Sport/Wintersport

Rücktritt: Der stille Abschied von Skisprungstar Gregor Schlierenzauer

Es ist in den letzten Jahren immer stiller geworden um Gregor Schlierenzauer. Dermaßen still, dass zwangsläufig Stimmen laut wurden, dass der beste Skispringer der Weltcup-Geschichte wohl bald einmal einen Schlusspunkt unter seine Karriere setzen würde.

Nachdem er, der jahrelang als Lichtgestalt und Superstar das Skispringen überstrahlt hatte, im letzten Winter nur mehr ein Schatten seiner selbst war und mit acht Weltcuppünktchen zu Saisonende auf Rang 65 aufschien.

Nachdem er sich im Februar die zweite schwere Knieverletzung seiner Laufbahn (Teilruptur des vorderen linken Kreuzbandes) zugezogen hatte.

Nachdem er im Frühjahr schließlich nicht mehr im offiziellen Kader des Österreichischen Skiverbandes aufschien und auch die Zusammenarbeit mit seinem Kopfsponsor ein Ende nahm.

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Am Dienstag Vormittag wurde nun offiziell, was viele bereits geahnt hatten und was einige Skisprung-Insider bereits seit Wochen wissen. Der beste Skispringer der Weltcupgeschichte bleibt fortan am Boden und beendet seine Karriere.

Dieser Schritt war nur eine Frage der Zeit. Eine Frage des richtigen Zeitpunkts und der richtigen Worte. Gregor Schlierenzauer, der Mann, der stets für große Schlagzeilen gesorgt hatte, wählte nicht die riesige Bühne, sondern er entschied sich für den den stillen Weg. Über die sozialen Netzwerke nahm er quasi durch die Hintertür Abschied.

Gregor Schlierenzauer (*7.Jänner 1990) prägte ein Jahrzehnt lang den Skisprungsport und stellte etliche Bestmarken auf. Er war erst 16 und ein absoluter Rookie, als er 2006 in Lillehammer sein erstes Weltcupspringen gewann. Es sollten 52 weitere Weltcupsiege folgen, in Lillehammer schloss sich 2014 der Kreis. Dort feierte Schlierenzauer seinen 53. und letzten Weltcuperfolg.

53 Weltcupsiege Damit ist der Stubaier die unangefochtene Nummer 1 der Bestenliste im Weltcup. Schlierenzauer überflügelte den mittlerweile verstorbenen Finnen Matti Nykänen (46 Weltcupsiege).

2 Weltcup-Gesamtsiege Erstaunlich, dass sich Gregor Schlierenzauer trotz seiner vielen Weltcupsiege nur zwei Mal die große Kristallkugel sichern konnte. Doch er hatte in seinen besten Jahren in Thomas Morgenstern (AUT) und Simon Ammann (SUI) auch große Konkurrenten. In den Saisonen 2008/'09 und 2012/'13 gewann er den Gesamtweltcup.

4 Olympia-Medaillen 2010 wurde Schlierenzauer in Vancouver Olympiasieger mit der Mannschaft, das große Karriereziel, eine Einzelgoldmedaille, blieb ihm allerdings verwehrt. In Vancouver holte er auf der Normal- und der Großschanze jeweils Bronze, 2014 in Sotschi gehörte er dem österreichischen Team an, das auf Rang zwei landete.

12 WM-Medaillen Gregor Schlierenzauer ist ein sechsfacher Weltmeister seines Faches. Der größte Triumph gelang ihm 2011 in Oslo mit dem WM-Titel auf dem berühmten Holmenkollen. Zwischen 2007 und 2013 holte er fünf Mal mit der österreichischen Mannschaft WM-Gold. 2009 und 2013 wurde er Vizeweltmeister auf der Normalschanze, 2015 gelang ihm mit WM-Silber auf der Großschanze in Falun der letzte große persönliche Erfolg. Dazu kommen noch drei weitere Mannschaftsmedaillen.

2 Tourneesiege Auch bei der prestigeträchtigen Vierschanzentournee war der 31-Jährige erfolgreich. In der Saison 2011/'12 konnte Schlierenzauer das erste Mal den Schanzen-Klassiker für sich entscheiden und wiederholte im Jahr darauf seinen Triumph.

5 Skiflug-WM-Medaillen Skifliegen war stets die große Leidenschaft des Tirolers, der 2008 in Oberstdorf den WM-Titel gewann und mit der Mannschaft drei Mal Team-Weltmeister wurde. 2010 holte er Einzel-Silber.

 

"Die letzten Monate waren für mich herausfordernd. In positiver Hinsicht. Durch die Verletzungspause, hatte ich ausreichend Zeit und den nötigen Abstand, um Vergangenes aufzuarbeiten und zu schauen, wo ich jetzt stehe. Meine aktive Karriere zu beenden ist mir nach all dem, was ich als Spitzensportler erleben durfte, nicht leicht gefallen - aber die Entscheidung fühlt sich ebenso wie der Zeitpunkt richtig an", schreibt Schlierenzauer in seinem Blog.

"Mein Feuer, das immer voll und ganz für den Sport brannte, brennt jetzt für neue Aufgaben, die da sind und die auf mich warten. Ich schlage dieses neue Kapitel mit Leidenschaft auf, bin voller Tatendrang und Neugierde", sagt Schlierenzauer in seinem Blog.

31 Jahre sind kein Alter, um seine Skisprungkarriere zu beenden. Der Pole Kamil Stoch, mit 39 Weltcupsiegen der erste Verfolger von Rekordmann Schlierenzauer (53 Erfolge), der noch aktiv ist, hat 34 Jahre auf dem Buckel und gehört noch immer zu den Stars der Szene. Simon Ammann, der vierfache Olympiasieger aus der Schweiz und jahrelang einer der größten Konkurrenten Schlierenzauers, wurde im Sommer 40 und springt noch immer über die Schanzen. "Die Freude am Skispringen ist immer noch groß", meint der Routinier.

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53 Gregor Schlierenzauer (AUT/Karriereende)

46 Matti Nykänen (FIN/2019 verstorben)

39 Kamil Stoch (POL/noch aktiv)

     Adam Malysz (POL/Karriereende)

36 Janne Ahonen (FIN/Karriereende)

33 Jens Weißflog (GER/Karriereende)

28 Martin Schmitt (GER/Karriereende)

25 Andreas Felder (AUT/Karriereende)

23 Simon Ammann (SUI/noch aktiv)

     Peter Prevc (SLO/noch aktiv)

     Thomas Morgenstern (AUT/Karriereende)

22 Severin Freund (GER/noch aktiv)

21 Stefan Kraft (AUT/noch aktiv)

20 Andreas Goldberger (AUT/Karriereende)

Gregor Schlierenzauer vermittelte in den vergangenen Jahren nicht mehr den Eindruck, dass ihm das Skispringen immer großen Spaß bereitet hätte. Je länger seine Karriere dauerte, desto mehr wurde der Seriensieger, Weitenjäger und Überflieger zu einem Ottonormalskispringer degradiert. Die Kluft zwischen seinen hohen Ansprüchen und der Wirklichkeit wurde zusehends größer - und damit auch der Frust des Stubaiers, der es in den Anfangsjahren seiner Karriere gewohnt war, in anderen Sphären zu schweben.

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Man kann Gregor Schlierenzauer nicht vorwerfen, dass er nicht alles versucht hätte, um wieder zu alter Stärke zu gelangen. Er ging neue Wege, er wechselte mehrfach seine Privatbetreuer, er engagierte vor zwei Jahren mit dem langjährigen deutschen Erfolgscoach Werner Schuster sogar jenen Trainer, der ihm in Jugendjahren im Skigymnasium Stams auf die Sprünge geholfen hatte.

Allein, der Erfolg wollte sich nicht mehr einstellen. Am 6. Dezember 2014 hatte Gregor Schlierenzauer in Lillehammer den letzten seiner 53 Weltcupsiege gefeiert. An jenem Ort, auf jener Schanze, wo er fast auf den Tag genau acht Jahre zuvor im Alter von 16 Jahren sein erstes Weltcupspringen gewonnen hatte.

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In diesen acht Jahren zwischen seinem ersten und seinem letzten Weltcupsieg schwebte Gregor Schlierenzauer fast durchgehend auf Wolke sieben, die Trophäen schienen ihm nur so zuzufliegen. Bis auf eine: Der Einzel-Olympiasieg blieb dem Ausnahmekönner vorenthalten. Gregor Schlierenzauer sollte nur mit der Mannschaft Olympiasieger werden (2010 in Vancouver).

Trotzdem ist dem Tiroler der Platz in den Geschichtsbüchern des Sports sicher. Die 53 Weltcupsiege, die Gregor Schlierenzauer erreicht hat, wird so schnell kein Springer überflügeln.