US-Experte: Demokraten-Niederlage wäre "schockierender" als 2016
Der US-Politikexperte Bob Shrum rechnet mit einem Sieg der Demokraten bei der Kongresswahl am 6. November. Sollte dieser nicht eintreten, werde es in der Oppositionspartei "großen Aufruhr und tiefe Enttäuschung geben", sagte Shrum im APA-Interview. "Es wäre so schockierend oder noch schockierender für die Demokraten als das Ergebnis 2016", sagte er mit Blick auf den überraschenden Wahlsieg Trumps.
Der frühere langjährige Politikberater glaubt indes, dass ein Wahlsieg die Chancen der Demokraten bei der Präsidentenwahl 2020 verbessern würde. "Ich glaube nicht, dass ein demokratisches Repräsentantenhaus gut für eine Wiederwahl Donald Trumps wäre. Es würde den Demokraten die Gelegenheit geben, die politische Agenda zu bestimmen und einen Kontrast zum Präsidenten zu schaffen", zieht der Experte einen Vergleich zur Zwischenwahl 2006, als der damalige republikanische Präsident George W. Bush die Kontrolle des Parlaments verlor, und 2008 die Demokraten auch die Präsidentschaft zurückeroberten.
Eine Absetzung durch ein demokratische Repräsentantenhaus muss Trump nicht unmittelbar fürchten. "Ich glaube nicht, dass die Führung der Demokraten eine Amtsenthebung einleiten wird", so Shrum. Man werde zunächst den Bericht von Sonderermittler Robert S. Mueller abwarten, "bevor man sich auf dieser Front bewegt".
Shrum war seit den 1970er-Jahren zunächst als Redenschreiber und dann als Wahlkampfmanager für zahlreiche demokratische Politiker tätig, darunter die Präsidentschaftskandidaten Ted Kennedy, John Kerry, Al Gore, Joe Biden und Bernie Sanders. Im Jahr 2009 zog er sich aus der Politikberatung zurück und ist Professor für Politikwissenschaft am Dornsife College der University of Southern California (USC) in Los Angeles, deren Meinungsforscher im Jahr 2016 als einzige den möglichen Wahlsieg Trumps vorhergesagt haben.
"Unsere Umfrage hat beständig vorhergesagt, dass Trump eine Siegeschance hat, und die Leute dachten, dass es ein Ausreißer ist", erinnert Shrum. "Aber es stellte sich als richtig heraus." Auch diesmal könne man das Wahlergebnis nicht mit absoluter Sicherheit vorhersagen, aber die Umfragen zeigten eine "bemerkenswerte Stabilität" zeigen. Im September hätten die Demokraten einen Vorsprung von 14 Prozentpunkten gehabt, bei einer neuen Erhebung in der Vorwoche 13 Prozent, was im Bereich der statistischen Fehlerquote sei.
"Vorhersagen sind immer gefährlich, aber wenn ich eine Schätzung abgeben müsse, dann würde ich sagen, dass die Demokraten 30 Sitze im Repräsentantenhaus dazugewinnen, wodurch sie die Mehrheit hätten", so Shrum. Derzeit haben die Republikaner mit 235 zu 193 Sitzen die Mehrheit im 435-köpfigen Abgeordnetenhaus, das jedes zweite Jahr komplett neu gewählt wird.
Traditionell hätten die Demokraten bei Zwischenwahlen Schwierigkeiten, ihre Anhänger zu mobilisieren. "Heuer könnte es anders sein", verweist Shrum auf die deutlich höhere Beteiligung an den demokratischen Vorwahlen und Umfragewerte. Das alte Muster, wonach die Beteiligung bei den Midterms unter jener der Präsidentenwahlen liegt, könnte gebrochen werden. "Die Triebfeder dafür ist die Einstellung gegenüber Donald Trump."
Shrum glaubt auch nicht, dass der Präsident mit dem Migrationsthema, illustriert durch die aktuelle "Flüchtlingskaravane" in Mittelamerika, stark punkten könne. "Ich glaube, dieses Argument verfängt zwar bei seiner Basis, aber ich glaube nicht, dass das bei unabhängigen und gemäßigten Wählern wie gebildeten Frauen in den Vorstädten der Fall ist, die sich massiv in Richtung der Demokraten bewegt haben."
Der Experte räumt ein, dass die Beteiligung der Jungwähler ("Millennials") ein Fragezeichen ist. Auf die Unterstützung dieser Wählergruppe, die sich in der Vergangenheit kaum an Zwischenwahlen beteiligt hatten, bauen die Demokraten. Umfragen lassen eine deutlich höhere Beteiligung der "Millennials" erwarten, so Shrum, aber: "Wir wissen nicht, ob sie tatsächlich zur Wahl gehen werden." Die Beteiligung müsse aber auch nicht massiv steigen, schon ein Anstieg um zehn oder 15 Prozentpunkte würde für die Demokraten reichen. Schließlich seien diese etwa auch bei älteren Wählern vor den Republikanern.
Die Mehrheit in der wichtigeren der beiden Parlamentskammern, dem Senat, dürfte die Regierungspartei behalten. "Außer, es kommt zu einem blauen Tsunami und nicht nur zu einer blauen Welle", sagt Shrum mit Blick auf die Parteifarbe der Demokraten. "Der Senat ist für die Demokraten eine äußerst schiefe Ebene, weil sich viel mehr demokratische Senatoren der Wahl stellen müssen als Republikaner, und viele davon in 'roten Staaten', die für Donald Trump gestimmt haben." Einige demokratische Senatoren in diesen Staaten könnten sich behaupten, andere seien "in Gefahr". Umgekehrt hätten demokratische Kandidaten in bisher roten Staaten wie Arizona oder Nevada eine Siegeschance.
Entscheidend könnte Texas werden. Sollte es der Demokrat Beto O'Rourke dort schaffen, den republikanischen Senator Ted Cruz zu besiegen, "dann würde die unwahrscheinliche Variante, dass die Demokraten den Senat übernehmen, wahrscheinlich". O'Rourke selbst wäre dann "mit einem Schlag ein nationales Phänomen", schließt Shrum auch eine Präsidentschaftskandidatur des bisherigen Kongressabgeordneten im Jahr 2020 nicht aus.
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/ APA)
(GRAFIK 1102-18, Format 88 x 164 mm)