten der Initiative Denkmalschutz stehen mehr als zehn Häuser, die akut bedroht sind. Wie etwa ein Haus in der Radetzkystrasse im Bezirk Landstrasse. Obwohl darin noch Mieter mit unbefristeten Mietverträgen leben, begann der Abriss des Hauses. Ein Investor will an dem Platz ein Luxusprojekt namens „Die Goldene Linde“ errichten. Die Verkaufsunterlagen finden sich bereits im Internet. Das Haus ist ein so genanntes Frühgründerzeithaus aus 1847 und besitzt eine bemerkenswerte neogotische Formensprache.

Ebenso besorgniserregend ist der bevorstehende Abbruch eines Gründerzeit-Ensembles mit einer geschlossenen Fassade am Mariahilfer Gürtel und ein Biedermeier-Haus in der Zieglergasse in Neubau. In den sozialen Netzwerken werden die Abrisse teils dokumentiert. Auch Protestaktionen fanden statt: Beim Sperl organisierten die Grünen einen Flashmob.

Sobald die neue Regelung gültig ist, wird die Baupolizei ab dem ersten Tag alle in Abriss befindlichen Gebäude und Baustellen akribisch kontrollieren. „Wenn relevante Gebäudeteile dann noch stehen, werden wir eine Einstellung des Abrisses verfügen“, betont Gerhard Cech, Leiter der Wiener Baupolizei.

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In diesem Fall müssen die Gebäudeeigentümer den Abbruch gemäß der neuen Regelung genehmigen lassen. Voraussetzung für eine Genehmigung ist, dass kein öffentliches Interesse am Erhalt des Bauwerks besteht. Auch bei einer „wirtschaftlichen Abbruchreife“ kann eine Genehmigung seitens der Stadt erteilt werden.

Wird keine Genehmigung für einen begonnenen Abbruch erteilt, könnte der Eigentümer am Ende verpflichtet werden, zerstörte Teile rückzubauen.

Die Stadt Wien will mit der Novelle der Bauordnung Abrisse zwar nicht komplett verbieten, wohl aber erheblich erschweren. Laut Erhebungen von Otto Immobilien ist der Bestand an Wiener Zinshäusern seit 2009 um etwas mehr als 1000 Gebäude gesunken. Vor allem durch die Begründung von Wohnungseigentum, aber auch aufgrund von Abrissen. Wohnbaustadträtin Gaal: „Gerade für eine moderne und wachsende Metropole ist es wichtig, dass wir unsere schönen und historisch gewachsenen Grätzel bewahren.“

Fraglich ist, ob die Stadt mit der Novelle ihr Ziel erricht. Michael Pisecky, Fachgruppenobmann der Wiener Immobilientreuhänder meint: „Ein Abrissverbot ist keine Lösung, sondern führt lediglich zum Komplettverfall. Solange die Einnahmen bei diesen Gebäuden nicht an ein wirtschaftliches Niveau herangeführt werden, sind Wiens Gründerzeithäuser mittelfristig dem Untergang geweiht.“

Im Klartext heißt das: Wenn Eigentümer aufgrund des strengen Richtwertzinses keine höheren Mieten verlangen dürfen, rechnet sich eine Sanierung des Altbestands nicht.

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„Im 60er-Jahre Haus, das auch alt ist, können Mieten frei vereinbart werden. In Zinshäusern, die oft attraktive Wohnflächen haben, geht das nicht. Das entspricht einer Ungleichbehandlung im Gesetz“, sagt auch Landerer von der Initiative Denkmalschutz. Er fordert daher eine Änderung des Mietrechts. Zudem pocht die Initiative auf eine Aufstockung des Altstadterhaltungsfonds sowie steuerlicher Anreize für Zinshaus-Besitzer.

Karl Sperl ist nach einem arbeitsamen Wirten-Dasein und dem lukrativen Verkauf gelassen: „Ich freue mich trotzdem auf ein ruhigeres Leben, auch wenn es den Grünen ein Dorn im Auge ist“, ließ er kurz vor der Schließung über Facebook wissen.