KURIER-Fakten-Check: Wo gibt es die „Dreiklassen-Medizin“?
Von Christian Böhmer
Für Andreas Huss, den Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, ist die Sache klar: „Die Regierung schafft eine Dreiklassenmedizin. Beamte und Politiker sitzen in der ersten Klasse, die Selbstständigen in der zweiten und die ,Holzklasse’, das sind die sieben Millionen Versicherten der neuen Österreichischen Gesundheitskasse, kurz ÖGK.“ Ist das eine unsachliche Zuspitzung oder Faktum? Wie gerecht ist das Gesundheitssystem wirklich? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen:
Bringt die Kassen-Reform die versprochene Harmonisierung und damit mehr Gerechtigkeit?
Streng genommen: nein. Vorerst werden nur die neun Gebietskrankenkassen (GKK) in einer neuen Kasse, der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), zusammengefasst. Die Leistungen der GKK sind weitgehend harmonisiert, sprich: Ob ein Patient bei der Steirischen oder der Wiener Gebietskrankenkasse versichert ist, hat für ihn in der Praxis schon jetzt wenig Unterschied gemacht.
Werden Versicherte der Beamten- oder Selbstständigen-Versicherung bei Arztbesuchen bevorzugt?
„Zum Teil ist das so“, antworten Experten wie der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer. „Wenn Sie selbstständig oder Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sind und einen Facharzt-Termin wollen, kommen sie rascher zum Zug.“ Warum? Das hängt damit zusammen, dass Träger wie die SVA oder BVA gegenüber den Ärzten großzügiger sind. „Zum Teil sind die bezahlten Tarife für ärztliche Leistungen fast doppelt so hoch – entsprechend attraktiver sind diese Patienten für die Ärzte“, sagt Pichlbauer. Auch die Zuzahlungen, die „kleinere“ Krankenkassen im Vergleich zur ÖGK leisten, sind geringer: Bei BVA-Versicherten werden laut Hauptverband für Zahnimplantate bis zu 700 Euro übernommen; Versicherte der GKK erhalten maximal 156 Euro. Und: In manchen Bundesländern übernimmt die BVA bei einigen Spitälern die Sonderklasse-Gebühren. Die BVA verteidigt die Unterschiede damit, „dass die BVA-Versicherten einen höheren Krankenversicherungsbeitrag zu leisten haben und bei gewissen Behandlungen zusätzlich einen Behandlungsbeitrag leisten müssen.“ Dementsprechend anders sei auch das Leistungsportfolio.
Ist es sinnvoll, dass in Österreich der Job entscheidet, in welcher Krankenversicherung man Beiträge bezahlt?
Für Experten ist das eines der Haupt-Probleme des Systems. „Die berufsständige Organisation nach österreichischem Vorbild stellt in Europa mittlerweile ein absolutes Unikum dar“, sagt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien, kurz IHS.
Wäre es klug, alle Kassen zu fusionieren?
Viele Gesundheitsökonomen würden das begrüßen. „Das große Problem ist derzeit, dass es weiter keinen Solidarausgleich zwischen Angestellten, Beamten und Selbstständigen gibt“, sagt Experte Czypionka. Die auch nach der Fusion der GKK weiter bestehende Zersplitterung bedeutet: Alle Patienten, die vergleichsweise wenig ins System einzahlen und viel an Leistungen in Anspruch nehmen (Arbeitslose, Bezieher von Mindestsicherung, Asylwerber etc.) bleiben ausnahmslos bei der ÖGK versichert. „Im Unterschied dazu sind die Versicherten der Beamtenversicherung besser gebildet, verdienen mehr, verlieren seltener ihren Job – und sind deshalb weniger krank. Es ist eine andere sozio-ökonomische Schicht“, sagt Pichlbauer. Die Behauptung, der aktuelle Zustand sei die Schuld der Bundesregierung lässt der Experte freilich nicht gelten: „Schon 1955 hätte man die Kassen fusionieren können. Damals waren es aber die Arbeiter, die gesagt haben: ,Wir wollen weiterhin in einer eigenen Krankenkasse versichert sein.’“