Politik/Inland

Sobotka zur Flüchtlingskrise: "Kickl hat bei Frontex nichts bewegt"

KURIER: Herr Sobotka, vier Tage vor der Wahl am 29. September wird es im Parlament neuerlich einen Beschlussmarathon mit 26 Gesetzesanträgen geben. Befürchten Sie, dass die Sitzung für die Republik teuer wird?

Wolfgang Sobotka: Ja, das kann man nicht ausschließen. In den vergangenen 18 Monaten wurde von Teilen der Opposition häufig kritisiert, dass die neuen Gesetze zu wenig lang begutachtet wurden. Jetzt macht man alles ohne Begutachtung. Ich habe auch die Sorge, dass die Gesetze keine hohe Qualität haben, um langfristig zu halten. Das ist keine gesunde Entwicklung. Ich appelliere daher an die Parteien, sich die Gesetze genau anzuschauen, damit jetzt keine ungedeckten Schecks für die Zukunft ausgestellt werden.

Warum haben Sie als Parlamentspräsident gerade das neue Parteienfinanzierungsgesetz kritisiert?

So ein heikles Gesetz ohne Begutachtung und ohne Diskussion zu machen, halte ich für verfassungsrechtlich bedenklich. Alle reifen Demokratien gehen bei der Parteienfinanzierung den umgekehrten Weg. Sie reduzieren Parteienförderungen durch den Steuerzahler und gehen in die Spendensituation. Dazu lässt man den Rechnungshof nicht kontrollieren. Der Wirtschaftsprüfer prüft ja nur die ordnungsgemäßen Ausgaben und Einnahmen, ob es den Gesetzen entspricht, aber nicht, ob es Umgehungskonstruktionen bei den Einnahmen gibt. Das sollte der Rechnungshof machen. Die Ausgaben können nach wie vor die Wirtschaftsprüfer kontrollieren.

Wird die ÖVP das Gesetz beim Verfassungsgerichtshof bekämpfen?

Nein. Das ist meine Meinung als Politiker und Nationalratspräsident. Dass man das Spendenlimit begrenzt, wird verfassungsrechtlich halten. Aber ich bin der Überzeugung, dass Spender dadurch in ihrer Freiheit, über ihr Vermögen zu verfügen und letztlich in den Möglichkeiten ihrer politischen Handlungsfreiheit eingeschränkt werden.

Dass die ÖVP gegen ein Spendenverbot ist, ist logisch, denn gerade Ihre Partei nimmt sehr viele Großspenden ein...

Die Spenden spielen gerade im gesamten Aufwand nicht die zentrale Rolle. Wenn ich Klubbeiträge, Parteibeiträge und Wahlkampfkostenrückerstattung zusammenrechne, hat das Spendeneinkommen eine untergeordnete Rolle. Man muss endlich aufhören, Spenden zu kriminalisieren. Es ist unerträglich, dass man dem Spender ständig unterstellt, er möchte sich damit etwas erkaufen.

In der Vorwoche hatten Sie einen veritablen Wutausbruch im Parlament. Ist das eines Nationalpräsidenten würdig?

Es war eine starke emotionale Reaktion auf die Unterstellung von SPÖ-Vize-Klubobmann Jörg Leichtfried, über die Bestechlichkeit von Parteien – vor allem in Richtung der ÖVP gemünzt. Ich habe nur sehr laut und forsch gesagt: „Nehmen Sie das zurück.“ Mehr nicht. Ich stehe zu meiner Äußerung – sie war weder untergriffig noch beleidigend – auch wenn sie emotional vorgetragen war. Denn das war eine Grenzüberschreitung von Jörg Leichtfried.

Sie sind in Niederösterreich Spitzenkandidat. Ihre Konkurrent heißt bei der FPÖ Herbert Kickl. Er provoziert auch gerne. Wie werden Sie Ihre Emotionen in den Griff bekommen? Absolvieren Sie ein Anti-Aggressionstraining?

Man soll nicht zu viel in eine emotionale Äußerung hineininterpretieren. Emotional werde ich vor allem dann, wenn strafbare Tatbestände unterstellt werden. Im Allgemeinen halte ich es mit Viktor Frankl: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion“. Diesem Grundsatz folge ich meistens.

Sie waren bis vor zwei Jahren Innenminister. Derzeit gibt es eine heftige Diskussion wegen der Mittelmeerflüchtlinge. Wie würden Sie jetzt agieren?

Das ist eine Kette von Irrsinnigkeiten. Die Tragödie beginnt schon in der Wüste. Wir reden immer nur von der Mittelmeerroute. Aber wie viele kommen schon in der Wüste um? Deswegen muss man in den Heimatländern ansetzen, damit sich die Flüchtlinge gar nicht auf den Weg begeben. Die Flüchtlinge, die im Mittelmeer in Not kommen, muss man selbstverständlich retten, aber nicht nach Europa, sondern zurück nach Nordafrika bringen. Passiert das nicht, zieht das immer mehr Flüchtlinge an und noch mehr sterben im Mittelmeer oder in der Wüste.

Was würden Sie konkret machen?

Der personelle Ausbau von Frontex ist nicht konsequent weitergeführt worden. Da hat Kickl nichts bewegt, als Österreich den EU-Ratsvorsitz hatte. Die Grenzmission Sophia ist ausgelaufen. Da ist die EU extrem gefordert, aktiv zu werden. Jetzt wäre es wichtig, europäisch zu agieren, aber die Beamtenregierung wird nicht aktiv. Das ist aber kein Vorwurf. Sie machen das, was sie gut können. Aber bei der EU sind wir auf vielen Ebenen abgemeldet. Wir spielen derzeit in der EU nicht die Rolle, die wir könnten und sollten.

Was ist Ihr Ziel als Spitzenkandidat für Niederösterreich für die Nationalratswahl?

Ich möchte dort anschließen, wo wir bei der EU-Wahl standen – das ist bei rund 40 Prozent.