Last minute: Eine kompakte Entscheidungshilfe zur Wahl
Es soll Leute geben, die der Meinung sind, der nun zu Ende gegangene Wahlkampf sei eher arm an Themen gewesen. Von einer inhaltlichen Überfrachtung wird man in der Tat nicht sprechen können. Wahlkampfkosten, Parteispenden, Hackerangriff, Stilfragen (von St. Tropez bis Schnitzel), „Einzelfälle“ – und natürlich das beliebte Wer-mit-wem bzw. wechselseitige Unterstellungen, was nicht alles schon längst paktiert sei, dominierten über weite Strecken. Allesamt Dinge, die den Polittainment-Betrieb am Laufen halten, aber mit den wirklichen Herausforderungen einer künftigen Regierung wenig bis nichts zu tun haben.
Ungeachtet dessen gibt es natürlich sehr wohl gravierende inhaltliche – letztlich weltanschauliche – Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien. Zu einigen der Schlüsselfragen präsentieren wir in diesem Artikel die Positionen in kompakter, übersichtlicher Form. Damit Sie nicht strategisch sondern (zumindest halbwegs) aus Überzeugung ihr Kreuz machen können.
Asyl und Migration
ÖVP: Die Volkspartei will einen besseren Schutz der EU-Außengrenze und die Einführung einer Strafe für Länder, die Migranten "durchwinken". Zudem soll eine Taskforce zur Überprüfung von Sozialleistungen an Zuwanderer gegründet werden. Das Kopftuchverbot soll auf Lehrerinnen und Mädchen bis 14 Jahre ausgeweitet werden.
SPÖ: Legale Fluchtmöglichkeiten sollen ermöglicht und UNHCR-konforme Verfahrenszentren geschaffen werden. Gleichzeitig fordert die SPÖ, die Grenzschutzagentur Frontex zu stärken. Asylverfahren sollen auf drei Monate verkürzt und mehr Rückführungsabkommen abgeschlossen werden. Außerdem ist man für die Wiedereinführung des Integrationsjahres.
FPÖ: Asyl ist für die Freiheitlichen Schutz auf Zeit, man ist gegen eine "Willkommenskultur". Armut und Klimawandel werden nicht als Asylgründe anerkannt. Bei Urlaub im Herkunftsland soll der Verlust des Asylstatus drohen. Straffällig gewordene Zuwanderer sollen konsequent abgeschoben werden.
Neos: Die Neos fordern eine europäische Strategie zur Migration inklusive kürzeren Asylverfahren und mehr Rückführungsabkommen. Wertekurse sollen ausgebaut und ein eigenes Integrationsministerium geschaffen werden. Zudem will man qualifizierte Zuwanderung nach Vorbild Kanada, also nach einem Punktesystem.
Grüne: Die Grünen sind für klare Regeln für Zuwanderung in Abstimmung mit der EU. Fluchtursachen sollen durch die Entschärfung der Klimakrise verringert werden. Berufliche Qualifikationen von Zuwanderern sollen durch ein novelliertes Berufsanerkennungsgesetz einfacher anerkannt werden. Asylwerber sollen ihre Lehre abschließen können.
Liste Jetzt: Peter Pilz ist für legale Fluchtwege statt illegaler Einwanderung. Zu diesem Zweck sollen Asylanstragsstellung vor Ort geschaffen werden. 100 Millionen Euro sollen für die Hilfe in Herkunftsländern bereit gestellt werden. Außerdem fordert die Liste Jetzt mehr Deutschkurse, ein Bleiberecht für Lehrlinge und ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst.
Steuern
ÖVP: Die Steuern- und Abgabenquote soll auf 40 % gesenkt werden. Eine Gegenfinanzierung durch Vermögens- oder Erbschaftssteuern lehnt die ÖVP strikt ab. Die untersten drei Tarifstufen sollen von derzeit 25/35/42 % auf 20/30/40 % abgesenkt werden.
SPÖ: Zentral ist für die SPÖ die Einführung einer Vermögens- und Erbschaftssteuer: bis zu eine Million Euro soll steuerfrei vererbt werden können, zwischen einer und zehn Millionen Euro werden 25 % Steuer fällig, ab zehn Millionen Euro 35 %. Bei Vermögen sieht das Konzept ab einer Million Euro jährlich 0,5 % Steuer vor, ab zehn Millionen Euro 1 %.
FPÖ: Es soll eine Entlastung für Arbeitnehmer und Betriebe geben; die FPÖ spricht sich gegen ein Gegeneinander-Ausspielen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus. Generell wünscht man sich die Fortsetzung und vollständige Umsetzung des unter der türkis-blauen Regierung begonnenen Entlastungs- und Reformkurses.
Neos: Eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten und der Einkommenssteuer ist das Ziel. Ganz wichtig ist auch die Abschaffung der kalten Progression. Gemeinden und Länder sollen teilweise Steuerautonomie bekommen (Verbindung von „Einnahmen- und Ausgabenverantwortung“).
Grüne: Die Grünen treten für eine Ökologisierung des Steuersystems ein, gefordert wird eine höhere Besteuerung der Förderung fossiler Rohstoffe. Ebenso will man eine Finanztransaktionssteuer und eine Erbschafts- und Schenkungssteuer. Steuerdumping auf europäischer Ebene soll bekämpft werden.
Liste Jetzt: Konzerne und Vermögen sollen besteuert (Steuerpflicht auch für Internet-Konzerne), Arbeit und Kleinunternehmen dafür entlastet werden. Man will eine progressive Erbschaftssteuer mit einem Freibetrag von 500.000 Euro. Auch eine Finanztransaktionssteuer steht auf dem Programm.
Klima
ÖVP: Österreich soll bis 2045 CO2-neutral sein, der Fokus liegt auf Wasserstoff als Energieträger. Supermärkten soll verboten werden, frische Lebensmittel zu entsorgen. Die ÖVP will einen europaweiten Fonds zur Erhaltung des Regenwaldes schaffen.
SPÖ: Die SPÖ will ein Klimaticket für öffentliche Verkehrsmittel um drei Euro am Tag für ganz Österreich einführen. Bis 2030 soll der Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien kommen. Außerdem fordert sie eine Kerosinbesteuerung und eine Pendlerpauschale mit Klimabonus.
FPÖ: Das öffentliche Netz im ländlichen Raum soll ausgebaut und E-Mobilität begünstigt werden. Die FPÖ will die Reduktion fossiler Brennstoffe und die Schaffung eines „Klima- und Energie-Rates“.
Neos: Eine CO2-Steuer in Kombination mit einer steuerlichen Entlastung im Sektor Arbeit soll eingeführt werden. Erneuerbare Energien wollen die Neos ausbauen und steuerlich begünstigen. Die Sanierungsrate soll erhöht werden, um den Energieverbrauch zu senken.
Grüne: Auch die Grünen wollen eine CO2-Steuer einführen, in Kombination mit einem Öko-Bonus. Klimafeindliche Subventionen wie etwa für Heizöl oder Diesel sollen gestrichen werden. Bis 2030 soll es in Österreich 100 Prozent Öko-Strom geben. Zudem fordern die Grünen das 1-2-3-Öffiticket (1 Euro pro Tag im Bundesland, 2 Euro über die Landesgrenze und 3 Euro bundesweit).
Liste Jetzt: Eine CO2-Steuer soll eingeführt werden und ein Jahresticket für öffentlichen Verkehr in ganz Österreich um 730 Euro erhältlich sein. Die Liste Jetzt will zudem 20 Prozent Mehrwertsteuer auf Nicht-Bio-Fleisch und 10 Prozent auf Bio-Fleisch einführen.
Pensionen
ÖVP: Kleine und mittlere Pensionen sollen über der Inflationsrate erhöht werden (kleine Pensionen werden bereits ab 2020 angehoben). Pensionsversicherungsbeiträge sollen nach der Geburt eines Kindes (bis zum 10. Lebensjahr möglich) automatisch aufgeteilt werden. Das Pensionssplitting soll auch bei der Pflege von Angehörigen möglich sein.
SPÖ: Die SPÖ will die Werterhaltung der Pensionsansprüche und eine verfassungsrechtliche Absicherung der Gutschriften gegen etwaige Kürzungen. Die Ausgleichszulagenrichtsätze sollen erhöht werden. Kinderbetreuung und Pflege sollen im Pensionssystem berücksichtigt werden.
FPÖ: Keine konkreten Forderungen gibt es seitens der FPÖ in Bezug auf Pensionen. Im Wahlprogramm heißt es nur: „Ein gutes Pensionssystem muss den Lebensstandard auch im Alter absichern können.“
Neos: Die Neos wollen einen Pensionsautomatismus, wenn also Einzahlungen geringer als die Auszahlungen sind, sollen Maßnahmen (Pensionsanpassung, Aufwertungsfaktoren) gesetzt werden. Die Lebenserwartung soll einbezogen werden. Das Pensionsanstritt soll individuell zwischen 61 und 69 Jahren liegen.
Grüne: Eine steuerfinanzierte Grundpension für alle ab 65 Jahre in der Höhe von 900 Euro soll eingeführt werden, die Beitragsleistungen sollen dazugerechnet werden und die Pension dementsprechend aufbessern. Es soll die Möglichkeit des flexiblen Pensionsantritts geben.
Liste Jetzt: Die Liste Jetzt macht im Wahlprogramm nur einen konkreten Vorschlag: Ähnlich wie die Grünen fordert sie eine bedingungslose Grundsicherung im Alter - allerdings in der Höhe von 1.200 € monatlich.
Pflege
ÖVP: Die Volkspartei will die Einführung einer Pflegeversicherung sowie eines Plfege-daheim-Bonus von bis zu 1.500 € (ab Pflegestufe 3). Außerdem sollen mehr Studienplätze für Mediziner geschaffen werden, um dem Ärztemangel entgegenzuwirken.
SPÖ: Bei Allgemeinmedizinern soll eine Wartezeiten-Obergrenze eingeführt werden, die Terminvergabe soll über eine Gesundheitshotline abgewickelt werden. Mediziner sollen mittels Stipendien im Land gehalten werden. Die Sozialdemokraten fordern zudem eine staatliche Pflegegarantie, die über die Millionärssteuer finanziert werden soll.
FPÖ: Gesundheit und Pflege sollen nicht über eine Steuererhöhung, sondern über die Behebung falscher Unterbringungen finanziert werden (Einsparung laut FPÖ 4,75 Milliarden Euro pro Jahr). Zudem soll ein eigener Staatssekretär für Pflege eingerichtet werden.
Neos: Die Neos wollen die freie Kassenwahl. Die Ärzteausbildung soll reformiert werden, so soll etwa die Lehrpraxis verlängert werden. Hausärzte sollen teils durch diplomierte Pfleger entlastet werden. Die Primärversorgung soll flächendeckend umgesetzt und Gemeinschaftspraxen ermöglicht werden.
Grüne: Kassenfinanzierte Leistungen sollen ausgebaut werden (etwa für Schmerzpatienten oder Psychotherapie), ebenso die Primärversorgung zwecks kürzerer Wartezeiten. Das Pflegepersonal soll aufgewertet werden. Die Grünen fordern einen Rechtsanspruch auf Pflegekarenz und -teilzeit sowie die Einführung einer einheitlichen Krankenversicherung.
Liste Jetzt: Die Kassenverträge sollen verbessert werden, um die Abwanderung der Ärzte ins Wahlarztsystem zu verhindern. Eine Impfpflicht soll eingeführt, und Cannabis für die Medizin eingeführt werden.
Schule
ÖVP: Die Schulpflicht soll nicht mit einem bestimmtem Alter enden sondern mit dem Erreichen von Mindeststandards in Lesen, Schreiben, Rechnen (Bildungspflicht). Man plädiert für eine Stärkung der Autorität der Lehrer. Weiters auf dem Programm: die Digitalisierung des Unterrichts.
SPÖ: Die klassischen Schulfächer sollen abgeschafft und durch „lebensnahe Themenfelder“ ersetzt werden, um den „Umgang mit komplexen Fragestellungen“ zu vermitteln. Im Programm steht auch ein „Chancenindex“: Je größer die Probleme an einer Schule sind, desto mehr Lehrer sollen dort zum Einsatz kommen.
FPÖ: Man will Schulen für besonders begabte Schüler einrichten. An den Deutschförderklassen und den Leistungsgruppen in den Neuen Mittelschulen (NMS) soll festgehalten werden, ebenso an den Sonderschulen. Strikt abgelehnt werden Gesamt- und verschränkte Ganztagsschule.
Neos: Bildung ist für Neos das Schlüsselthema schlechthin. Für die Schulen wünscht man sich mehr Autonomie in inhaltlicher, personeller und finanzieller Hinsicht. Eine „mittlere Reife“ als Qualitätscheck wird angestrebt. Ebenso fordert man, die „Lehrpläne zu entrümpeln und unsere Schulfächer neu zu denken“.
Grüne: Zentral ist für die Grünen die Gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen („kein Kind zurücklassen“). „Umfassende Bildung statt reinem Prüfungswissen“ lautet ein Motto. Mehr Geld für sogenannte Brennpunktschulen und mehr Unterstützungspersonal als Entlastung für Lehrer sind weitere Forderungen.
Liste Jetzt: Es muss flächendeckend Ganztagsschulen mit individueller Förderung geben; gefordert wird eine gemeinsame Schule der Fünf- bis 15-Jährigen plus eine „mittlere Reife“. Die Mittel fürs Deutschlernen sollen verdoppelt werden. Gefordert wird ein Verbot religiöser Symbole in öffentlichen Schulen.
Wohnen
ÖVP: Die Partei will marktwirtschaftliche Anreize setzen, damit mehr Wohnraum geschaffen wird und so die Mieten sinken. Ebenso wird die Erhöhung der Eigentumsquote angestrebt. Junge Menschen sollen durch die Befreiung von staatlichen Gebühren beim Kauf des ersten Eigenheims bis zu einer Höhe von 20.000 Euro unterstützt werden.
SPÖ: Im Mittelpunkt steht für die SPÖ die Forderung nach „leistbarem Wohnen“. In diesem Sinne tritt man für ein bundesweites Mietrecht für alle mit Mietpreisobergrenzen ein, die zehnprozentige Mehrwertsteuer auf Mieten soll gestrichen werden; für junge Familien soll es zinslose Darlehen zur Bezahlung der Kaution geben.
FPÖ: Die Schaffung von Wohnungseigentum soll gefördert, der soziale Wohnbau forciert werden. Bei Gemeindebauten verlangt man eine Bevorzugung von Einwohnern mit österreichischer Staatsbürgerschaft.
Neos: Ein Einkommensmonitoring im sozialen Wohnbau soll für mehr Gerechtigkeit sorgen: steigt/sinkt das Einkommen, steigt/sinkt die Miete. Daraus entstehende Mehreinnahmen will man in den Wohnbau bzw. in Sanierungen reinvestieren. Der Eintritt in alte und günstige Mietverträge soll erschwert werden und nur für Partner und unterhaltsberechtigte Kinder möglich sein.
Grüne: Gesetzlich festgelegte Höchstmieten für alle Gebäude, die älter als 30 Jahre sind, stehen im Mittelpunkt. Man will Grund und Boden der Spekulation entziehen, um Bauland zu mobilisieren; ebenso fordert man eine Forcierung des gemeinnützigen Wohnbaus in Boom-Regionen.
Liste Jetzt: Befristete Mietverträge soll es nur in Ausnahmefällen geben. Die Maklergebühren muss der Auftraggeber (also ggf. der Vermieter) übernehmen. Man plädiert für eine Zweckbindung der Wohnbauförderung für sozialen Wohnbau sowie für die Senkung der Einkommensobergrenzen im geförderten Wohnbau.
Europa
ÖVP: Zentrale Idee ist die Stärkung der Subsidiarität: „Mehr Europa“ soll es in großen Fragen wie Außengrenzschutz oder Welthandel geben, dafür „weniger Europa“ in jenen Fragen, die auf nationaler Ebene besser gelöst werden können. Man will eine Verschlankung der EU-Institutionen, spürbare Sanktionen für Schuldenländer – und keinen größeren Beitrag zum EU- Budget.
SPÖ: Gefordert wird die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping. Es soll einsehbare Lobbyregister für alle EU-Institutionen geben. Man will ein Investitionsprogramm in Infrastruktur, Innovation und Green Jobs und verbindliche Klimaziele („Green New Deal“).
FPÖ: Die EU wird von der FPÖ nicht abgelehnt, aber man nehme im Interesse Österreichs eine EU-kritische Haltung ein. Das Leitbild lautet „Europa der Vaterländer“, das bedeutet „mehr Österreich“ statt „EU-Zentralismus“, Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips, Bekämpfung des „Regulierungswahns“.
Neos: Vereinigte Staaten von Europa werden als langfristiges Ziel genannt. In diesem Sinne fordert man die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ebenso wie gesamteuropäische Listen für die Wahlen zum Europäischen Parlament.
Grüne: Die Grünen wünschen sich eine gemeinsame Außen- und Friedenspolitik, eine Aufwertung des EU-Parlaments sowie transnationale Listen. Die Einstimmigkeit in der Außen- und Steuerpolitik will man abschaffen, den Stabilitätspakt aufweichen. Ein zentrales Prinzip lautet: Die EU muss eine Sozialunion werden.
Liste Jetzt: Die Liste Jetzt warnt vor einem Zerfall der EU. Abgelehnt wird ein türkischer EU-Beitritt, gefordert wird ein schärferes Vorgehen gegen europäische Grundwerte verletzende Mitgliedsstaaten; das Einstimmigkeitsprinzip will man abschaffen.