Uiguren fordern in Wien Anerkennung ihres Leidens als Völkermord
Die Uiguren, die in der Volksrepublik China als ethnische Minderheit unterdrückt werden, fordern eine Anerkennung ihres Leidens als Völkermord. Der Präsident des Uiguren-Weltkongresses, Dolkum Isa, sprach am Donnerstagabend im Parlament in Wien von der drohenden "Auslöschung von Leben, Kultur und Religion".
Die Aktivistin Sayragul Sauytbay, die selbst in einem Uiguren-Lager inhaftiert war, hofft nach dem Erscheinen des UNO-Menschenrechtsberichts zur Lage der Uiguren auf ein stärkeres Aufbegehren der Weltgemeinschaft "gegen die Verbrechen Chinas".
Nach den Worten von Uiguren-Präsident Isa hat sich die Situation der Volksgruppe in den vergangenen fünf, sechs Jahren erheblich verschlechtert. Mindestens drei Millionen Uiguren werden in Lagern vermutet. Über eine Million uigurische Kinder wachsen schätzungsweise von ihren Eltern getrennt auf, teils in anderen Regionen Chinas.
UNO-Bericht noch "zurückhaltend"
Peking gehe es, so Isa, "um die physische Vernichtung inner- und außerhalb der Lager, Sterilisation, Zerstörung von Bauwerken wie Moscheen und Friedhöfen, sowie Zwangsarbeit", zu der Uiguren vor allem auf den Baumwollfeldern eingesetzt würden. Der von den Uiguren gelebte Islam sei in den Augen Pekings "eine ideologische Krankheit".
"Der lange Arm Chinas" reiche bis in die Diaspora, berichtete Isa weiter. Familienmitglieder von Aktivisten würden zu Geiseln des Regimes. Seine Mutter sei auch in einem der Lager umgekommen. Zudem verbreite die Wirtschaftsmacht China "beschönigende" Falschinformationen.
"Es ist Zeit zum Handeln", forderte der Uiguren-Präsident die Staatengemeinschaft auf, die "eine moralische und rechtliche Verpflichtung" habe. Inzwischen hätten UNO und Europäisches Parlament Stellung bezogen. Den Bericht der scheidenden UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet wertete Isa als "zurückhaltend". Man setze Hoffnung in deren designierten Nachfolger, den Österreicher Volker Türk.
Auch ehemalige Lager-Insassin spricht
Die Aktivistin Sauytbay pocht ebenfalls auf "eine Verurteilung Chinas". Die ausgebildete Ärztin und Lehrerin erlebte vor ihrer Flucht ins Ausland schreckliche Monate in einem Camp: "Ich bin Zeugin und Opfer von Chinas Konzentrationslagern", schilderte sie laut Übersetzerin vor dem Forum. Sauytbays Familie entkam nach Kasachstan, doch sie selbst wurde Opfer einer willkürlichen Festnahme. "Ich wurde geschlagen, gefoltert, bedroht."
Im November 2017 kam die Aktivistin in ein Lager, wo sie unterrichten - "und schweigen" - musste. Dabei wurde sie Zeugin "von Unterdrückung, Folterung und Vergewaltigungen". Im März 2018 kam sie frei unter der Drohung, den nächsten Lageraufenthalt als Gefangene erleben zu müssen.
In dem Buch "Kronzeugin" hat die deutsche Journalistin Alexandra Cavelius die Internierung von Sayragul Sauytbay beschrieben. Die Autorin, die ebenfalls in Wien zugegen war, sieht in dem Buch "einen Weckruf für die Welt". Nach intensiven Studien und ihrem weiteren Buch unter dem Titel "China Protokolle" beurteilt sie das Leiden der Uiguren als "eine der größten Menschenrechtskatastrophen auf der Welt".
Chinesisches Überwachungssystem solle "bis 2055 Europa erreichen"
"Der ethnische Genozid wurde geplant", ist die Aktivistin Sauytbay überzeugt, die wie Isa heute im westlichen Europa im Exil lebt. Ab 2006 seien Kultur, Religion und Sprache praktisch verboten worden. Das Siedlungsgebiet Ostturkestan sei allmählich von Han-Chinesen unterwandert worden. Die Region verfüge über wertvolle Bodenschätze wie Seltene Erden, deren Abbau zu Umweltzerstörung geführt habe. China verstärke nun seinen Einfluss auf die Nachbarstaaten wie Kasachstan und das durch den Ukraine-Krieg geschwächte Russland.
"Das Unrechtsregime dauert an", resümierte Cavelius ihrerseits. China habe noch viel vor. Es plane den "stufenweisen Ausbau des Überwachungssystems", das zuerst auf die Nachbarn ausgerichtet sei, dann immer weiter reichen und "spätestens 2055 bis Europa" reichen solle. In China selbst habe zuletzt die "Null-Covid-Strategie" den Menschen Schaden zugefügt. Diese Restriktionen bedeuteten ein wochenlanges Wegsperren, das Ende von Kontakten, oft auch den Tod von Menschen, so die deutsche Autorin.