Politik/Ausland

OSZE-Bericht: "Anzeichen" für russische Völkerrechtsbrüche

Deutliche Anzeichen für Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht durch russische Streitkräfte gibt es laut einem am Mittwoch in Wien präsentierten Bericht der OSZE. "Hätte Russland seine Verpflichtungen in Bezug auf Zielwahl, Proportionalität und Vorwarnungen beim Angriff sowie bei besonders geschützten Objekten wie Krankenhäusern eingehalten, hätte es deutlich weniger getötete und verletzte Zivilisten gegeben", schrieb die von Wolfgang Benedek geleitete Expertengruppe.

Der Grazer Völkerrechtler Benedek war mit seinem Schweizer Kollegen Marco Sassoli und der tschechischen Menschenrechtsexpertin Veronika Bílková am 15. März von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beauftragt worden, die Situation der Menschenrechte in der Ukraine seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar zu untersuchen. Grundlage dieser Mission war der "Moskauer Mechanismus" der OSZE gewesen, für dessen Aktivierung 45 Mitgliedsstaaten der Organisation am 3. März votiert hatten.

100-seitiger Bericht

Abgesehen von den "deutlichen Anzeichen" für russische Verstöße ist im knapp 100-seitigen Bericht auch die Rede von Verstößen und Problemen auf ukrainischer Seite, insbesondere im Umgang mit Kriegsgefangenen. Im Zusammenhang mit einem Video, das vermeintlich Schüsse auf gefangene russische Soldaten zeigte, schrieben die Autoren von einem konkreten Verdacht auf ein Kriegsverbrechen, das von ukrainischen Behörden untersucht werden sollte.

Alle Inhalte anzeigen

Die Experten, die aus Sicherheitsgründen die jeweiligen Schauplätze nicht besuchen konnten, kritisierten ebenso Ankündigungen Kiews, russische Kriegsgefangene für ihre bloße Teilnahme an Kampfhandlungen strafrechtlich zu verfolgen. Bemängelt wurde zudem die öffentliche Vorführung gefangener Soldaten. Begrüßt wurde indes, dass ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten öffentlich unterstrichen habe, dass Kriegsgefangene in der Ukraine unabhängig von russischen Völkerrechtsverletzungen völkerrechtskonform zu behandeln seien.

Offen ließen Benedek, Bílková und Sassoli, ob der russische Angriff auf die Ukraine per se als eine großangelegte und systematische Attacke auf die Zivilbevölkerung gelten kann. Dokumentierte Fälle von gezielten Tötungen, Verschleppungen oder Entführungen von Zivilisten, darunter Journalisten und Beamten, könnte als Teil eines solchen Angriff jedoch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert werden. In Bezug auf Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und das internationale Menschenrecht hätten sowohl Russland, als auch die Ukraine ihre Verpflichtungen einzuhalten, erklärten die Experten. Verstöße habe es auf beiden Seiten gegeben, betonten sie. "Die Verstöße durch die Russische Föderation sind jedoch viel schwerwiegender und größer", heißt es im Bericht.

Alle Inhalte anzeigen

Keine russische Beteiligung

Russland hatte den Experten zuvor eine substanzielle Zusammenarbeit bei den Recherchen verweigert. Die Nominierung einer Verbindungsperson, die bei der Beantwortung von Fragen helfen könnte, würde keinen Mehrwert bieten, schrieb der russische Vertreter bei der OSZE in Wien, Alexander Lukaschewitsch, am 21. März in einem Brief an Benedek. Inhaltlich verwies Lukaschewitsch lediglich auf offizielle russische Presseerklärungen sowie auf ukrainische Videos, in denen laut seiner Darstellung Hass gegen Russen geschürt würde.