Vor der Fußball-EM: Portugal-Superstar Cristiano Ronaldo in Nöten
Bei der Diskussion, ob denn Lionel Messi der beste Fußballspieler der Welt sei oder Cristiano Ronaldo, spricht eines für den Portugiesen: dass er auch mit dem Nationalteam schon einen großen Titel gewonnen hat.
Doch wie, das war ein Moment, für den der Begriff vom Häufchen Elend erfunden wurde. EM-Finale am 10. Juli 2016 in Paris: Ronaldo kauerte auf dem Boden und jammerte gestenreich.
Der Superstar war nach einer Attacke des Franzosen Dimitri Payet zu Boden gegangen. Ronaldo wurde behandelt. Es war unvorstellbar, Portugal ohne Cristiano Ronaldo. Das wäre doch eine andere Mannschaft, denn alles drehte sich um den schillernden und zuweilen auch selbstverliebten Weltstar, der damals bei Real Madrid spielte. Nach dem ersten Schock sammelte er sich, in der festen Überzeugung, dass es ohne ihn nicht geht. Doch tatsächlich, das Knie streikte und machte das unmöglich Scheinende wahr. In der 25. Minute wurde er durch Ricardo Quaresma ersetzt.
Ersatz-Teamchef
Was dann kam, war der Beweis, dass Cristiano Ronaldo mehr Teamplayer ist als Lionel Messi. Ronaldo lebte mit, fieberte mit, gab Kommandos. Und der erfahrene Teamchef Fernando Santos ließ den neuen Motivator walten und sogar die Kabinenansprache halten. Linksverteidiger Cédric sagte Tage später über die Motivationsfähigkeiten seines Kapitäns: „Das war fantastisch.“
Auch wenn er in der Öffentlichkeit den Titel der Diva umgehängt bekommen hat, seine Mitspieler respektieren ihn als Anführer. Pepe, damals Kollege bei Real und um zwei Jahre älter, rief zum Kabinenschwur auf: „Als er gesagt hat, dass er nicht weitermachen kann, habe ich zu den anderen gesagt: Wir gewinnen es für ihn.“ In der Verlängerung sah man Cristiano Ronaldo an der Seitenlinie herumhüpfen und gestikulieren. Einmal schubste er sogar den Teamchef weg. Als dieser Stürmer Éder einwechselte, flüsterte dem sein Kapitän ins Ohr: „Du machst jetzt das Siegtor.“ In Spielminute 109 hält sich Éder an die Anweisung und beteuerte später: „Er hat mir Kraft und Energie gegeben.“
Portugal wird erstmals Europameister. Es ist kein glanzvoller Champion. Durch die Vorrunde kamen Ronaldo und Co. nach drei Unentschieden (darunter ein 0:0 gegen Österreich samt von Robert Almer gehaltenem Ronaldo-Elfer) als einer der vier besten Gruppendritten. In der regulären Spielzeit gewannen sie nur eins ihrer sechs Spiele: das Halbfinale gegen Wales 2:0.
Aber seit diesem denkwürdigem Abend ist Cristiano Ronaldo nicht nur fünffacher Champions-League-Sieger, dreifacher UEFA-Supercup-Sieger und vierfacher Klub-Weltmeister, sondern auch einfacher Europameister.
Doch das Ende der Ära naht. Mit Juventus Turin konnte er die Champions League nicht gewinnen, dieses Jahr werden die Turiner nicht einmal mehr Meister. Noch schlimmer, es könnte sogar die Champions League für die nächste Saison verpasst werden.
Immerhin wurde am Samstag Meister Inter Mailand mit 3:2 besiegt, doch Napoli kann die Turiner am Sonntag mit einem Sieg bei Fiorentina wieder auf Platz fünf zurückschieben. In den letzten 18 Saisonen hat der portugiesische Superstar immer in der Champions League gespielt, mit Manchester United, Real Madrid und Juventus Turin. In 176 Spielen in der Königsklasse hat der 36-Jährige 134 Tore erzielt.
Juventus-Sorgen
Nächste Saison könnte er auf den Donnerstag verbannt werden, in die Europa League oder gar in die Conference League. Zuletzt spielte Ronaldo 2002/’03 im UEFA-Cup, dem Vorgänger der Europa League. Damals schied er mit Sporting Lissabon in Runde eins gegen Partizan Belgrad aus. Ronaldo könnte der Europa League entgehen, indem er Juventus verläst, wo er bis 2022 einen Vertrag hat, und es bei seinem Stammklub billiger gibt. Sporting Lissabon steht als portugiesischer Meister fest und spielt dadurch sicher in der Champions League.
Das beste Abschneiden bei sieben Teilnahmen war der Titel vor fünf Jahren. Die Truppe von Fernando Santos triumphierte bei der EM 2016, obwohl sie kein einziges Gruppenspiel gewinnen konnte.
- Schlüsselspieler
Cristiano Ronaldo hat wie Michel Platini neun Tore bei EM-Endrunden erzielt und wird sich wohl den alleinigen Rekord holen. Mit vier EM-Teilnahmen und 21 EM-Spielen ist der Superstar ohnehin schon Mr. EURO. Der Rest des Teams ist mittlerweile ein Starauflauf des europäischen Fußballs: Bruno Fernandes (Manchester United), Diogo Jota (Liverpool), João Félix (Atlético Madrid), André Silva (Frankfurt), Bernardo Silva, Rúben Dias und João Cancelo (alle Manchester City), Renato Sanches (Lille), Cédric (Arsenal).
- Denkwürdige Momente
Tormann Ricardo entledigte sich im Viertelfinale 2004 gegen England im Elfmeterschießen seiner Handschuhe, bevor er den Versuch von Darius Vassell parierte und den entscheidenden Elfmeter selbst verwandelte.
Teamchef Luiz Felipe Scolari bat die Fans, während der EM 2004 Fahnen aus den Fenstern hängen zu lassen, als Zeichen der Unterstützung für die Mannschaft. Am Tag des Endspiels kam es zu emotionalen Szenen, als Tausende die Straßen säumten, um das Team beim Trip von Alcochete nach Lissabon zu feiern.