BLM: Europaweite Proteste, New York hebt Ausgangssperre früher auf
Die durch die Tötung des Afroamerikaners George Floyd ausgelöste weltweite Protestwelle gegen Rassismus hat sich am Sonntag fortgesetzt. Allein in London strömten Zehntausende ins Stadtzentrum und zur US-Botschaft, obwohl Gesundheitsminister Matt Hancock und die Polizei wegen der Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus dazu aufgerufen hatten, von einem erneuten Massenprotest abzusehen. Auch in Rom, Kopenhagen und Madrid gingen Tausende auf die Straßen.
Bei Ausschreitungen nach einer Demonstration in Berlin sind in der Nacht auf Sonntag 93 Menschen festgenommen worden. Insgesamt wurden 28 Einsatzkräfte leicht verletzt, von denen drei nach ambulanter Behandlung ihren Dienst abbrachen, wie die Polizei mitteilte.
Nach Beendigung einer Kundgebung versammelten sich den Angaben zufolge mehrere hundert Menschen am Alexanderplatz und kesselten dabei auch Polizisten ein.
Nach der Festnahme eines Mannes nach einer Sachbeschädigung seien Flaschen und Steine gegen Polizisten und Passanten geworfen worden, hieß es. Dabei seien sowohl Einsatzkräfte als auch ein freier Pressefotograf verletzt worden.
Zuvor hatten am Alexanderplatz 15.000 Menschen friedlich gegen Rassismus demonstriert. Auf Intervention der Polizei beendeten die Veranstalter allerdings wegen der großen Menschenmenge. Angesichts der hohen Teilnehmerzahl war die Einhaltung der Corona-Abstandsregeln nicht mehr möglich gewesen.
Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd infolge eines brutalen Polizeieinsatzes in den USA demonstrierten am Samstag bundesweit zehntausende Menschen gegen Rassismus und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe.
Afrodeutsche Initiativen hatten in rund 20 Städten zu den Protesten unter dem Motto „Silent Demo“ aufgerufen. Größere Demonstrationen fanden neben Berlin auch in München, Hamburg, Köln und Frankfurt statt.
Zwei Beamte in Hamburg verletzt
Auch in Hamburg kam es im Anschluss an die friedlichen Proteste in der Innenstadt zu Auseinandersetzungen zwischen einer Gruppe Demonstranten und der Polizei. Aus der Gruppe heraus sei Pyrotechnik gezündet worden, sagte eine Sprecherin. Zwei Beamte wurden laut Polizei verletzt.
Einige Vermummte hätten Banner entrollt mit der Aufschrift „Bullenschweine“ und „ACAB“, was für „All cops are bastards“ („Alle Polizisten sind Bastarde“) steht. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um den Platz zu räumen.
Zwischenfälle gab es auch nach den Demonstrationen gegen Rassismus mit weit über 10.000 Teilnehmern in Baden-Württemberg in Stuttgart. Wie die Polizei mitteilte, hatten sich nach der eigentlichen Kundgebung mehrere einzelne Aufzüge formiert.
„Die Stimmung in den Aufzügen war teils sehr aggressiv“, hieß es. Die Einsatzkräfte seien mehrfach mit Gegenständen beworfen und Pyrotechnik sei gezündet worden.
London: Polizistin fiel vom Pferd
Ausschreitungen gab es auch bei einem Protestmarsch in London: 14 Einsatzkräfte wurden verletzt. 13 weitere Verletzte gab es bei Demos in den vergangenen Tagen. „Die Zahl der Übergriffe ist schockierend und völlig unakzeptabel“, teilte die Chefin von Scotland Yard, Cressida Dick, am Sonntag mit. „In unserer Stadt gibt es keinen Platz für Gewalt.“
Die Polizei nahm mehr als ein Dutzend Demonstranten fest. Dick lobte das besonnene Verhalten der Einsatzkräfte.
In der Nähe des Regierungssitzes mitten in London hatten Demonstranten am frühen Samstagabend mit Flaschen geworfen sowie Raketen und anderes Feuerwerk gezündet. Eine Polizistin fiel vom Pferd und musste im Krankenhaus behandelt werden.
Protestmärsche nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA gab es auch in anderen britischen Städten am Wochenende.
Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock verurteilte die Demonstrationen mit Blick auf die Coronakrise scharf. „Sie sind unzweifelhaft ein Risiko“, sagte Hancock am Sonntag dem Sender Sky News.
Sie würden auch gegen die Ausgangsbeschränkungen während der Pandemie verstoßen. Großbritannien hat offiziellen Statistiken zufolge die meisten Corona-Todesopfer in Europa.
Rom: Knien als Zeichen der Trauer
Es ging übrigens auch friedlich: In Rom hatten Aktivisten der Anti-Populisten-Bewegung „Sardinen“ und Menschenrechtsorganisationen zu einer Demo aufgerufen.
Die Demonstranten versammelten sich auf dem zentralen „Piazza del popolo“ im Herzen der italienischen Hauptstadt. Die meisten Demonstranten trugen Atemschutzmasken, die vorgesehenen Distanzierungsmaßnahmen wurden jedoch nicht eingehalten.
Um 12 Uhr knieten die Demonstranten fast neun Minuten lang als Zeichen der Trauer für den Tod Floyds. Viele Demonstranten trugen Plakate mit der Aufschrift „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“. Viele hatten auch Fotos von Floyd und anderen durch Polizisten getöteten Afroamerikanern dabei. Eine ähnliche Demonstration mit tausenden Demonstranten hatte es am Samstag auch in Turin gegeben.
Der unbewaffnete Floyd war am 25. Mai in Minneapolis festgenommen worden, weil er mutmaßlich mit Falschgeld Zigaretten gekauft hatte. Ein weißer Polizist drückte dann fast neun Minuten lang sein Knie auf den Nacken des am Boden liegenden Mannes, der mehrfach sagte, er bekomme keine Luft mehr.
Tausende demonstrieren in Madrid
Nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten in den USA haben sich auch in Spanien tausende Menschen den weltweiten Protesten gegen Rassismus angeschlossen. Am Sonntag versammelten sich nach Schätzungen der Polizei tausende Menschen in der Hauptstadt Madrid.
Vor der US-Botschaft verurteilten sie den Tod von George Floyd und wiederholten dessen letzte Worte „Ich kann nicht atmen“. Außerdem riefen sie: „Kein Frieden ohne Gerechtigkeit“ oder „Ihr, die Rassisten, seid die Terroristen.“ Für eine Schweigeminute knieten die Demonstranten nieder. Vor Ort herrschte ein großes Polizeiaufgebot. In Barcelona versammelten sich ebenfalls Hunderte Menschen.
Die Organisation der schwarzen, afrikanischen und afrikanischstämmigen Gemeinde in Spanien (CNAAE) hatte zuvor zu Protesten in einem Dutzend spanischer Städte aufgerufen, vom Baskenland bis zu den Kanarischen Inseln.
Am Sonntag sollten weitere Proteste gegen rassistische Polizeigewalt in Kopenhagen, Brüssel, Glasgow und London stattfinden. Bereits am Samstag hatte es weltweit Proteste, darunter in vielen Landeshauptstädten in Österreich, gegeben.
15.000 Menschen bei Großprotest in Kopenhagen
Tausende Menschen haben bei einem Großprotest in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. Nach einem Aufruf des dänischen Ablegers der Bewegung Black Lives Matter (Schwarze Leben zählen) versammelten sich die Protestteilnehmer am Sonntagnachmittag zunächst vor der US-Botschaft im Stadtteil Østerbro, ehe sie gemeinsam zum Regierungssitz zogen.
Insgesamt kamen mehr als 15 000 Teilnehmer zusammen, wie der Rundfunksender DR unter Verweis auf die Polizei berichtete. Bereits in den vergangenen Tagen hatte es in Kopenhagen und verschiedenen weiteren skandinavischen Großstädten größere Demos im Zusammenhang mit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in den USA gegeben.
Am Sonntag wurde auch im schwedischen Göteborg demonstriert, dort kamen rund 2000 Menschen zusammen. Zugelassen waren wegen der geltenden Corona-Beschränkungen nur 50 Teilnehmer, weshalb die Polizei die Veranstaltung vorzeitig auflöste. Im Anschluss wurden einige Flaschen auf die Beamten geworfen, auch einige Schaufenster wurden zerstört. Es kam zu mehreren Festnahmen, wie die Zeitung Göteborgs-Posten berichtete.
Demos in Österreich auch in Landeshauptstädten
In Österreich war am Samstag den dritten Tag infolge demonstriert worden. Nach Protestaktionen in Wien kam es auch in den österreichischen Landeshauptstädten zu Demonstrationen. Aus Graz wurden Zehntausend Teilnehmer gemeldet, aus Salzburg 4.000. In Linz nahmen 3.000 Menschen an der Aktion unter dem Motto #blacklivematters (Schwarze Leben zählen) teil. In Klagenfurt nahmen rund 1.000 Menschen an der #backlivesmatter-Demonstration teil. Bei den Protesten gegen Rassismus in Innsbruck wurden 4.000 Teilnehmer verzeichnet, in Bregenz waren es mehrere Hundert.
Die FPÖ kündigte indes die Prüfung von Anzeigen gegen Politiker an, die an den Demonstrationen in Österreich teilgenommen hatten. "Hier wird sichtlich nach zweierlei Maß gemessen. Brauchtumsveranstaltungen, Events, normale Nachtgastronomie, Volksfeste und regierungskritische Demos - Nein, aber instrumentalisierte Großdemos wegen eines Verbrechens in den USA - Ja", empörte sich FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz am Sonntag in einer Aussendung.
Trump lässt Nationalgarde aus Washington abziehen
Für Sonntag waren weitere Proteste auch in den USA geplant. Am Samstag hatten sich allein in Washington Zehntausende versammelt, aber selbst durch kleinere Orte wie die einstige Ku-Klux-Klan-Hochburg Vidor in Texas zogen mehrere Dutzend schwarze und weiße Demonstranten mit "Black Lives Matter"-Plakaten. Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, kündigte an, Mitglieder der Familie von George Floyd am Montag in Houston zu treffen.
Nach den erneut friedlich verlaufenen Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt in Washington hat US-Präsident Donald Trump den Rückzug der Nationalgarde aus der Hauptstadt angeordnet. Die Reservisten würden nach Hause gehen, könnten aber schnell wieder aktiviert werden, schrieb Trump am Sonntag auf Twitter. Als Grund führte er an, dass in der Hauptstadt jetzt "alles unter perfekter Kontrolle" sei.
New York: Ausgangssperre aufgehoben
In New York sind die Proteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität weitgehend friedlich abgelaufen. Aus diesem Grund hat Bürgermeister Bill de Blasio eine nächtliche Ausgangssperre früher als geplant wieder aufgehoben.
„New York City: Wir heben die Ausgangssperre mit sofortiger Wirkung auf“, schrieb de Blasio am Sonntag auf Twitter. „Gestern und letzte Nacht haben wir das Allerbeste unserer Stadt gesehen.“
Die nächtliche Ausgangssperre war am Montag eingeführt worden. Sie hatte zunächst von 23.00 Uhr und dann von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr gegolten. Sie war ursprünglich auch noch für die Nacht auf diesem Montag angesetzt.
Am Samstag und in der Nacht auf Sonntag waren erneut Tausende Menschen in mehreren Stadtteilen New Yorks auf die Straßen gegangen. Sie hatten weitgehend friedlich für ein Ende des Rassismus und für Gerechtigkeit für den bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis getöteten Afroamerikaner George Floyd demonstriert. Viele Demonstranten hielten sich nicht an die Ausgangssperre, die Polizei hielt sich aber zurück.
Banksy: "Systemfehler"
Dem Protest schloss sich unter anderem auch der geheimnisumwitterte britische Künstler Banksy an. Er stellte auf Instagram ein neues Werk vor und kritisierte „Systemfehler“ in der Gesellschaft (siehe Bild oben).