Opium und Heroin: Afghanistans andere Krise
Von Stefan Schocher
Man findet es in den verwinkelten Gassen und Straßen um die Zitadelle Herats. Auch nahe der Blauen Moschee. Und eigentlich überall. Wenn in Decken gehüllte Gestalten barfuß in Hauseingängen kauern oder mit offenen Augen auf Kreisverkehren schlafen, während der Muezzin zum Gebet ruft, kann es nicht weit sein. Es ist dort, wo Marktschreier mit schelmischem Blick dazu auffordern, einen Blick in den Hinterraum ihres Ladens zu werfen. Stapel von Porno-DVDs sind die sichtbarste Ware hinter Teppichen oder Plastikwaren dort. Aber manche bieten vor allem auch eines an: Heroin.
Zwei Dollar kostet eine Portion. Das ist nicht wenig Geld in einem Land wie Afghanistan – aber auch nicht viel. Es kommt aus dem Süden, aus dem Osten – als braune Masse und wird hier in der Region zu weißem Pulver, um über Turkmenistan oder den Iran nach Europa gebracht zu werden. Und es wird zu einem immer größer werdenden Problem im gesamten Land.
Rund 5,3 Prozent der Gesamtbevölkerung konsumieren laut amerikanischen Zahlen Heroin oder Opium – eine der höchsten Abhängigkeitsraten weltweit. In urbanen Regionen beherbergt einer von zehn Haushalten einen Süchtigen. In Herat, wo sich die Fernstraßen nach Norden, nach Turkmenistan und nach Westen, in den Iran, kreuzen, ist es einer von fünf. Geschätzte 60.000 Süchtige leben in dem Distrikt mit seinen 3 Millionen Einwohnern. Die meisten davon in der Stadt Herat selbst.
Es ist ein Thema, bei dem ansonst wortgewaltige Verwaltungsfunktionäre, die in blumigen Worten den Fortschritt beschwören, sehr einsilbig werden: „Ja, der Handel mit Opium ist mit Sicherheit die Haupteinnahmequelle der Taliban“, sagt ein hochrangiger Polizeikommandant der Stadt – und beschließt damit seine Ausführungen. Darauf, dass die Verarbeitung des Rohopiums zu Heroin in Dimensionen wie in Afghanistan ebenso wie der logistisch aufwendige Transport und Schmuggel über die Grenzen doch wohl kaum alleine das Werk von verstecken Aufständischen sein könne, will er nicht eingehen und wechselt das Thema. Man spricht nicht gerne darüber.
Heroin-Export
In zunehmenden Maße exportiert Afghanistan nicht mehr nur Rohopium sondern bereits das raffinierte Endprodukt Heroin. Einiges bleibt hängen in Afghanistan – und ein sehr großer Teil davon in Herat. Die allgegenwärtige Verfügbarkeit, Armut, Arbeitslosigkeit und vor allem der niedrige Preis bei gleichzeitigem Mangel an gängigen Pharmazeutika haben entlang der Exportrouten ihre Folgen.
Rund 10 Prozent der Süchtigten sind laut Dr. Zalmai Ataie, Drogenbeauftragter der Provinz Herat, Kinder. Einige gerade einmal fünf Jahre alt. Zum Teil werde Kleinkindern reines Heroin als Schmerzmittel, in etwa bei Bauchschmerzen verabreicht, sagt der Arzt. Mit fatalen Folgen.
Aber es ist längst kein Problem sozialer Randschichten mehr. Familienväter nehmen Heroin, weil sie meinten, damit Schmerzen zu lindern und ihre Arbeitsleistung erhöhen zu können. Viele Männer gehen in den Iran oder nach Pakistan, um dort zu arbeiten und kommen als Heroingespenst zurück. Auch Frauen nehmen es. Zum Geächteten wird, wen die Sucht aus dem Wirtschaftskreislauf kickt. Wer seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen, seine Familie nicht mehr versorgen kann.
In einem mit Stacheldraht umgebenen Haus in Herat sitzt Abdulrahman neben anderen Entzugspatienten. 13 Jahre Drogenkonsum hat der 31-Jährige hinter sich. Zuletzt war es Heroin. Jetzt ist er auf Entzug in dieser Klinik, ein umfunktioniertes Einfamilienhaus in das 50 Feldbetten gepfercht wurden.
Es ging soweit, dass er Teppiche aus Moscheen gestohlen hat, um sie auf dem Markt zu Geld zu machen, sagt er. Seinen Job hat er verloren, sein Haus hat er verkauft. Eine Geschichte wie tausend andere. Abdulrahmans gegerbtes Gesicht trägt die tiefen Spuren der Selbstvernichtung. Er spricht leise mit gesenktem Blick, den er nur hebt, um Dr. Ataies Reaktion auf seine Ausführungen zu prüfen. Er spricht von Schande, die er über seine Familie gebracht habe. Und davon, dass er seine zwei Frauen und seine sechs Kinder wegen dieser Schande schließlich verlassen hat – um sich von der Masse der in Lumpen gehüllten Skelette mit glasigen Augen in den Straßen dieser Stadt aufsaugen zu lassen.
45 Tage wird er hier verbringen. So lange dauert das Entzugsprogramm. 45 Tage Entgiftung, Motivationsklassen, Tanz- und Musikunterricht sowie Gebete. Danach muss er auf sich selbst schauen, eine Arbeit finden. Er ist optimistisch. „Ich kann alles, ich kann fahren, ich kann arbeiten“, sagt er. Und fügt hinzu: „Ich kann gut singen.“ Die anderen Männer im Raum lachen. Auch Abdulrahman deutet ein zahnloses Lächeln an. Dr. Ataie mahnt zu Ruhe und Disziplin.
Um die 250 Entzugsbetten gibt es in der Provinz. Chronisch schlecht ausgestattet. Und viel zu wenige. Die Rückfallquote ist hoch. Denn auch clean gibt es nicht mehr Arbeit, nicht mehr Einkommensquellen. Hinzu kommen Erkrankungen wie Hepatitis, Tuberkulose und HIV – behaftet mit zusätzlichen Stigmata. Ein zusätzliches Problem, so Ataie sei, dass sehr oft ganze Familien Heroin konsumierten. „Wenn dann einer aus dem Entzug nach Hause kommt, dauert es nicht lang, bis er alte Gewohnheiten wieder aufnimmt.“ Ein Kampf gegen Windmühlen.
Mit den Mitteln des italienischen ISAF-Kontingents in der Stadt wird in den Außenbezirken Herats eine neue Klinik mit 52 Betten gebaut. Noch ist sie ein Rohbau. Es wird rasch gebaut. Der Einsatz der NATO-Truppe geht zu Ende. Budget für Projekte gibt es nur bis Ende 2013. Danach ist das System auf sich alleine gestellt.
Abdulrahman wird dann auf der andere Seite des Stacheldrahtes sein, der ihn jetzt umgibt. Zu seinen Frauen will er wieder, sagt er. Zu seinen Kindern.
Aber wie lange er sie nicht gesehen hat, kann er nicht genau sagen. Das Gefühl für Zeit sei ihm abhanden gekommen. Ob er nach Hause zurück kehren wird können, oder ob er verstoßen wurde, weiß er nicht. Ganz ohne prüfenden Blick auf den strengen Arzt sagt er: „Allah wird es einrichten, wie es kommen soll.“
Schon jetzt fährt die internationale NATO-Schutztruppe ISAF massiv Projekte zurück. Ende 2014 wird ihr Mandat auslaufen. Ausgegangen wird aber vor allem davon, dass die Truppe im kommenden Jahr vor allem mit ihrem Abzug beschäftigt sein wird und nur mehr in kleinem Umfang in das Geschehen in Afghanistan eingreifen wird. Was nach 2014 passieren wird, ob eine Folge-Mission zustande kommt, ist derzeit noch Gegenstand von Verhandlungen. Klar ist aber: Selbst wenn es eine Nachfolge-Mission geben wird, so wird eine solche in weitaus kleinerem Umfang agieren als die ISAF. Ziel ihres Einsatzes war es, den zivilen Wiederaufbau voranzutreiben, der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte sowie die Stärkung und Schaffung staatlicher Institutionen. Begonnen hat man praktisch bei null. Nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 hatte Afghanistan bereits mehr als 20 Jahre Krieg hinter sich. Die Struktur des Landes prägten lokale Warlords und Milizen. Die Frage für die kommenden Jahre ist jetzt, ob der Einsatz bleibende Ergebnisse erzielt hat, oder ob alte Fronten erneut aufbrechen.
Teil 1 Erfolge im Fußball schaffen erstmals Nationalstolz
Teil 2 Der ISAF-Abzug und die Risiken für afghanische Kräfte
Teil 3 Die Politikerin Fawzia Koofi will Präsidentin werden