Politik/Inland

Stefan Steiner: Der Mann, dem Kurz blind vertraut

Rechts der Kanzler, links sein Vize. Davor zwei brusthohe Mikrofonständer, zig Kameras, noch mehr Journalisten und das überlebensgroße Abbild Maria Theresias an der Wand. So sieht es aus, das ganz normale Bühnenbild der allwöchentlichen Regierungssitzung in Türkis-Blau, kurz: Ministerrat.

Ein wesentliches Detail, das dabei nur den allerwenigsten ins Auge sticht, lauert im Hintergrund: Da steht stets ein dunkelhaariger Mann von 40 Jahren mit verschränkten Armen, der die Szenerie stoisch beäugt. Wer sich nach diesem stillen Beobachter, der im Gegensatz zu anderen Anwesenden jedwedem Smalltalk ausweicht, erkundigt, bekommt Begriffe wie „Mastermind“, „türkises Hirn“ oder „Superstratege“ zu hören.

Dieser Mann im Hintergrund, das ist Stefan Steiner. Mit keiner anderen Person ist der Aufstieg des Sebastian Kurz zum Kanzler so eng verbunden wie mit dem einstigen Sektionschef des Ex-Staatssekretärs und Ex-Ministers. Auch im türkisen Wahlkampf 2017 war Steiner Schlüsselspieler, danach war der zum ÖVP-Generalsekretär Aufgestiegene einer der Chef-Verhandler im Koalitionspoker mit den Blauen. Steiner galt als Minister-Fixstarter – doch es kam anders.

Das türkise Hirn lehnte sämtliche Angebote ab, im Jänner gab er dann auch noch seinen Job als ÖVP-General auf. Seither ist er nicht mehr öffentlich aufgetreten. Und doch ist Steiner immer noch der wichtigste Einflüsterer des Kanzlers – mit dem kleinen Unterschied, dass er nun als externer Berater agiert. „Ich bin für Strategie zuständig, nur eben als selbstständiger Unternehmer“, erklärt Steiner dem KURIER in einem seiner extrem seltenen Interviews. Gänzlich befreit hat er sich indes von Koordinationsagenden. Sein neuer Arbeitsplatz ist ein kleines Büro in der Wiener Innenstadt.

Von diesem aus steht er im Dauerkontakt mit Kurz: „Wir telefonieren jeden Tag miteinander und schreiben laufend SMS“, sagt Steiner, der in mehreren Chat-Gruppen des türkisen Machtzirkels ist. „Wenn der Kanzler etwas braucht, ruft er mich an. Oft auch nach Mitternacht.“ Kurz erwartet vom Urheber des Slogans „Integration durch Leistung“, der ihm 2015 in der Asylkrise davon abgeraten hat, wie andere Politiker am Westbahnhof aufzutreten, rasche Einschätzungen.

Kurz als einziger Kunde

Abgesehen davon sieht Steiners Tun wie folgt aus: „Meine Aufgabe ist es, die politische Lage zu sondieren, dann schlage ich Themen vor.“ Zuletzt war er etwa beim groß angekündigten türkis-blauen „Job-Gipfel“ involviert. Das kam so: „Ich habe mir überlegt, wie man in den Herbst starten kann, und da ist Arbeit ein Schwerpunkt. Ich bin kein Arbeitsmarkt-Experte, weiß aber, dass dieses Thema die Menschen beschäftigt wie kaum ein anderes.“ Also schlug er vor, einen Gipfel mit Sozialpartnern und allem Drumherum abzuhalten – flugs platzierte die türkise Medien-Maschinerie den Plan in der Öffentlichkeit. Auch andere Aktionen dieser Art nehmen beim „Kurz-Hirn“ ihren Anfang.

Die Kurz-ÖVP ist derzeit Steiners einziger Kunde, sein Honorar bezahlt die ÖVP. Steiner schließt mittelfristig weitere Aufträge nicht aus, zur Zeit will er aber keine annehmen – dies würde schließlich dem Hauptgrund seines Rückzugs zuwiderlaufen, sagt er.

Nach dem Wahlkampf wollte er nämlich wieder mehr Privatleben: „In dieser unglaublich intensiven Phase gab es kaum Zeit für die Familie. Ich will meine drei Kinder aber nicht immer erst sehen, wenn sie schon schlafen.“ Nun genieße es der Ehemann einer Psychologin tagtäglich, sein sechsjährige Tochter in die Schule zu bringen. De facto jedes Wochenende verbringt er mit Familie im Elternhaus in Niederösterreich. Dort kickt der einstige Unterhaus-Fußballer mit seinem vierjährigen Sohn, radelt oder geht in den Wald. Längst weiß Steiner, einst Teil der gescheiterten ÖVP-Reformgruppe um Josef Pröll, wie ein Politiker-Leben aussieht – „mitsamt 15 Stunden-Tagen und ohne Privatsphäre“, wie er sagt. „Es ist ein Privileg für mich, nicht in der Öffentlichkeit zu stehen.“

Kindheit in der Türkei

Und wie tickt er politisch, der türkise Vordenker? „Ich nehme aufgrund meiner Familiengeschichte schon für mich in Anspruch, liberal zu sein.“ Steiner lebte zwischen zehn und 18 in Istanbul, seine Eltern unterrichteten dort am St.-Georgs-Kolleg. „Da habe ich gelernt, dass man insbesondere als Gast anderen Kulturen Respekt entgegenbringt.“ Steiner spricht fließend Türkisch und hat etliche muslimische Freunde.

In punkto Gesinnung einzuordnen ist der „gläubige Katholik“, wie er sich selbst nennt, kaum: „Ich kann mit Ideologien wenig anfangen, das ist etwas aus dem vergangenen Jahrhundert.“ Politisches Vorbild hat der Jurist – er dissertierte schon mit 25 Jahren – keines. „Eine wichtige Richtschnur“, sagt Steiner, „ist neben dem Liberalismus auch die christliche Soziallehre“. Letztendlich aber sieht sich Steiner als „Pragmatiker“ – einer, wie es auch sein einziger Kunde ist.