Die Austro-Türken leiden unter Erdoğan
Unter türkischen Wirtschaftstreibenden gärt es im Vorfeld der vorgezogenen Neuwahlen in der Türkei. Die dortige Wirtschaft gilt auch wegen des politischen Kurses des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als angeschlagen.
Doch wie ist die Stimmung türkischer Unternehmer in Österreich und wie schlagen sie sich im hiesigen Wettbewerb? Das Gros von ihnen befindet sich in Wien und ist im Handel, Gewerbe und Dienstleistungsbereich vertreten, sagt Margarete Gumprecht, Obfrau des Gremiums Lebensmittelhandel in der Wirtschaftskammer Wien. Neben dem Lebensmittelhandel sind Türken vor allem als Änderungsschneider, Friseure, Taxiunternehmer, Gartenpfleger, Handyshop-Betreiber, Installateure und Gastronomen tätig. Allein im Lebensmittelhandel gibt es in Wien an die 400 türkische Unternehmen. Die Zahl stagniere seit zwei Jahren, meint Gumprecht, großes Wachstum habe in den 15 Jahren davor stattgefunden. „Der Plafond scheint erreicht zu sein, der Markt ist gesättigt“, so die Obfrau.
Sie rechnet nicht damit, dass sich die Zahl drastisch verändern wird, allerdings könnte es strukturelle Bewegung geben, etwa dass sich größere Ketten weiter ausbreiten und kleinere Marktteilnehmer verdrängen.
Quereinsteiger
Bei türkischen Unternehmern handle es sich oft um Quereinsteiger. So habe der Gründer der Supermarktkette Etsan laut Gumprecht früher bei der Müllabfuhr gearbeitet, ehe er eine Prüfung als Fleischer abgelegt und mit dem Handel durchgestartet sei. „Es handelt sich jedenfalls um sehr fleißige und aktive Menschen“, so Gumprecht.
Allerdings gebe es auch schwarze Schafe, etwa jene, die illegal am Sonntag oder spätabends offenhielten. Es gebe zwar viele Schwerpunktkontrollen, doch wenn einer seinen Gewerbeschein verliere, sperre eben sein Schwager das Geschäft wieder auf. Allerdings rege sich auch unter türkischen Unternehmern Unmut über diese Praxis, da es jenen, die regulär offenhalten, Umsatz koste. Dass türkische Geschäfte oder Dienstleister oft niedrigere Preise verlangen, erklärt sie sich durch günstigeres Personal. „Wahrscheinlich zahlen sie ihren Leuten nicht so viel.“
Sorge über Türkei
„Viele Menschen aus der Türkei beginnen bei null und schaffen es durch Arbeit und den Zusammenhalt der Familie, etwas aufzubauen“, sagt Birol Kilic, Obmann der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich. Sie würden nicht von Sozialhilfe leben, sondern Arbeitsplätze schaffen. In den letzten Jahren gehe der Trend in Richtung Start-ups. Türken sind laut Kilic auch in der IT-Branche unterwegs und würden Technologie-Unternehmen, Ingenieur- und Architektenbüros betreiben. Ihre Stärken seien Unternehmergeist, Mut und Fleiß, die Schwächen politische und religiöse Abhängigkeit und die Entwicklungen im Nahen Osten.
Größte Sorgen der türkischen Unternehmer seien Lohnnebenkosten, Wettbewerb, schlecht qualifiziertes Personal sowie die Entwicklungen und Beeinflussungen aus der Türkei. Diese führen in Österreich dazu, dass sich Türken, die damit nichts zu tun haben, vorverurteilt fühlen. Es sei die Mehrheit der österreichischen Türken, welche die Vorgänge am Bosporus mit großer Sorge und Trauer verfolgen. Besonders die Tatsache, wie eine halbwegs säkulare türkische Republik eine ziemlich reaktionäre Gestalt in den letzten Jahren angenommen habe.
Sie wünschten sich eine wirtschaftlich starke Türkei, die demokratisch rechtsstaatlich sei und in der die Kräfteteilung im Staat wiederhergestellt werde, damit wirtschaftliche Beziehungen und gegenseitige Investitionen steigen. „Andererseits existiert mit Sicherheit ein Teil von Anhängern dieser reaktionären Kräfte auch in Österreich“, sagt Kilic.