Ungarn: Keine Tests für Mitbewohner von Corona-Patienten
Die Regierung zählte 1.458 Infizierte und 109 Tote am Ostermontag. Das Verhältnis der beiden Zahlen weicht stark von vielen anderen Ländern ab. Die Sterblichkeit läge daher in Ungarn bei rund 7,5 Prozent, während sie in Österreich bei rund 2,5 Prozent liegt, in Island bei rund 0,4 Prozent.
Entweder die Dunkelziffer an Coronavirus-Infizierten ist in Ungarn ungleich höher oder das Virus ist in unserem östlichen Nachbarland um einiges tödlicher als in den meisten anderen EU-Staaten.
Von Ersterem ist auszugehen, sagt Tamás Ferenci, Statistiker an der Óbuda-Universität zum KURIER. Der ungarische Forscher versorgt die Orbán-Regierung mit Daten, stellt allerdings klar, dass er in die politischen Entscheidungsprozesse nicht einbezogen ist.
Herr Ferenci, entweder das Coronavirus ist in Ungarn tödlicher als in anderen Ländern, oder die Dunkelziffer ist um einiges höher. Was können Sie uns darüber sagen?
Zunächst möchte ich anmerken, dass die Corona-Sterblichkeit nicht einfach das Verhältnis der Infektionen zu den Todeszahlen ist. Denn die beiden Zahlen sind eigentlich zeitversetzt: Die Infizierten heute könnte man eigentlich nur mit den Todesfällen in rund zwei Wochen aufwerten. Es gibt verschiedene Techniken. Denen zufolge wäre die Sterblichkeit allerdings in der aktuellen Phase noch höher. Statt zwischen 5 und 10 Prozent würde sie dann zwischen 15 und 20 Prozent liegen. Das klingt schockierend.
Wie ist das möglich?
Ich gehe nicht davon aus, dass das Virus in Ungarn zehnmal tödlicher ist als etwa in Deutschland. Wir haben ähnliches Wissen über die Behandlung, unser Gesundheitssystem ist derzeit nicht überlastet. Könnte es sein, dass die Patienten aufgrund der äußeren Umstände in Ungarn gefährdeter sind als in Deutschland? Vielleicht. Aber sicher nicht derart signifikant.
Meine Annahme ist, dass die Sterblichkeit hier wohl ähnlich hoch ist wie in Deutschland oder Österreich. Aber neun von zehn Fällen nicht diagnostiziert werden. Weil hier viel weniger getestet wird.
Man hört, dass in Ungarn nicht einmal die Familienmitglieder oder Mitbewohner von Covid19-positiven Menschen getestet werden. Stimmt das?
Das höre ich auch. Fakt ist, dass es wenige Tests gibt. In den 34.000 Tests, die heute aufscheinen, werden auch Dreifach- und Vierfach-Testungen derselben Person einzeln angegeben. Das variiert wohl in den verschiedenen Ländern.
Warum wird nicht mehr getestet in Ungarn?
Das ist eine exzellente Frage, aber es ist keine statistische. Die Entscheidungen werden auf politischer Ebene gefällt. Das müssten Sie Politiker fragen und nicht mich. Wenn Sie Wissenschaftler fragen, wird Ihnen aber jeder sagen, wir sollten mehr testen. Eine andere Meinung werden Sie kaum finden.
Welche Aussagekraft haben Ländervergleiche?
Ich stimme der Einstellung zu, dass es geradezu bedeutungslos ist, die Zahl der Fälle in den verschiedenen Ländern zu vergleichen, wenn man nicht auch die Zahlen und Modalitäten der Testungen vergleicht.