Bundesstaatsanwalt: Wieso die langjährige Forderung nun vor einem Durchbruch steht
Die ÖVP will einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt etablieren. Diese Forderung erhob am Montag Klubchef August Wöginger in einer schriftlichen Stellungnahme. Die Umsetzung könnte gelingen, denn SPÖ, Grüne und NEOS plädieren seit vielen Jahren für eine entsprechende Position, konnten die Volkspartei dafür aber bisher nicht gewinnen. Die entscheidende Frage wird wohl werden, ob der Bundesstaatsanwaltschaft an die Spitze der Weisungskette rückt oder diese beim Minister bleibt.
Laut ÖVP-Insidern soll der Bundesstaatsanwalt mittels Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat bestellt werden. Offenbar soll auch die Strafprozessordnung reformiert werden. Dazu soll es im Vorverfahren zu einer Kontrolle der Staatsanwaltschaften durch einen Richter kommen und/oder auch zu einer parlamentarischen Kontrolle. Diese geplante Reform soll nun vorerst mit Rechtsanwälten, Richtern, Staatsanwälten, der Wissenschaft und dem Parlament diskutiert werden.
"Nach zahlreichen Verfehlungen kann ich nur sagen, so kann es nicht weitergehen, wir müssen hier westeuropäische Standards schaffen", sagt Wöginger.
Anlass für die ÖVP-Initiative sind offenkundig die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), die zuletzt trotz einer nicht allzu eindeutigen Verdachtslage zu einer Hausdurchsuchung beim Ressortchef geführt hatten.
Direkt angesprochen wird in der Aussendung freilich weder die Blümel-Angelegenheit (bzw. nur in einem Nebenaspekt) noch die WKStA direkt. Ausgeführt wird von Wöginger dafür allerlei, womit diese Staatsanwaltschaft während der vergangenen Monate in die Schlagzeilen gekommen war: die rechtswidrige Hausdurchsuchung im BVT, die zu einem internationalen Imageschaden für Österreich geführt habe, eine Anzeige gegen eine Journalistin sowie gegenseitige Abhörungen und Anzeigen innerhalb der Beamtenschaft, womit auf den Dauerkonflikt zwischen WKStA und Oberstaatsanwaltschaft bzw. Sektionschef Christian Pilnacek angespielt wird.
Nicht zuletzt habe es immer wieder Leaks gegeben, die dazu geführt hätten, dass Verfahren medial ausgetragen würden und es zu einer Vorverurteilung von unschuldigen Betroffenen komme, schreibt Wöginger. Andere Länder hätten diese Probleme nicht. Daher will sich die ÖVP ein Beispiel an den Generalbundesanwälten in Deutschland und der Schweiz nehmen.
Bezüglich der Umsetzung meint der Klubchef, es solle eine Diskussion mit Rechtsanwälten, Richtern, Staatsanwälten, der Wissenschaft und dem Parlament geben. Ziel sei eine doppelte Kontrolle der Staatsanwaltschaften durch Richter im Vorverfahren und parlamentarische Kontrolle, was auch immer mit letzterem gemeint ist. In Deutschland ist neben dem zuständigen Minister auch der Bundesrat in die Ernennung des Generalbundesanwalts einbezogen. Er dient als weisungsunabhängiger Beamter.
Unabhängige Weisungsspitze
Die ehemalige SPÖ-Justizministerin Maria Berger sieht im Justizsystem in Österreich Nachholbedarf: „Wir sind in Europa eines der letzten Länder, wo noch der Justizminister die oberste Weisungsspitze bildet. In fast allen Ländern gibt es einen Generalbundesanwalt, oder Generalstaatsanwalt, der natürlich Weisungen geben kann, aber so gut als möglich vor politischem Einfluss geschützt ist.“ Auch der ehemalige ÖVP-Nationalratspräsident Andreas Khol sprach sich für eine unabhängige Weisungsspitze der Staatsanwälte aus. An der Spitze der Strafverfolgungsbehörden sollte ein Bundesanwalt stehen, der die handelnden Behörden überprüft.
"Darf kein Schattenminister sein"
Cornelia Koller, Präsidentin der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, trat ebenfalls für eine unabhängige Weisungsspitze ein. Diese Person müsste die Voraussetzung für das Richteramt erfüllen und langjährige Expertise im Strafrecht haben. Auch die Bestellung müsse unabhängig sein: „Das darf kein Schattenminister sein, das muss unbedingt verhindert werden“, warnte sie.
In der Causa Blümel verteidigte Koller die WKStA. Die Hausdurchsuchung sei richterlich genehmigt worden. Laut Khol wurde die richterliche Genehmigung schon am 23. Dezember des Vorjahres erteilt. Warum sei keine Besprechung mit Blümel gemacht worden, und warum sei der Oberstaatsanwaltschaft nicht drei Tage vorher berichtet worden, fragte er.
Dieses den Beschuldigten schützende Recht sei hier verletzt worden, so Khol. Dass die Staatsanwaltschaft eine Frist bekomme, innerhalb der sie die Hausdurchsuchung durchführen könne, sei üblich und hänge mit den Ermittlungen zusammen, entgegnete Koller. Die Berichtspflicht an die Oberstaatsanwaltschaft sei eine interne Qualitätssicherung, habe aber nichts mit Beschuldigtenrechten zu tun. Der Beschuldigte könne die gerichtliche Bewilligung einer Hausdurchsuchung mit einer Beschwerde bekämpfen, diese Beschwerde habe aber keine aufschiebende Wirkung.
Die Aufsichtsrätin bei Novomatic
„Im gegenständlichen Fall hat die Qualitätssicherung nicht stattgefunden, weil die Oberstaatsanwaltschaft den Bericht erst am Vortag bekommen hat“, empörte sich Khol. Es sei auch die Frage der „Namensverwechslung“ nicht geprüft worden. Damit meinte er, dass ein im Kalender von Novomatic-Eigentümer Johann Graf eingetragener Termin mit Kurz nach dessen Angaben nicht Bundeskanzler Kurz betroffen habe, sondern seine, Grafs, Schwiegertochter Martina Kurz, die Aufsichtsrätin bei Novomatic war.
Berger hingegen sagte, ob hier die Staatsanwaltschaft etwas falsch gemacht habe oder nicht, das würden die Gerichte klären. Die Beschuldigten könnten Rechtsschutz bei den Gerichten suchen. Für problematisch hält sie, dass die ÖVP in einer parlamentarischen Anfrage versuche, die Staatsanwaltschaft in ein schlechtes Licht zu rücken und von einem Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft spreche. „Normale Beschuldigte können nicht eine parlamentarische Anfrage stellen, um sich eine bessere Position zu erkämpfen.“
Wolfgang Peschorn
Die Parteienfinanzierung in Österreich sollte transparenter werden und der Rechnungshof echte Kontrollrechte bekommen, forderte der Politologe Filzmaier. Auch der Präsident der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, will mehr Transparenz:
„Wer staatliche Mittel erhält, muss auch voll Einsicht geben, daher gilt das auch für die Parteien.“ Khol verwies auf das aktuelle Regierungsprogramm, wonach der Rechnungshof Einsicht in die Bücher der Parteien bekommen soll. Dies sei nur wegen der Pandemie bisher nicht umgesetzt worden. Auch Berger sprach sich für umfassende Prüfungen der Parteifinanzen durch den Rechnungshof aus.
Reaktion der Neos
Einigermaßen überrascht reagiert Neos-Justizsprecher und Tiroler Anwalt Johannes Margreiter auf die türkise Forderung nach einem unabhängigen Bundesstaatsanwalt. „Wir sehen, was in diesem Land plötzlich möglich ist, wenn die ÖVP unter Druck gerät und von den laufenden Ermittlungen gegen Finanzminister Blümel ablenken will. Das Thema ist aber zu wichtig, um als türkise Nebelgranate zu enden. Der Versuch von ÖVP Klubobmann Wöginger, den Ermittlungen der WKStA ein parteipolitisches Fähnchen anzuhängen, ist durchsichtig“. Margreiter gibt außerdem zu bedenken, dass „solch eine heikle Reform sorgfältig durchdacht sein will und kein türkiser Schnellschuss in Anbetracht der für die ÖVP unangenehmen Ermittlungen in der Causa Blümel sein darf.“
„Sollte es der ÖVP tatsächlich um die Einsetzung eines wirklich unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltes gehen, muss sie nur dementsprechende Neos-Anträge unterstützen“, verweist Margreiter entsprechende Anträge im Justizausschuss und auf die morgige Sondersitzung des Nationalrates. „An der Spitze des Ministeriums sitzt bekanntlich ein Parteipolitiker – der Justizminister bzw. die Justizministerin – und der entscheidet in der Weisungskette, wie mit den Verfahren umgegangen wird. Aufgrund dessen ist es auch so wichtig, dass jeglicher Verdacht von Voreingenommenheit oder politischer Einflussnahme verhindert wird."