EZB-Direktorin: Krisen-Anleihenprogramm derzeit ausreichend
EZB-Direktorin Isabel Schnabel sieht trotz des jüngsten Anstiegs der Coronazahlen keinen Bedarf für eine erneute Aufstockung des Krisen-Anleihenprogramms PEPP. Die Konjunktur-Projektionen spielten natürlich eine wichtige Rolle, sagte die deutsche Ökonomin der Nachrichtenagentur Reuters in einem am Montag veröffentlichten Interview: "Aber im Moment sieht der Rahmen beim PEPP angemessen aus."
Wirtschaftsdaten stützten im Großen und Ganzen das im Juni veröffentlichte konjunkturelle Basisszenario der Währungshüter. Die Unsicherheit bleibe außergewöhnlich hoch. "Aber insgesamt, denke ich, dass wir uns weiterhin nahe der Basisannahmen befinden." Ähnlich hatte sich zuvor bereits EZB-Chefvolkswirt Philip Lane geäußert. Die nächste Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) steht am 10. September an.
Die Währungshüter hatten im Juni ihr "PEPP" getauftes Krisen-Anleihekaufprogramm um 600 Milliarden auf nunmehr 1,35 Billionen Euro aufgestockt. Zugleich verlängerten sie die Laufzeit ihres wichtigsten Krisen-Instruments zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Pandemiefolgen bis Ende Juni 2021.
"Solange das Basis-Szenario intakt bleibt, gibt es keinen Grund die geldpolitische Ausrichtung zu ändern", sagte Schnabel. Die deutsche Ökonomin ist im sechsköpfigen EZB-Führungsteam für das wichtige Ressort Marktoperationen und damit für die konkrete Umsetzung der Geldpolitik zuständig. Es sei zwar ein Wiederaufflammen der Infektionen zu beobachten. Zu einem erneuten kompletten Lockdown der Wirtschaft - wie auf dem Höhepunkt der Krise - werde es aber wahrscheinlich nicht kommen.
Ausgehend von den Juni-Projektionen der Notenbank rechnet Schnabel damit, dass der Kaufrahmen des PEPP-Programms auch voll ausgeschöpft werden wird. Natürlich könne es Überraschungen geben - positive wie negative. Dann müsse die Notenbank womöglich die geldpolitische Ausrichtung überdenken: "Aber im Moment ist das nicht absehbar."
Die EZB rechnet gemäß ihren Juni-Projektionen im dritten Quartal mit einem kräftigen Wachstum im Euroraum von 8,3 Prozent. Zugleich geht sie aber davon aus, dass sich die Wirtschaft nur allmählich wieder dem Vorkrisenniveau annähert. Im zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 12,1 Prozent eingebrochen - der stärkste Rückgang seit Beginn der Statistik 1995.
Die zuletzt etwas gesunkenen Kaufvolumina beim PEPP-Programm sollten Schnabel zufolge nicht überbewertet werden. Saisonale Einflüsse spielten eine Rolle, aber auch das Börsenumfeld. Sie wies zudem darauf hin, dass sich die Finanzierungsbedingungen deutlich verbessert hätten. Außerdem seien die Risikoaufschläge (Spreads) bei den Euro-Staatsanleihen substanziell geringer geworden: "Das ist zu einem guten Teil auf unsere geldpolitischen Schritte zurückzuführen."
Die Gefahr einer Fragmentierung im Euroraum - ein Auseinanderdriften der Währungsunion - habe abgenommen. Dabei spielten aber auch die fiskalpolitischen Maßnahmen, vor allem auf der europäischen Ebene, eine sehr wichtige Rolle.
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich im Juli nach zähem Ringen auf einen 750 Mrd. Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds für besonders von der Pandemie betroffene Staaten geeinigt. Zur Finanzierung der Hilfen wird der EU-Kommission erstmals erlaubt, in größerem Umfang Schulden aufzunehmen.
Die Einführung von Freibeträgen bei den Strafzinsen für Banken wertete Schnabel als geldpolitischen Erfolg. Das Ausmaß an Unterstützung für die Wirtschaft sei dadurch beibehalten worden bei gleichzeitig geringeren Belastungen für die Institute. Aktuell liegt der sogenannte Einlagesatz bei minus 0,5 Prozent. Vor dem Hintergrund der Coronakrise kamen aus der Bankenbranche Forderungen nach höheren Freibeträgen.
Im Augenblick schaue sich die Notenbank an, wie sich die bisherigen Beschlüsse auswirkten, sagte Schnabel. Eine Anpassung der entsprechenden Parameter sei noch nicht diskutiert worden. "Wir beobachten das und es mag einen Punkt geben, an dem wir entscheiden, etwas zu tun, aber dieser Punkt ist noch nicht gekommen."
Zum jüngsten Kursanstieg des Euro gegenüber dem Dollar äußerte sich die frühere deutsche Wirtschaftsweise eher gelassen. Forschungen hätten gezeigt, dass eine Abwertung des Dollar tendenziell den globalen Handel und das globale Wachstum antreibe.
Selbst wenn es daher einen Wettbewerbseffekt für die Firmen im Euroraum gebe, so könne die Auswirkung auf den globalen Handel dies womöglich ausgleichen: "Gegenwärtig mache ich mir keine allzu große Sorgen über Wechselkursentwicklungen."