Politik/Ausland

Hamas-Massaker: "Es war der schlimmste Pogrom seit dem Holocaust"

In Israel haben am Montag die Gedenkfeiern zum ersten Jahrestag des Hamas-Überfalls begonnen. Zum Auftakt hielt nahe dem Kibbuz Reim, wo vor einem Jahr mehr als 370 Teilnehmer des Nova-Musikfestivals getötet wurden, eine Menschenmenge um 06.29 Uhr Ortszeit - dem Beginn des beispiellosen Angriffs der militanten Palästinenserorganisation am 7. Oktober 2023 - eine Schweigeminute ab.

Auch die internationale Presse beschäftigte sich mit dem Gedenktag:

  • "Haaretz" (Tel Aviv)

"Heute ist kein gewöhnlicher Gedenktag. Wir entfliehen nicht der Gegenwart und erinnern uns an ein Ereignis, das in der Vergangenheit stattgefunden hat. Es scheint so, dass alles, was vor dem 7. Oktober passiert ist, nicht real ist, und wir ein Jahr lang nur einen Tag gelebt haben. An diesem Gedenktag bedarf es keiner Sirene, die sonst an Gedenktagen ertönt. Die Sirene ist in uns eingebrannt. In Israel sind Gedenktage Teil eines Mechanismus, bei dem das bitterliche Weinen um unsere vielen Toten ein Vorspiel zur Trunkenheit des Sieges ist. (...)

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Ein Blick auf die andere Seite des Gazastreifens sollte uns zum Nachdenken bringen. Da sind die zahlreichen Videos von israelischen Soldaten bei Social Media, die palästinensisches Eigentum plündern und zerstören, Häftlinge misshandeln und die Explosionen von Gebäuden feiern, deren Zerstörung keinen anderen militärischen Zweck als Rache hat. Oder Influencer, die sich über den Mangel an Wasser, Nahrung sowie Strom in Gaza lustig machen. (...)

Ein Jahr nach dem Massaker ist es an der Zeit, dass auch wir in den Spiegel schauen. Wir sind eine Gesellschaft von Heldinnen und Helden, in der es auch Solidarität und guten Willen gibt. Wir sind aber auch eine Gesellschaft, die die Geiseln aufgegeben hat, die von der Gier nach Rache geblendet war, die das unbeschreibliche Leid, das sie anderen zufügte, feierte oder Gleichgültigkeit gegenüber diesem zeigte. Auch daran müssen wir uns heute erinnern."

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  • "Yedioth Ahronoth" (Jerusalem)

"Wir sind die erste Generation des 7. Oktobers. Wir sind diejenigen, die mit eigenen Augen Gräueltaten gesehen haben, die wir uns nicht vorstellen konnten. Unser ganzes Leben lang werden wir diesen Tag als Narbe tragen. Vor unserer Haustür standen Terroristen, die unsere Angehörigen, unsere Soldaten ermordeten und manche in die grausame Gefangenschaft in Gaza verschleppten. Es wird Generationen brauchen, um dieses Trauma zu verarbeiten.

Wir, die erste Generation des 7. Oktobers, müssen daher schwören, dass das, was war, nicht mehr sein wird. Wir müssen hier im Namen der Toten und der Überlebenden eine neue israelische Ordnung errichten. Innere Spaltungen und Kämpfe haben uns bis zum 6. Oktober an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht. Am Tag darauf geschah die größte Sicherheits- und Existenzkatastrophe unserer Geschichte. Dies hängt miteinander zusammen. (...)

Absurderweise kämpften wir monatelang auf der Straße gegeneinander, anstatt einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die bestehende Politik fördert ein Szenario, in dem Israel aufhört, ein jüdischer Staat zu sein, und zu einem Staat wird, der nur einzelnen Gruppen dient, die keinen Dialog mehr führen. (...) Wir müssen gemeinsam den wahren Geist des Zionismus wiederbeleben. Nur gemeinsam können wir unsere Existenz sichern."

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  • "Hammihan" (Teheran)

"Der Vorfall vom 7. Oktober hat die Weltmächte zu der Erkenntnis gebracht, dass ohne eine Lösung der Palästina-Frage der Nahe Osten keine Ruhe finden wird. Dieses Problem wird sich auch nicht durch die Unterdrückung der Palästinenser lösen lassen, so wie es bisher nicht gelöst wurde. Deshalb haben die Amerikaner im Gegensatz zur Vergangenheit den Vorschlag einer Zweistaaten-Lösung auf den Tisch gelegt. Gaza ist de facto zerstört, aber seine Bevölkerung hält weiter stand, und auch die Hamas ist in der Lage, weiterzubestehen (...).

Der Westen hat dieses Mal die Schuld auf andere abgewälzt, und die Kosten tragen die Menschen dieser Region und die Palästinenser. Israel versuchte zu Beginn dieses Krieges, die moralische Last des Krieges den Palästinensern zuzuschieben."

  • "El Mundo" (Madrid)

"Die Reaktion Israels im Gazastreifen, die im Einklang mit dem Recht auf Selbstverteidigung völlig gerechtfertigt war und das Verständnis der internationalen Gemeinschaft fand, hat anschließend zu Exzessen geführt, die die weltweite Unterstützung schmälerten und eine humanitäre Tragödie im Gazastreifen auslösten. Darüber hinaus stockt die Offensive in Gaza ein Jahr nach dem 7. Oktober trotz der enormen Zerstörung weiterhin, und die Hamas ist zwar schwer angeschlagen, aber noch nicht vollständig besiegt. (...)

Das Vorgehen von (Ministerpräsident) Benjamin Netanyahu (...) hat Israel eine Reihe wichtiger Siege eingebracht, um die existenzielle Bedrohung des jüdischen Staates zu stoppen. Das Risiko besteht jetzt darin, dass die Unverhältnismäßigkeit der Angriffe diese taktischen Erfolge in strategische Niederlagen umwandelt, wie es bei den US-Invasionen im Irak und in Afghanistan nach dem 11. September der Fall war. Israel hat das Recht, sich zu verteidigen, aber seine moralische Autorität ergibt sich aus der Achtung des Völkerrechts."

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  • "Corriere della Sera" (Rom)

"Wir sind heute an einem Punkt angelangt, an dem die Rede von 'zwei Staaten für zwei Völker' eine leere Formel, eine Illusion zu sein scheint. Als ob es nur noch die Lösung der gegenseitigen Zerstörung gäbe. Die Hamas und die Hisbollah haben das Ziel der Zerstörung des Staates Israel niemals aus ihren Statuten gestrichen. Wir müssen uns diesem Vorhaben mit aller Kraft widersetzen und ohne zu zögern das Existenzrecht des jüdischen Staates verteidigen, eines Staates, in dem die Juden nicht mehr gezwungen sind, sich zu fürchten oder zu verstecken, wie es in unserem hochzivilisierten Europa heute wieder der Fall ist.

Aber wenn wir dem Antisemitismus entgegentreten wollen, der sich heute als Antizionismus tarnt, dann haben wir auch die Pflicht zu sagen, dass Israel sich ändern muss. Wenn es wirklich der einzige Ableger westlicher Freiheit und Demokratie im Nahen Osten ist, darf es Selbstverteidigung nicht mit der Vernichtung des Feindes verwechseln. Ist nach einem Jahr Krieg die Gefahr aus dem Gazastreifen wirklich beseitigt? Und wenn Israel auch das iranische Regime angreift, wird dann die Gefahr, die von den Ayatollahs ausgeht, beseitigt sein? Israel hat das Recht, Krieg zu führen. Aber es muss Krieg führen, um damit Frieden zu schließen."

  • "The Guardian" (London)

"Israel hat nach den Anschlägen der Hamas sehr viel Mitgefühl erfahren. Sein Recht, sich zu verteidigen, erlaubt es ihm jedoch nicht, das Kriegsrecht mit Füßen zu treten. Regierungsmitglieder und andere Politiker haben sich - in den Worten prominenter Israelis - 'den Diskurs der Vernichtung, der Vertreibung und der Rache' offen zu eigen gemacht. (...) Aber Israels bisherige taktische Erfolge gegen die Hamas und die Hisbollah sollten nicht mit einem strategischen Triumph verwechselt werden. Ein endgültiger militärischer Sieg ist eine Fata Morgana. Die israelischen Bürger sind unmittelbar durch einen ausgedehnten Krieg bedroht, und die Zerstörung von noch mehr Häusern und Familien durch Israel verschafft ihnen keine langfristige und nachhaltige Sicherheit. (...)

Die Freilassung der Geiseln der Hamas und ein Waffenstillstand im Gazastreifen - und jetzt auch im Libanon - werden von Monat zu Monat dringlicher. Machthungrige und hasserfüllte Männer haben einen Krieg entfesselt, in dem unschuldige Männer, Frauen und Kinder in der ganzen Region gestorben sind. Um ihn zu beenden, ist Diplomatie erforderlich, die sich nicht nur mit der unmittelbaren Krise befasst, sondern auch mit langfristigen Sicherheitsbedürfnissen, einschließlich einer fairen Lösung für die Palästinenser."

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  • "Neue Zürcher Zeitung"

"Neben Differenzierung braucht es vor allem Empathie und Menschlichkeit. Das heißt, dass die Freunde der Palästinenser anerkennen, wie traumatisch die Anschläge vom 7. Oktober für Israel, aber auch für die jüdischen Gemeinschaften in der Diaspora waren. Man kann es nicht oft genug betonen: Es war der schlimmste Pogrom seit dem Holocaust. Empathie heißt aber auch, dass jene, die zu Israel stehen, sehen, wie groß das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza ist. (...)

Es sind Linksradikale, die immer wieder Öl ins Feuer gießen und, gewollt oder ungewollt, ein Klima schaffen, in dem sich manche muslimische oder nicht muslimische Extremisten legitimiert fühlen, Juden anzugreifen. Damit entlarven sich diese Aktivisten, die angeblich für eine bessere Gesellschaft, für Frieden und Völkerverständigung kämpfen, als Heuchler.

Es spricht nichts dagegen, sich mit den Palästinensern zu solidarisieren und die Härte der israelischen Kriegsführung in Gaza zu kritisieren. Aber wer Israel vorwirft, in Gaza einen 'Genozid' zu begehen, verdreht die Tatsachen auf groteske Weise. Es ist die Hamas, die ganz offen einen Völkermord anstrebt und nicht vor entsprechenden Mordattacken zurückschreckt."

  • "Pravo" (Prag)

"Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu verbringt den ersten Jahrestag des Hamas-Angriffs in einer Atmosphäre, die das Sicherheitsdebakel vor einem Jahr in Vergessenheit geraten lässt. Dabei hilft ihm sein Feldzug gegen die terroristische Hisbollah-Miliz im Libanon, die ein Verbündeter des Irans und der Hamas ist. Für Netanyahu war die Tötung des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah ein 'historischer Wendepunkt' im Kampf gegen Israels Feinde. Die Öffentlichkeit unterstützt den Regierungschef wieder. Umfragen deuten an, dass er bei Wahlen gewinnen könnte. Doch zugleich steigt das Risiko eines regionalen Kriegs und einer direkten Konfrontation mit dem Iran. Das Jahr nach dem Massaker der Hamas ist voller Gegensätze. Im Rückblick erscheint der 7. Oktober 2023 als Auslöser für eine Welle der sicherheitspolitischen Instabilität, die den ganzen Nahen Osten zu verschlingen droht."

  • "de Volkskrant" (Amsterdam)

"Israel hat schon viele Kriege und militärische Auseinandersetzungen gewonnen. Doch die Gewalt kehrte immer wieder zurück, weil das zugrunde liegende Problem, die palästinensische Frage, nicht gelöst wurde. Das wird sich nun wiederholen. Vielleicht wird nach dem jetzigen Krieg eine Phase relativer Ruhe eintreten, da Israels Feinde geschwächt sind. Aber der Krieg hat so viel neuen Hass geschaffen, dass sie sich zweifellos wieder erheben werden.

Deshalb sprachen sich nach dem 7. Oktober die meisten führenden Politiker der Welt für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Netanyahu hat jedoch nie daran geglaubt, dass eine Versöhnung mit den Palästinensern möglich ist. Ein Jahr nach dem 7. Oktober ist die Lage also düster. Dennoch muss sich die internationale Gemeinschaft weiterhin für eine politische Lösung einsetzen, so schwierig es auch sein mag, sie zu erreichen."

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  • "De Standaard" (Brüssel)

"Selbst progressive Israelis sind inzwischen überzeugt, dass ihr Land niemals sicher sein wird, wenn nicht jede militante palästinensische Bewegung ausgerottet wird. Gleichzeitig hat Israel der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und im Westjordanland so viel Tod und Zerstörung zugefügt, dass der Hass auf die Unterdrücker noch für Generationen weiterleben wird.

Durch Israels Angriff auf die libanesische Hisbollah-Miliz hat sich der Konflikt noch verschärft. Die Motivation ist dieselbe wie bei der Zerstörung des Gazastreifens: die Beseitigung jeder Organisation, die Israels Sicherheit bedroht. Wieder sind viele Zivilisten die Opfer, und der ohnehin schon schwer angeschlagene Libanon wird einer weiteren Zerreißprobe ausgesetzt. Die langfristigen Folgen sind schwer vorhersehbar. Dass Israel damit sein Ziel - absolute Sicherheit - erreichen wird, ist jedoch unwahrscheinlich. (...) Der Krieg, der vor einem Jahr begann, hat auch geopolitische Auswirkungen. Die engen Bande zwischen dem Westen und Israel und deren moralische Dimension trüben das Ansehen Europas und der USA in der nicht westlichen Welt. Welche Folgen der 7. Oktober 2023 wirklich haben wird, dürfte erst nach Jahren vollständig zu erkennen sein."

  • "Dagens Nyheter" (Stockholm)

"Am Samstag, dem 7. Oktober 2023, sind wir zu Berichten aufgewacht, dass die Hamas Israel angegriffen habe. Es dauerte fast einen Tag, bis klar wurde, was da eigentlich passiert ist: Nicht Soldaten und Stellungen wurden attackiert, sondern unbewaffnete, zivile Israelis. Es war der schlimmste Angriff auf Juden seit dem Holocaust. Eine der grausamsten, groß angelegten Gewalttaten dieses Jahrtausends. Der Sadismus ist schwer zu fassen.

Es war eine Tragödie - aber schnell wurde deutlich, dass wir erst an ihrem Anfang stehen. Israel führt seitdem einen Krieg gegen die Hamas, der geprägt ist von weniger Unterscheidungen als vorher und von begrenzteren Möglichkeiten für Nothilfe und sichere Zonen für zivile Palästinenser. Auch dieser Tod, dieses Leid, ist schwer zu fassen. Israel ist der Sicherheit nicht nähergekommen, die das Land verdient. Den Palästinensern mangelt es an Sicherheit, zu der auch sie ein Recht haben. Und selbst der Libanon blutet nun. So viele Menschen sind tot, so groß ist das Leid. Zu welchem Nutzen?"