Mikl-Leitner: "Migration ist nicht mehr das wichtigste Thema"
Von Ida Metzger
Man könnte sagen, wenn es um absolute Mehrheiten geht, dann ist Niederösterreich ein gallisches Dorf. Während Schwesterparteien wie die CSU, die CDU in Hessen oder die Südtiroler Volkspartei sich von ihren komfortablen Machtverhältnissen verabschieden müssen und bittere Niederlagen einfuhren, sitzt die ÖVP in Niederösterreich fest im Sattel, trotz Generationenwechsel von Erwin Pröll auf Johanna Mikl-Leitner.
KURIER: Frau Mikl-Leitner, nach den Wahlniederlagen der christlich-sozialen Parteien sowie der Krise der SPD spricht man vom Niedergang der Volksparteien. Ist das tatsächlich ein Trend oder liegt es daran, dass diese Parteien einfach keine gute Politik mehr gemacht haben? Johanna Mikl-Leitner: Dass es auch anders geht, zeigt ja Niederösterreich. Es ist schon richtig, dass diese klare Zustimmung, die in Niederösterreich zur absoluten Mehrheit geführt hat, mittlerweile alleinstehend ist im gesamten deutschsprachigen Raum. Aber das hat ja auch seine Gründe: In Deutschland hat man gesehen, wie die Spannungen und offenen Konflikte auf Bundesebene auf die Ergebnisse in den Ländern abgefärbt haben. Vor allem der Konflikt zwischen CDU und CSU hat viel Vertrauen und Stimmen gekostet. Die Bürger haben dieses ständige Gegeneinander und die Streitereien inzwischen satt. Wir setzen in Niederösterreich bewusst auf das Miteinander, das heißt auf Kooperation statt auf Konfrontation.
Welche Erkenntnisse filtern Sie aus solchen aktuellen Wahlniederlagen?
Neben dem Streit zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer wurde offenbar auch inhaltlich die Situation falsch eingeschätzt. Es wurde unterschätzt, dass das Thema Migration bei Landeswahlen wichtig, aber bei weitem nicht mehr das wichtigste Thema für die Landsleute ist.
Sondern?
Von der Landespolitik erwarten sich die Menschen vor allem Lösungen in den Bereichen Arbeit, Gesundheit, Mobilität, Familien und Wohnen. Das sind die Themen, die die Menschen täglich unmittelbar viel mehr bewegen. Und diese Anliegen muss man viel stärker in den Fokus rücken. Die absolute Mehrheit war sicher auch ein Vertrauensvorschuss. Die Menschen spüren, ob man mit Einsatz, Herz und Nähe zum Bürger bei der Sache ist. Gerade die Nähe ist eine wichtige Kategorie in der Politik. Da spürt man sehr gut, welche Anliegen die Menschen wirklich bewegen. Und deshalb genießt die Landespolitik generell auch mehr Vertrauen als die Bundespolitik.
Wie können sich die Volksparteien in Zukunft noch behaupten? Streiten sich zu viele um die Mitte?
Letztlich ist die richtige Themensetzung der Schlüssel. Globalisierung und Digitalisierung schaffen bei den Bürgern viele Sorgen und Irritationen. Gleichzeitig drehen sich politische Debatten oft nur mehr um Migration auf der einen oder Randthemen wie Ampelpärchen und dem Binnen-I auf der anderen Seite. Da wächst bei den Menschen das Gefühl, dass sie von Politikern nicht mehr verstanden werden. Dann hört man immer öfter: „Die haben offenbar keinen Draht mehr zu uns. Die haben keine Ahnung, was uns wirklich bewegt.“
Durch diese Entwicklung sitzen immer mehr Parteien im Parlament. Hat das positive oder negative Auswirkung auf die Demokratie?
Vielfalt ist grundsätzlich gut, wenn aber zu viele politische Parteien im Parlament sitzen, dann wird die Mehrheitsfindung immer schwieriger. Das führt zu Auseinandersetzungen und Streit. Auf aktuelle, zentrale Fragen kann so oft nur langsam geantwortet werden. Wenn es klare Mehrheiten gibt, ist man schnell bei der Sache und kann umgehend reagieren. Das macht natürlich vieles leichter.
Laut einer Umfrage der Süddeutschen Zeitung liegt die Union bei 25 Prozent auf Bundesebene. Vor wenigen Jahren noch unvorstellbar ...
Ja, das schmerzt natürlich sehr, wenn eine Schwesterpartei solche Umfragewerte hat. Aber vieles an dieser Entwicklung ist selbst verschuldet – so ehrlich muss man sein.
Die Niederösterreicher waren es durch Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll gewohnt, dass die ÖVP-Niederösterreich die Bundespolitik stark mitbestimmt hat. Von Ihnen hört man kaum Wortmeldungen in Richtung Wien. Bleibt das so oder ändert sich das angesichts Ihrer starken Stellung?
Am politischen Gewicht Niederösterreichs hat sich nichts geändert. Aber auch da bleibe ich meinem Stil treu, dass ich am Verhandlungstisch verhandle und nicht über die Medien. Wenn ich nur an den Regress denke, wo wir erreicht haben, dass die Mehrkosten der Bund trägt, oder an die Kinderbetreuung, wo zuerst geplant war, dass der Bund nur 110 Millionen zahlt und jetzt sind es 142,5 Millionen. Diese Ergebnisse zeigen, dass mein Stil des Miteinanders funktioniert.