Politik/Ausland

Israel habe "schockierende Gleichgültigkeit" gezeigt

Als der Soldat Hadar Goldin vergangenen Sommer von der radikalislamischen Hamas durch einen unterirdischen Tunnel in den Gazastreifen entführt wurde, hat die israelischen Armee die umstrittene "Hannibal-Direktive" durchgeführt. Die Streitkraft musste alles in ihrer Macht stehende tun, um eine längere Gefangenschaft zu verhindern, auch wenn es den Tod Goldins nach sich zieht. Beim massiven Angriff auf die am Südrand des Gazastreifens liegende Stadt Rafah wurden am sogenannten "Schwarzen Freitag" (1. August 2014) 135 palästinensische Zivilisten getötet, darunter 75 Kinder.

"Es gibt belastende Beweise", dass Israel an diesem Tag "erschreckende" Kriegsverbrechen im Gazastreifen begangen hat, erklärte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) in ihrem jüngsten Bericht über den Gaza-Konflikt 2014. Im Zuge der militärischen Aktion "Protective Edge" habe Israel eine "rücksichtslose Politik mit verheerenden Konsequenzen für unschuldige Menschen" betrieben. Es würden keine Zweifel bestehen, dass die Angriffe auf Wohngebiete in Rafah als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten sind. Das geht aus einer im Auftrag gegebenen Analyse des Goldsmith College in London hervor.

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Israel: "Fehlerhafte" Analyse

Der Krieg zwischen der radikalislamischen Hamas und Israel dauerte 50 Tage – zwischen Juli und August 2014 – und forderte 2.251 palästinensische Todesopfer, 1.462 davon waren Zivilisten, berichteten die Vereinten Nationen. Auf israelischer Seite wurden 67 Soldaten und sechs Zivilisten getötet. Durch eine dauerhafte humanitäre Waffenruhe Ende August konnte der Konflikt in Nahost vorerst beendet werden.

Die Regierung in Jerusalem zeigte sich von den jüngsten Aussagen von Amnesty International nicht begeistert und bezichtigte die Menschenrechtsorganisation einer "fehlerhaften" und "einseitigen" Analyse. Während und nach dem Gaza-Konflikt beteuerte Israels Premier Benjamin Netanyahu stets, dass die militärische Offensive notwendig gewesen sei, um den Raketenbeschuss der Hamas auf israelische Gebiete zu unterbinden und das komplizierte Tunnelsystem vollständig zu vernichten.

Der Hamas wurde unter anderem auch von den Vereinten Nationen vorgeworfen, Raketen in palästinensischen Schulen zu bunkern und Menschen als Schutzschilder gegen israelische Angriffe zu benutzen.

Zeugenaussagen, Fotos und Videos

Für die dreidimensionale Untersuchung analysierten Mitarbeiter des Goldsmith College Schatten und Rauchschaden sowie Aussagen von palästinensischen Zeugen. "Hunderte Fotos und Videos, Satellitenbilder und Zeugenaussagen liefern überzeugende Beweise, dass Israel gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen hat. Die militärischen Aktionen müssen nun weiter untersucht werden", erklärte Philip Luther, Direktor von Amnesty International.

Für Luther zeige vor allem die "schonungslose" und "massive" Bombardierung auf Rafah die "schockierende Gleichgültigkeit" von Israel gegenüber Zivilisten im Gazastreifen. Die Luftangriffe auf die Wohngebiete hielten vier Tage lang an, doch später stellte sich heraus, dass Goldin bereits im ersten Feuergefecht getötet worden war.

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Bild: Der israelische Soldat Hadar Goldin

Israel-Kritik an Amnesty

Die methodische Herangehensweise, Fakten und Schlussfolgerungen seien mangelhaft und würden nicht der Realität entsprechen, kritisierte Israel den Bericht. Der Menschenrechtsorganisation wird vonseiten der Regierung vorgeworfen, eine "falsche Geschichte" zu erzählen. Denn die Behauptung, die israelische Armee habe vier Tage lang Rafah attackiert, sei falsch. Man habe bereits einen Tag nach der Entführung Goldins der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass der Soldat tot sei.

Der Bericht würde die "professionellen Standards" von Amnesty International ad absurdum führen. Die Operation "Protective Edge" sei gemäß des humanitären Völkerrechts durchgeführt worden, hieß es umgehend aus Jerusalem. Emmanuel Nahshon, Sprecher des israelischen Außenministeriums, nannte den Bericht auf Twitter eine "Demonstration der Scheinheiligkeit und Doppelmoral".

Im Kreuzfeuer der Kritik steht Israel weiterhin wegen des umstrittenen Vorwarnsystems "roof-knock". Nicht-explosive Raketen wurden während des Gaza-Konflikts auf die Dächer abgefeuert, um die Hausbewohner vor dem nächsten Feuergefecht zu warnen. Diese mussten umgehend aus den Häusern und ihrer Umgebung flüchten, denn die sich anbahnende zweite Rakete stellte keine Warnung mehr dar.

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