Politik/Ausland

Bei Angriff auf Ukraine: Russland verletzte polnischen Luftraum

Die mutmaßliche Verletzung des polnischen Luftraums durch einen russischen Marschflugkörper am frühen Sonntagmorgen hat diplomatische Konsequenzen. Polen werde den russischen Botschafter ins Außenministerium in Warschau zitieren, der sich dazu erklären müsse, sagte Vize-Außenminister Andrzej Szejna nach Angaben der Agentur PAP. Von den Informationen des Botschafters hänge das weitere Vorgehen ab.

Am 24. März um 4.23 Uhr habe eine Verletzung des polnischen Luftraums durch einen in dieser Nacht von einem Langstreckenflugzeug Russlands abgeschossenen Marschflugkörper stattgefunden, schrieb der Generalstab der polnischen Streitkräfte auf der Plattform X (vormals Twitter).

Ziele der Angriffe seien Städte in der Westukraine gewesen. Das Objekt sei in der Nähe des Dorfes Oserdow in den polnischen Luftraum eingetreten und sei dort 39 Sekunden lang geblieben.

20 Raketen, 7 Drohnen

Während des gesamten Fluges sei es von militärischen Radarsystemen beobachtet worden, hieß es weiter. Es seien alle notwendigen Verfahren zur Gewährleistung der Sicherheit des polnischen Luftraums eingeleitet worden. 

Nach Angaben von Verteidigungsminister Wladysław Kosiniak-Kamysz drang das russische Flugobjekt 1.000 bis 2.000 Meter tief auf polnisches Territorium vor. Eine Entscheidung müsse immer im Einzelfall getroffen werden. "Aber wenn es irgendeinen Hinweis darauf gegeben hätte, dass dieses Objekt auf ein Ziel im Hoheitsgebiet der Republik zusteuert, wäre es natürlich abgeschossen worden", sagte Kosiniak-Kamysz der Agentur PAP zufolge in Krakau

Polnische und US-amerikanische Kampfjets F-16 seien aktiviert worden.

Vorladung und Protestnote

Diese hätten das Objekt rechtzeitig erreichen und mit ihren Raketen vernichten können, sagte ein Berater des Ministers, General Mieczyslaw Bieniek, der Zeitung Wiadomosci zufolge. Nach ukrainischen Angaben galt der russische Angriff mit Marschflugkörpern und später mit Hyperschallraketen Kinschal einem Infrastrukturobjekt im Gebiet Lwiw.

Das polnische Militär hatte bereits Ende Dezember die Verletzung seines Luftraums durch eine russische Rakete festgestellt. Das Außenministerium in Warschau hatte daraufhin den Geschäftsträger der russischen Botschaft vorgeladen und ihm eine Protestnote übergeben. Darin wurde Russland zu einer "Erklärung des Vorfalls, der Luftraumverletzung und der sofortigen Einstellung solcher Aktivitäten" aufgefordert.

Massive Luftangriffe

Im November 2022 war in einem polnischen Dorf im Grenzgebiet zur Ukraine eine Rakete eingeschlagen, zwei Zivilisten kamen ums Leben. Der Westen geht davon aus, dass es sich um eine ukrainische Flugabwehrrakete gehandelt hat, die zur Verteidigung gegen russische Angriffe eingesetzt worden war.

Russland überzog die ukrainische Hauptstadt Kiew und die Region Lwiw im Westen des Landes in der Nacht auf Sonntag mit massiven Luftangriffen. "Explosionen in der Hauptstadt. Die Luftabwehr funktioniert. Verlassen Sie die Schutzräume nicht", schrieb der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko im Online-Dienst Telegram. 

Der Gouverneur der Region Lwiw, Maksym Kosyzkyj, meldete Raketenangriffe auf den Kreis um die südlich von Lwiw gelegene Stadt Stryj. Zuvor war in der gesamten Ukraine Luftalarm ausgerufen worden.

"Er gibt sein Ziel, Kiew um jeden Preis zu zerstören, nicht auf"

Kiews Militärverwaltungschef Serhij Popko erklärte bei Telegram, die Raketen seien in der Morgendämmerung "in Gruppen" auf die Hauptstadt abgefeuert worden. Vorläufigen Berichten zufolge habe es keine Verletzten oder Schäden gegeben, schrieb Popko. Die Luftabwehr der Stadt habe "etwa ein Dutzend" Raketen getroffen. "Der Feind setzt seinen massiven Raketenterror gegen die Ukraine fort", erklärte Popko weiter. "Er gibt sein Ziel, Kiew um jeden Preis zu zerstören, nicht auf."

Lwiws Bürgermeister Andriy Sadowyj zufolge wurden etwa 20 Raketen und sieben Shahed-Drohnen aus iranischer Produktion auf die Region abgefeuert, die auf kritische Infrastruktureinrichtungen abgezielt hätten. Laut Behörden wurde dabei auch eine nicht näher bezeichnete Anlage der kritischen Infrastruktur getroffen.

In der Industriestadt Krywyj Rih im Süden hätten herabfallende Trümmer Heizungs- und Stromnetze beschädigt, teilte der Verwaltungschef des Gebiets Dnipropetrowsk, Serhij Lysak, mit. "Mehrere Heizkraftwerke in der Stadt wurden wegen des Spannungsabfalls abgeschaltet." Deshalb seien sechs Krankenhäuser, mehr als 150 Schulen sowie 3.000 Wohnhäuser mit 76.000 Bewohnern vorübergehend ohne Heizung.

Nach Zählung der ukrainischen Luftwaffe griff Russland nachts mit 29 Marschflugkörpern der Typen Ch-101 und CH-555 an. Sie seien von 14 strategischen Bombern über dem Wolga-Gebiet abgefeuert worden, teilte Kommandant Mykola Oleschtschuk mit. Außerdem seien von der annektierten Halbinsel Krim 28 Kampfdrohnen gestartet worden. Die ukrainische Armee habe 18 der Marschflugkörper und 25 Drohnen abgefangen. Die Flugabwehr sei in allen Landesteilen im Einsatz gewesen.