Das Ende der Ära Netanjahu
Von Norbert Jessen
Netanjahus Ziel war es immer, in die Annalen einzugehen. Neben den bedeutenden Staatschefs Israels – vom „Staatsgründer“ David Ben Gurion über den „Kriegssieger“ Levi Eschkol bis hin zu den „Friedensmachern“ Menachem Begin und Jizchak Rabin.
Doch zu Benjamin Netanjahu fällt so schnell kein Beiname ein. Vielleicht gerade noch „der Längstamtierende“.
Seine erste Amtszeit zwischen 1996 und 1999 gilt als Lehrzeit. Mit Anfängerfehlern, aus denen er schon für die folgende Zwischenperiode als Außen- und Finanzminister viel lernte. Seine zweite Amtszeit folgte 2009 nachweislichen Erfolgen im Finanzministerium.
Die er aber als Regierungschef vor allem in den letzten Jahren nicht festigen konnte. Über die vergangenen zwei Jahre verblieb Israel ohne ordentlichen Haushalt. Weil der wegen Korruption vor Gericht angeklagte Premier hoffte, sich so ein taktisches Hintertürchen zur Straffreiheit offen halten zu können.
Israels Wirtschaft stagniert in vieler Hinsicht. Die Startup-Nation bringt Wachstum. Aber nur für einen schmalen Sektor. Die Industrie hingegen hat ihre Probleme mit der Globalisierung. Israels weltweit anerkannte Agronomen haben weiter große Erfolge: In Burma, in Kolumbien, in Kenia und immer weniger in Israel. „Es fehlt die treibende Kraft, die in die Zukunft strebt“, folgerte der frühere Finanzminister Beige Schochat schon vor Jahren.
Machterhalt als Ziel
Der Erhalt der Macht ist für Politiker Vorbedingung. Wird sie zum alleinigen Ziel, wird sie zum Problem. Kein Neuansatz, keine spürbare Reform fallen einem zu zwölf Jahren Netanjahu ein.
Auch auf Kosten seiner direkten Wählerschaft. Vor allem die Sephardim, Juden orientalischer Herkunft, wählten ihn. Sohn eines Professors aus Warschau – einer typisch „aschkenasischen“, europäisch geprägten, Familie.
Trotzdem fühlte sich diese Wählerschaft vom Likud besser verstanden. Besser als von den sozialistisch ausgerichteten Staatsgründern Israels. Doch es gibt nach all den Jahren an der Macht keine messbaren Verbesserungen für die Sefardim. „Besser eine neue aschkenasische Regierung, als die vielen sephardischen Minister der alten, die ihre Klientel vergessen haben“, stellte am Sonntag Ron Kachlili fest, ein sephardischer Aktivist und Journalist.
Die Zeitung Haaretz meinte zur wirtschaftlichen Lage: „Dem kreativen Finanzminister folgte ein zerstörerischer Premier.“ Doch selbst Israels regierungskritischste Zeitung bestätigte ihm zum Abschied einen Erfolg: In seiner Amtszeit bewies er als diplomatischer Hinhalte-Taktiker, dass die weitverbreitete Ansicht „ohne Lösung des Konflikts mit den Palästinensern keine positive Zukunft für Israel“ alles andere als ein Axiom ist.
Weltweit wird der Konflikt immer mehr zu einem Randproblem. Sogar für die arabischen Anrainer-Staaten. Doch auch hier agierte Netanjahu passiv. Bei der Knüpfung diplomatischer Beziehungen zu den Golfstaaten und Marokko war er getrieben. Nicht die treibende Kraft. Trumps Washington und Ägypten legten die Route fest. Netanjahu folgte.
Innenpolitische Folgen
Doch gerade die letzten Tage der Ära Netanjahu zeigten, dass auch die Verdrängungsdiplomatie gegenüber den Palästinensern keinesfalls ein Erfolgsrezept ist und ihre Tücken hat. Nicht für die Außen-, sondern die Innenpolitik. Die gewaltsamen Unruhen in Israels arabischen Wohngebieten waren auch hier Folge einer Politik, die nicht so enden musste.
Netanjahus Regierung investierte Milliarden in die arabische Gesellschaft. Was aber nichts bringt, wenn die Politik nicht mehr das Staatswohl, sondern das Eigeninteresse des Regierungschefs zum Ziel hat.
Auch gegen die Interessen der eigenen Likud-Partei. Erste Rufe nach einem Wechsel an der Parteispitze werden laut. Sehr verhalten, aber immer hörbarer. Aus der dritten Reihe hinter Netanjahu. Der steht weiter allein in der ersten. Die zweite Likud-Reihe, die von Netanjahu noch beizeiten als drohende Konkurrenz kaltgestellt wurde, sitzt mittlerweile in der ersten Reihe – der neuen Regierung.
Auch das kann als Erfolg Netanjahus verstanden werden: Er spaltete, hetzte und dämonisierte so sehr, dass sogar Erzfeinde zueinanderfinden. Wer sich vor wenigen Monaten noch gegenseitig des Faschismus und Landesverrats bezichtigte, sitzt jetzt vereint. In der neuen Regierung.