Politik/Ausland

Österreicher in Beirut: "Menschen brauchen Decken jetzt, nicht erst in paar Monaten"

Während in Jerusalem über einen Waffenstillstand beraten wurde, hat das israelische Militär Fakten geschaffen – und die libanesische Millionenstadt Beirut in großem Umfang angegriffen. Bei Angriffen im Zentrum wurden laut Gesundheitsministerium mindestens sieben Menschen getötet und mindestens 37 weitere verletzt. Israels Militär soll vorher keine Warnung für den Angriff im Zentrum veröffentlicht haben.

Auch der Norden der Stadt, der in der Vergangenheit vergleichsweise eher verschont geblieben ist, wurde bombardiert. Dort, im Stadtviertel Hamra, befindet sich auch der Koordinationssitz von "Ärzte ohne Grenzen", wo sich der Österreicher Ramon Ritter um die Entgegennahme und Verteilung sogenannter "Non-food-items" kümmert – also um alles, was abseits von Nahrungsmitteln dringend benötigt wird, "wie Matratzen, Decken, Hygieneartikel", so Ritter zum KURIER.

Am Dienstag "war der erste Tag mit Schneefall in den Bergen, auch in Beirut ist es kalt." Der Fokus liege jetzt auf Decken und Matratzen, Winterjacken und der Errichtung von Unterkünften mit Diesel-Heizern. "Der Bedarf ist riesig."

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Ritter betont die Zusammenarbeit mit dem libanesischen Gesundheitsministerium. Wie viel Kontakt zur mit der Hamas verbündeten Hisbollah-Miliz bestehe, könne man nicht sagen. "'Ärzte ohne Grenzen' verfolgt als unparteiische, unabhängige humanitäre Hilfsorganisation die Sicherstellung der medizinischen Versorgung und die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter. Wir sind mit allen Parteien in Kontakt."

Anpassungsfähiger Markt

Man versuche, den Großteil der benötigten Produkte am lokalen Markt zu kaufen. Dieser hat längst eine enorme "Anpassungsfähigkeit" bewiesen: "Ein Buchhändler verkauft heute eben Matratzen." Aktuell seien Wolldecken eine Rarität. Der Import, etwa die Zollabfertigung, kann oft Wochen dauern, "und die Menschen brauchen die Decken jetzt, nicht erst in ein paar Monaten". Auch deswegen setze man so gut es geht auf lokale Herstellung. Doch der Krieg der Israelischen Armee gegen die Hisbollah erschwert das – sei es durch zerstörte Infrastruktur vor allem im Südlibanon, die Herstellung oder Transport unmöglich macht, oder fehlende Arbeitskräfte, die vor den Raketen geflüchtet sind. 

Die Preise, sagt Ritter, seien trotz Mangels relativ stabil geblieben und mit westeuropäischem Niveau zu vergleichen. Nur dass viele Menschen ihre ohnehin schon niedrigen Einkommen verloren haben.

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In den letzten Wochen wurden laut Angaben von "Ärzte ohne Grenzen" über 18.000 Hygiene-Kits, mehr als 22.000 Mahlzeiten, 13.000 Decken und rund 10.800 Matratzen verteilt.

Helfer und Betroffener zugleich

Aktuell ist von über 880.000 Binnenflüchtlingen innerhalb des Libanons die Rede; Hunderttausende Menschen, vor allem syrische Geflüchtete, sind gezwungenermaßen wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt. Darunter die Familie von Ahmed, einem Arbeitskollegen von Ritter. "Er ist vor Jahren wegen des Bürgerkriegs in den Libanon geflüchtet. Jetzt ist seine Familie nach Syrien zurückgekehrt, weil es in Damaskus derzeit sicherer ist als hier."

"Ärzte ohne Grenzen" umfasst im Libanon rund 400 lokale Mitarbeiter und 75 "Internationals" wie Ritter.

Das UN-Flüchtlingsnetzwerk spricht von nahezu einer Million Menschen im Libanon, die bisher ihr Zuhause verlassen mussten – das ist jeder Fünfte der Bevölkerung. Fast 600.000 Menschen, davon sind etwa 65 Prozent syrische Flüchtlinge, der Rest Libanesen, flüchteten bisher nach Syrien. Das UN-Flüchtlingshilfswerk zitiert die libanesischen Behörden, sie sprechen von fast 3.600 bestätigten Todesfällen, darunter mehr als 230 Kinder, und über 15.000 Verletzte bis 20. November.

Die Hälfte seiner lokalen Kollegen, sagt Ritter, wohne nicht mehr dort, "wo sie noch vor drei Monaten gelebt hat." Und bei jedem Evakuierungsaufruf könnte es sein, dass man nicht mehr in sein Zuhause zurückkehren kann.

Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge gab es am Dienstag mindestens zehn zeitgleiche Angriffe auf Vororte von Beirut. Es sei der bisher größte Angriff dieser Art seit Kriegsbeginn gewesen.