Orbán in Wien: "Er stellt Fragen, die sich keiner zu fragen traut"
Von Caroline Ferstl
"Das gibt’s nicht, Sie kennen Weltwoche Daily nicht?" Bereits eine Stunde vor Einlass hat sich vor den Sofiensälen in Wien eine Menschenschlange gebildet; ganz vorne dabei eine Gruppe älterer Herrschaften, die ungläubig die Augenbrauen hochziehen. "Ich hör das jeden Tag in der Früh, da wird anders berichtet als im Mainstream. Der Köppel ist mutig, der traut sich noch, eine eigene Meinung zu haben", sagt eine Frau in rotem Mantel bestimmt.
Roger Köppel, das ist der Chefredakteur der Schweizer Weltwoche – und der Mann, der Viktor Orbán für eine Podiumsdiskussion nach Wien geholt hat. Ohne den Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán bei Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) hätte die Veranstaltung wohl kaum diese mediale und öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Die Auflage der Weltwoche, eine rechtspopulistische Wochenzeitung, wurde im Vorjahr auf rund 36.000 Exemplare geschätzt. Doch die meisten konsumieren sie über YouTube: Dort zählt man über 300.000 Abonnenten. Die meisten Aufrufe haben die morgendlichen "Updates" von Köppel.
Bollwerk gegen "linksliberalen Publizistik-Mainstream"
"Frieden in Europa" nannte sich die Veranstaltung, die das rechtspopulistische Blatt in Wien organisiert hat. Stargast war neben Orbán der deutsche Alt-Kanzler Gerhard Schröder.
Für beide gab es Standing Ovation und lauten Applaus, als sie den Saal betraten. Ebenfalls unter den Gästen: der russische Botschafter.
Und Orbán sollte auch sehr bald auf Russland zu sprechen kommen. "Europa kann derzeit keinen Frieden schaffen. Es kann nur Krieg schaffen, aber keinen Frieden", so der ungarische Premier. "In der europäischen Politik fehlt vollkommen das Nachdenken über Russland", kritisierte er. "Russland ist ein christliches Land, ein europäisches Land, ist trotzdem anders als wir", führte er aus. Russland spreche "die Sprache der Macht". Das sei auch der Grund, warum Orbán darauf vertraue, dass Trump einen schnellen Waffenstillstand in der Ukraine herbeiführen kann: "Für die Amerikaner ist es nicht schwer, die Russen zu verstehen, weil sie ebenfalls die Sprache der Macht sprechen." Wenn Trump mit den Russen verhandelt, wird es dort "kein Moralisieren geben, dort wird es Realpolitik geben".
Seit Tagen war die Podiumsdiskussion ausgebucht, für Medien ohne Akkreditierung gab es keinen Platz.
Das Podium passte zum Programm der Zeitschrift, die sich als Konterpart zum "linksliberalen Publizistik-Mainstream" versteht, wie Köppel gerne sagt.
Das hat auch Besucher aus dem Ausland angezogen: "Mich interessiert die kontroverse Meinung von Herrn Orbán, dass jemand noch den Mut hat und Fragen stellt, die man nicht mehr stellen darf. Ich hab das Gefühl, wenn man heute für was Konservatives steht, wird man gleich schlechtgemacht. Was die CDU vor 20 Jahren gesagt hat, ist heute rechtsradikal", sagt ein Mann aus Osnabrück. Daneben steht ein Trump-Anhänger in blauem Anzug, extra aus Tschechien angereist – leicht erkennbar an seiner roten Kappe, auf der in Großbuchstaben steht: "Trump 2024" und "Keep America Great".
Köppel selbst war von 2015 bis 2023 Nationalrat der wirtschaftsliberalen, nationalkonservativen Schweizer Volkspartei, kurz SVP. Die stellt unter anderem die Notwendigkeit von Klimaschutz infrage, ist gegen bezahlten Mutterschaftsurlaub und staatlich finanzierte Kindergartenplätze und hat einst die Initiative für das Bauverbot von Minaretten initiiert. Und ist die stimmenstärkste Partei in der Schweiz.
Einheit am Podium
Gegen Einwanderung, EU- und NATO-kritisch, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und bekennender Trump-Fan. Positionen, die auch Köppels Gesprächspartner am Podium in den Sofiensälen vertreten. Schröders persönliche Freundschaft und Geschäftsbeziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin lassen seine SPD seit Kriegsbeginn streiten. Schröder ist gern gesehener Gast bei Köppel, eine "Kultfigur" nannte ihn der Schweizer beim letzten Podiumsgespräch im September.
"Ich würde mir wünschen, dass mit derselben Entschiedenheit, mit der militärische Unterstützung an die Ukraine geht, auch versucht wird, eine Beendigung des Krieges zu verhandeln", so Schröder damals. Auf Viktor Orbán angesprochen, sagte Schröder, er sei kein "Anhänger" Orbáns – dessen "Friedensmission" nach Moskau und Kiew Anfang Juli, bei der übrigens auch Köppel dabei war und die von den meisten EU-Ländern heftig kritisiert wurde, bezeichnete Schröder aber als "nützlich".
Die Verbindung Köppels zu Orbán geht noch weiter: Der Schweizer sprach bereits bei dessen CPAC-Konferenz, ein Vernetzungstreffen für rechtskonservative Medien und Politiker in Ungarn, das mit Gelder aus den USA von der CPAC Foundation finanziert wird. Dabei kommen republikanische bis Rechtsaußen- und verschwörungstheoretische Positionen zu Wort.
Der große Feind Brüssel
Auch Orbán teilt bekanntlich die Meinung, dass die Ukraine und der "Westen" den Krieg nicht gewinnen könnten, ist für ein Kriegsende, auch wenn die Ukraine dafür Gebietsteile abtreten müsste. Für ihn ist die größte Gefahr Feind längst die EU: In seiner Rede zum ungarischen Nationalfeiertag, der den Aufstand der Ungarn 1956 gegen die sowjetische Fremdherrschaft feiert, verglich er Brüssel mit Moskau: "Beugen wir uns dem ausländischen Willen, diesmal dem Willen Brüssels, oder widersetzen wir uns ihm? Ich schlage vor, dass unsere Antwort so klar und eindeutig ist wie 1956." Ungarn hat seit Juli den EU-Ratsvorsitz inne, trägt EU-Sanktionen gegen Russland trotz Kritik aber mit.
Das Thema Krieg trieb auch die Teilnehmer der Veranstaltung um. "Ich will Frieden in Europa“, sagt ein Mann vor der Veranstaltung, ganz vorne am Beginn der Schlange. "Ich hab Kinder in Ihrem Alter. Ich will nicht, dass sie in Krieg aufwachsen." "Es ist ein Schande für Europa, dass niemand Frieden will, alle wollen nur Krieg", mischt sich einer von hinten ein.
Eine andere Frau ist extra aus Norddeutschland angereist, für Köppel, "den Einzigen, den ich seit Corona noch hören kann." Sie gehe auch zu Friedensdemonstrationen, "aber nicht einmal mehr die Grünen sind für Frieden, nur mehr für Waffen." Auch auf mehreren Veranstaltungen der Weltwoche sei sie schon gewesen, "nur nicht in Berlin. Das Pflaster dort, das geht nicht mehr." So schlimm sei Wien noch nicht.