Staus, Grenzkontrollen, kein Cheddar - die Folgen eines harten Brexit
Von Stefan Schocher
Vor dem EU-Sondergipfel am Mittwoch wächst die Sorge vor einem ungeregelten Ausscheidens der Briten aus der EU am Freitag. Was dies bedeuten würde, beschrieb die EU-Kommission so: "Ein 'No-Deal-Szenario' wäre extrem teuer und zerstörend", sagte Kommissionsvize Jyrki Katainen. Denn bei einem Austritt ohne Vertrag fiele die zwischen London und Brüssel vereinbarte Übergangsphase bis Ende 2020 weg, in der sich trotz Brexits erstmal fast nichts ändern sollte. Von heute auf morgen wären Dutzende rechtliche Fragen ungeklärt oder nur einseitig geregelt. Einige Beispiele:
Personenverkehr:
Um Flug-, Bahn- und Straßenverkehr aufrechtzuerhalten, hat die EU etliche Notfallmaßnahmen beschlossen. Sie gelten befristet und in der Annahme, dass Großbritannien ähnlich verfährt. Der große Verkehrsinfarkt etwa mit Streichung aller Flüge kurz nach einem No-Deal-Brexit wird nun nicht mehr befürchtet. Aber reibungslos werde es auch nicht gehen, meint die EU-Kommission: "Ein Austritt des Vereinigten Königreichs ohne Deal wird Störungen in allen Verkehrsarten verursachen, aber in unterschiedlichem Ausmaß."
Reisende können erwarten, dass sie kein Visum brauchen. Die EU hat dies für Briten so beschlossen. Die Regelung gilt für drei Monate. Allerdings unter der Voraussetzung, dass Großbritannien das genauso handhabt. Sollte London für ein EU-Land die Visapflicht einführen, wird diese Regelung hinfällig. Unannehmlichkeiten könnte es auch trotz gültiger Visafreiheit geben. Bestimmte Produkte könnten künftig nicht mehr problemlos in die EU mitgebracht werden, zudem gelte ein Bargeldlimit von 10.000 Euro.
Ein- und Ausfuhr:
Aus Sicht der EU-Kommission müssten nach dem Brexit Zölle erhoben werden, folglich müsste es Zollkontrollen für alle aus Großbritannien eingeführten Güter geben. Der Aufwand wäre enorm: Allein zwischen Dover in Südengland und Calais in Nordfrankreich verkehren vier Millionen Güterfahrzeuge pro Jahr - etwa 11.000 pro Tag. Gerechnet wird mit Megastaus. Besonders betroffen wären die Küstenstaaten Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland - und die Republik Irland, die die einzige Landgrenze zu Großbritannien hat, nämlich zu Nordirland. Schlagbäume und Kontrollposten sollen dort unbedingt vermieden werden, weil sie neue politische Spannungen in der ehemaligen Bürgerkriegsregion schüren könnten. Noch haben weder die EU noch Irland eindeutig erklärt, wie das Problem gelöst werden soll.
Aus Furcht vor Seuchen, unsicheren Produkten und Dumping plant die EU zudem Kontrollen bei eingeführten Waren und lebenden Tieren. Um tierische Produkte oder Tiere in die EU einführen zu können, müsste Großbritannien nach Darstellung von EU-Beamten zunächst offiziell als dazu befugtes Drittland registriert sein. Das Verfahren habe zwar begonnen, doch warte man noch auf die Verabschiedung der nötigen britischen Gesetze, hieß es.
Aus Sicht der EU können deshalb nach jetzigem Stand keine tierischen Produkte oder Tiere aus Großbritannien eingeführt werden, also zum Beispiel kein Käse oder Fleisch. Die nötigen Gesetze könnten aber noch vor dem möglichen Brexit-Tag am 12. April durchgehen. Für Großbritannien ist die Klärung auch nicht ganz unwichtig: Nach EU-Angaben importiert das Land 73 Prozent aller landwirtschaftlichen Lebensmittel aus der EU.
Engpässe bei Medizinprodukten:
Importierte Medizinprodukte brauchen eine behördliche Lizenz aus einem der 27 bleibenden EU-Staaten - und das ist nach Darstellung der EU-Kommission noch nicht für alle Produkte abgeschlossen. Patienten müssen sich im Falle eines chaotischen Brexits darauf einstellen, dass einige dieser Produkte vorübergehend knapp werden. In die Kategorie Medizinprodukte fällt alles vom Pflaster über Spritzen bis zu Teststreifen. Bei der Versorgung mit Arzneien müssen sich Patienten aber nach EU-Angaben keine Sorgen machen.
Fischerei:
Im Falle eines harten Bruchs müssten Fischerboote aus EU-Ländern britische Gewässer sofort verlassen - und umgekehrt. Zusammen mit den EU-Auflagen für tierische Produkte könnte das die Warenströme zeitweise durcheinanderbringen. Treffen würde das aber vor allem die Fischer selbst. Wer sonst in britischen Gewässern seine Netze auswarf, wird nicht einfach woanders fischen können - sonst droht aus Sicht der EU-Kommission dort Überfischung. Die Brexit-Geschädigten sollen deshalb staatliche Hilfen von der EU und womöglich auch von ihren Regierungen bekommen.