Südsudan: Hunger frisst ein ganzes Land auf
Der Kontrast könnte kaum größer sein: Auf der einen Straßenseite mehrstöckige Luxushotels. Auf der anderen eine Baracke neben der anderen, notdürftig aus Blech, Ästen und Planen hergestellt. Mittendrin suchen Hühner und Ziegen nach Essbarem. Frauen sitzen vor offenen Feuerstellen, bereiten ein paar Bohnen oder Mais zu. Die Sonne brennt unbarmherzig auf sie herab. Schatten gibt es kaum. Und keinen Luftzug, der etwas Erleichterung verschafft.
Die vielen Kinder toben dennoch über die staubige Erde. Springen über die eingelassenen Steine, turnen auf den Kreuzen. Sie leben hier, auf dem Hai-Malakal-Friedhof. Mitten im Zentrum von Juba, der Hauptstadt des Südsudan, gehören die Toten zum Alltag der Lebenden.
Arm und reich zugleich
Der Südsudan zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Zwar ist das Land in Ostafrika fruchtbar und reich an Bodenschätzen. Doch bei der breiten Bevölkerung bleibt davon nichts hängen. Die Erträge wandern ins Ausland. Korruption ist allgegenwärtig.
Drei Viertel der Bewohner wissen nicht, was sie morgen essen werden. 1,6 Millionen Kinder sind unterernährt.
Zu den Ärmsten der Armen gehören auch die Bewohner des Hai-Malakal-Friedhofs.
Es sind Binnenvertriebene, die sich während des Bürgerkriegs 2012 hier niedergelassen haben. „Früher haben wir am Land gelebt, wir hatten Rinder“, erzählt eine Frau. Sie sitzt auf einem schmutzigen Teppich, ihr Blick wandert ins Leere. „Aber wir können nicht zurück, unser Dorf gibt es nicht mehr.“
Gerne wohnt hier niemand. „Hier gibt es Geister“, erzählen die Bewohner. Arbeit gibt es kaum. Lebensmittel sind teuer. Ein Becher Bohnen kostet 5 Dollar, ein Becher Mehl 3 Dollar. „Ich denke nicht an morgen“, sagt eine Frau. Neun Kinder muss sie versorgen.
Bildung ist Luxus
Bildung ist Luxus. Schule ist hier nicht gratis. „Manche Eltern schicken ihre Kinder deshalb lieber zum Betteln“, sagt Emanuel Warnyang. Er ist einer der „Chefs“ auf dem alten Friedhof und selbst Analphabet. Seine 16 Kinder sollen Bildung bekommen. „Damit sie ein besseres Leben haben.“
Von so einem träumt auch Viola. Die 14-Jährige steht selbstbewusst zwischen den Baracken. „Nein!“, sagt sie entschieden. „Ich will nicht gleich heiraten. Ich will studieren.“ Viola will Ärztin werden. Dass sie in die Schule gehen kann, verdankt sie einer Schulpatenschaft der Caritas. Insgesamt 80 Kinder und Jugendliche vom Friedhof werden auf diese Weise unterstützt. Sie sollen der Armut und dem Hunger entkommen.
Jüngster Staat
2011 verkündete der Südsudan die Unabhängigkeit vom Sudan. Die Lage im Land ist instabil, es herrscht Sicherheitsstufe sechs. Immer wieder kommt es zu bewaffneten Konflikten
30Euro
Damit können zwei Kinder ein Monat lang mit Mahlzeiten versorgt werden. 100 Euro kostet es, Saatgut und Werkzeug für eine Familie zu beschaffen
Spendenkonto
Caritas Österreich; BIC: GIBAATWWXXX; IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560; Kennwort:
Hungerhilfe
Lebensbedrohlich
Denn der ist allgegenwärtig. Eines von drei Kindern stirbt im Südsudan vor dem fünften Lebensjahr an Unterernährung. In Lologo erhalten deshalb dreimal pro Woche unterernährte Kinder nahrhafte Mahlzeiten mit Bohnen oder Linsen. 300 Kinder werden hier versorgt, der Bedarf kann bei Weitem nicht gedeckt werden. Es gibt Wartelisten.
Eine Frau ist mit ihrer kleinen Tochter gekommen. Ärzte messen den Armumfang des Kindes. „Knapp über 11 Zentimeter“, stellen sie fest. Das Kind ist an einer kritischen Grenze. Ab 11 Zentimetern spricht man von einer kritischen Unterernährung. „Mein Mann ist Polizist“, erzählt die Mutter. „Aber er hat seit Monaten kein Geld bekommen. Wir haben nichts.“
Der Mangel kann schwere Folgen haben. „Kinder, die in den ersten 1.000 Tagen an chronischer Unterernährung leiden, tragen bleibende Gehirnschäden davon“, sagt Andreas Knapp, Generalsekretär der Caritas Auslandshilfe.
„Länder wie der Südsudan brauchen unsere Unterstützung und eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit“, sagt Caritasdirektor Klaus Schwertner. „Wenn schon nicht aus Gründen der Nächstenliebe, dann doch aus Gründen der Vernunft. Wir sollten Menschen in ihren Heimatländern vor extremem Hunger bewahren, Fluchtursachen bekämpfen und Menschen eine Perspektive in ihrer Heimat ermöglichen.“
Kampf und Korruption
Die Sicherheitslage im Südsudan ist angespannt. Immer wieder kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Korruption ist ein gewaltiges Problem. „Sie wollen wissen, wie schlimm es mit der Korruption ist?“, fragt der Mann am anderen Ende des Tischs. Einst war er Politikberater im Südsudan. Doch seinen Namen sollen wir nicht schreiben. Kritische Stimmen werden hier nicht gerne gesehen. „Sie müssen mich fragen, wo es keine Korruption gibt“, hält er fest. Alle würden hier die Hand aufhalten. Konsequenzen habe das keine. „Wo es keine Regeln gibt, gibt es keine Strafen.“
Kritik am amtierenden Präsidenten Salva Kiir Mayardit – sein Markenzeichen ist der Cowboyhut – äußert man besser nicht laut. Demonstrationen gibt es nicht. „Bei uns kommt die Polizei nicht mit Wasserwerfern wie bei Ihnen“, sagt der Politikberater. „Bei uns wird geschossen.“ Journalisten, die ein Video veröffentlichten, in dem sich der Präsident bei einem offiziellen Termin einnässte, sitzen seither im Gefängnis.
Im Dezember soll es die ersten Wahlen geben. Wer als Sieger hervorgeht, steht jetzt schon fest – es wird der Mann mit dem Cowboyhut sein.
„Die Wahlen ändern gar nichts“, sagt der Politikberater. „Sie legalisieren nur den Istzustand.“
Doch es gibt Initiativen, um den Menschen direkt zu helfen. Etwa den Bauern, die darunter leiden, was in anderen Ländern teils verleugnet wird – die Klimakrise sorgt im Südsudan für Hitzerekorde. Bis zu 45 Grad heiß kann es hier werden, dazu kommt Sturzregen, der das Land überflutet. In Riimenze lernen Bauern, wie sie nachhaltige Landwirtschaft betreiben können. Welche Sorten, welche Anbaumethoden geeignet sind.
Dass es auch hier skeptische Stimmen gibt, nehmen die Schulungsleiter in Kauf. „Wir hören oft, das haben wir immer schon so gemacht. Aber es wird besser. Solche Dinge brauchen Zeit.“ Doch die Zeit wird knapp.
Die Reise fand auf Einladung der Caritas statt; der KURIER beteiligte sich an den Kosten.