Syrien-Konflikt: "Erdoğan hat einen Plan, Europa nicht"
Eine geplante Annexion Nordsyriens durch die Türkei schließt Walter Posch, Türkei- und Nahostexperte am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement, aus. Gebietseroberungen könnte die Türkei aber „als Faustpfand“ in Verhandlungen verwenden, sagte Posch am Donnerstag vor Journalisten.
„Ab dem Zeitpunkt, wenn Syrien offiziell die Kontrolle über das Gebiet übernimmt, kann ein Kompromiss mit Damaskus – mit russischer Vermittlung – ausverhandelt werden.“ Posch geht „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ von einer „gesichtswahrenden“ Lösung aus. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan werde diese dann „als begnadeter Populist auch seiner Bevölkerung verkaufen können“, ist er überzeugt. Wichtig für Erdoğan sei allerdings, dass er die Repatriierung von bis zu 250.000 Flüchtlingen nach Nordsyrien bewerkstelligen kann.
„Erdoğan hat einen Plan, Europa nicht“, stellt der Experte trocken fest. Die Türkei achte derzeit genau darauf, das sogenannte „Adana-Abkommen“ mit Syrien aus dem Jahr 1998 einzuhalten. Dieses erlaubt laut Posch der Türkei, bei der Terrorverfolgung bis zu fünf Kilometer südlich der türkischen Grenze in syrisches Gebiet einzudringen. „Kein türkischer Soldat steht derzeit tiefer als fünf Kilometer südlich der Grenze“, betont Posch.
Alle Gefechte, die außerhalb dieser Fünf-Kilometer-Grenze stattfinden, würden von Türkei-treuen Truppen geschlagen. Posch betont auch, dass derzeit in arabisch und nicht kurdisch besiedeltem Gebiet gekämpft wird, das Kurden regieren.
Zur Angst Europas vor freikommenden IS-Kämpfern gibt Posch zu bedenken, dass die Türkei derzeit „hermetisch abgeriegelt“ sei. Sollte allerdings die Region Idlib, wohin sich Islamisten zusammengezogen haben, zusammenbrechen, „dann wird die Türkei das nicht mehr sichern können“. Dann sei das für Europa eine große Gefahr.
Die sieht Posch aber nicht nur in IS-Kämpfern sondern auch von „Menschen mit europäischen Wurzeln oder Aufenthaltsgenehmigungen“, die auf Seiten der kurdischen YPG kämpften.
„Jeder Kämpfer, egal von wo er zurückkommt“, sei prinzipiell – ob seiner Kampferfahrung und Zugang zu Waffen – gefährlich, gab Verteidigungsminister Thomas Starlinger zu bedenken.
Es könne jederzeit und überall etwas geschehen, erinnerte er an den Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt. „Die Frage ist daher nicht, ob es passiert, sondern wie gut sind die Behörden dafür vorbereitet und gerüstet.“