Vor einem Jahr: Trauer um David Lama
Von Christoph Geiler
Wer im 21. Jahrhundert Kolumbus spielen möchte, muss wohl Astronaut werden – oder Alpinist. Denn ich glaube, dass man den eigenen Entdeckergeist gerade in den Bergen heute noch ausleben kann.
Wer
David Lama verstehen wollte, der musste mit ihm ins Gespräch kommen. Interviews mit ihm dauerten oft mehrere Stunden. Nicht nur, weil er so viel zu erzählen hatte. David Lama hatte vor allem auch viel zu sagen.
Und dabei präsentierte er sich gänzlich anders, als es die aufsehenerregenden Videos und Fotos, die es von ihm und seinen Expeditionen gibt, vielleicht vermuten lassen würden.
David Lama war weder Hasardeur noch Adrenalinjunkie, und er war alles andere als leichtsinnig und lebensmüde – dafür liebte er das Leben zu sehr.
An diesem Donnerstag jährt sich zum ersten Mal der Tod des Ausnahme-Alpinisten aus Götzens. Am 16. April 2019 waren David Lama und seine Kameraden Hansjörg Auer (Ötztal) und Jess Roskelley (USA) beim Abstieg vom Howse Peak im Banff-Nationalpark (Kanada) von einer Lawine mitgerissen worden. Zuvor hatten die drei den Gipfel über eine neue Route bestiegen, wie ein Handyfoto beweist.
David Lama wurde keine 30 Jahre alt. Er starb in einem Alter, in dem viele Alpinisten gerade erst anfangen, die ersten Karriereschritte zu setzen. Die wenige Zeit hat Lama aber gereicht, um den Klettersport und den Alpinismus nachhaltig zu prägen und quer über den Planeten seine Spuren zu hinterlassen.
Der Sohn eines Nepalesen war seinerzeit der jüngste Weltcupsieger im Sportklettern und mit 16 Jahren bereits Europameister. Weil ihm das Kraxeln in der Halle bald zu langweilig wurde, verlegte David Lama seine Aktivitäten früh ins Hochgebirge. Immer wieder gelangen ihm dabei spektakuläre Erstbesteigungen, und kaum hatte er einen Gipfelsieg gefeiert, nahm er schon die nächste Herausforderung ins Visier.
"Er wollte nie Zeit verlieren", sagte Reini Scherer bei seiner berührenden Rede anlässlich der Gedenkfeier im Sommer 2019. Tausende Menschen hatten sich damals am Hoadlhaus in der Axamer Lizum eingefunden, um von David Lama Abschied zu nehmen. Die Lichterkette reichte kilometerweit bis zur Hochtennspitze, einem der Lieblingsberge des Tirolers.
Reini Scherer war einer der Wegbegleiter und Freunde von David Lama. Der Osttiroler trainierte David Lama und all die anderen Innsbrucker Ausnahmekletterer wie Jakob Schubert oder Katharina Saurwein in jungen Jahren und hatte großen Anteil am Aufschwung der Sportart. Ohne Reini Scherer und ohne David Lama würde es das hochmoderne Kletterzentrum in Innsbruck heute in dieser Form vermutlich gar nicht geben.
"Es musste bei ihm immer alles so schnell gehen", sagte Scherer bei der Gedenkfeier. "Es wäre für ihn schade gewesen, die Zeit zu vergeuden. So als ob er immer schon gespürt hätte, dass er sich beeilen muss." Je größer Lamas Leidenschaft für den Alpinismus wurde, je schwieriger die Herausforderungen wurden, umso mehr Angst hatte der Freund und Mentor Reini Scherer.
„Ich bin stolz, was er alles erreicht hat, aber zugleich mache ich mir zunehmend immer mehr Sorgen“, gestand Scherer wenige Monate vor Lamas Tod dem KURIER. „Mit der Anzahl der schwierigen Unternehmungen, die er macht, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass ihm was passiert.“
Dabei war David Lama bei seinen Expeditionen ein kühler Stratege und versuchte nichts dem Zufall zu überlassen. Auf seine Projekte wie etwa die Erstbesteigung des Lunag Ri im November 2018 hatte sich der Tiroler monatelang vorbereitet. „Weil ich nicht vom Glück abhängig sein und dem Glück vertrauen will.“
Wie dieser David Lama gelebt hat, was ihn bewegt hat, ist auch in einem Buch nachzulesen, das anlässlich seines ersten Todestages erschienen ist. In "Sein Leben für die Berge, von ihm selbst erzählt", erschienen im Penguin Verlag, lassen Autor Christian Seiler und Florian Klingler, der Manager und Freund von David Lama, das Leben des Ausnahmealpinisten noch einmal Revue passieren. Auch einige Texte, die Lama selbst verfasst hat, finden sich in diesem Buch.
Für einen jungen Mann hatte der Tiroler einen äußerst pragmatischen Zugang zum Bergsteigen. Zum Leben an sich, aber auch zum Tod, der in vielen Gesprächen mit ihm Thema war. Zwangsläufig. „Die Gefahr ist meine Herausforderung, und die Todesangst ist ein absoluter Teil davon“, sagte er einmal. „Für mich ist ein Bergsteiger ein Realist. Wenn er zu negativ denkt, dürfte er gar nicht einsteigen. Ist er zu optimistisch, kommt er früher oder später um. Ich habe mich mit den Sachen auseinander gesetzt. Es bringt nichts, sich das dramatisch vorzustellen.“
Das war bei Hansjörg Auer nicht anders. Der Ötztaler bezwang die Berge im Free-Solo-Stil, das bedeutet ohne Seil und ohne Sicherung. Jeder Fehltritt, jeder lose Stein bedeutet den sicheren Tod. Wie sein verunglückter Kletterpartner nahm auch David Lama dieses Risiko in Kauf. Er wusste, welchen Gefahren er sich aussetzte, als er etwa im vergangenen Herbst im Alleingang als erster Mensch den Lunag Ri (6.895m) im Himalaja bestieg. Er wusste, dass ihn im Ernstfall „dort oben keiner holen würde“.
Es ist für einen Außenstehenden schwer nachvollziehbar, wie sich jemand freiwillig in diese Todesgefahr begeben kann. David Lama pflegte dann oft mit einem Lächeln zu sagen: „Auch wenn ich über die Straße gehe, begebe ich mich in Lebensgefahr.“
Der Sohn eines Nepalesen und einer Innsbruckerin wollte immer schon hoch hinaus – im wahrsten Sinne. Lama war mit 16 Jahren der beste Sportkletterer der Welt. Und wenn er diese Karriere konsequent fortgesetzt hätte, wäre der Tiroler wahrscheinlich der Topfavorit gewesen, wenn die Kletterer 2021 in Tokio erstmals um Olympiamedaillen kraxeln dürfen.
Doch der Wettkampf in der Halle war nicht seine Welt. Er wollte nicht indoor gegen andere klettern, lieber stellte er sich gemeinsam mit anderen Alpinisten dem größten und mächtigsten Gegner. „Mir ist klar, dass der Berg immer der Stärkere ist“, betonte er fast bei jedem Interview. „Und man muss akzeptieren, dass man nicht alles selbst in der Hand hat.“
Auch wenn’s für manche vielleicht so aussehen mag: David Lama hat nicht mit seinem Leben gespielt. Er hat auf seine Weise sein Leben gelebt und genossen. „Dort oben lebe ich als Anarchist“, sagte er und gestand: „Die Emotionen, wenn du auf dem Gipfel stehst, die sind so bereichernd.“
Die Berge haben David Lama Berge gegeben. Als er im Spätherbst 2018 nach der Besteigung des Lunag Ri nach Tirol zurückgekehrt war und über seine Abenteuer erzählt hatte, hatte er nicht nur Freude über seinen Gipfelsieg verspürt. Sondern vor allem eine Leere. Damals sagte er dem KURIER.
„Ich vermisse die Berge schon jetzt wieder.“