Die Wortwahl bestimmt den Weg
Von Anja Kröll
Sobald der Schnee auf den Bergen verschwindet, erscheinen die Freunde aus Wien zur Wandersaison. Mehrmals jährlich erstürmen wir die Gipfel meines Bergdorfs. Wobei der Weg nicht nur mit Steinen, sondern auch Fragen gespickt ist: Das nennst du nicht steil? Wann sind wir endlich da? Du hast gesagt, nur mehr eine Kurve! Doch bevor man überhaupt bei dieser einen, finalen Kurve angelangt ist, wiederholt sich folgende sprachwissenschaftliche Tradition: „Wir fahren am Freitag runter.“ Schweigen. „Wohin?“ – „Runter, nach Kärnten.“
Würde der Mensch im Bergdorf nie sagen. Runter, ts! In unserer Weltansicht gibt es zwei grundlegende Richtungen beim Autofahren. Eini und Außi. Runter und rauf geht‘s nur auf den Berg. Wenn dann fahren wir rein ins Bergdorf, oder eben raus aus dem Bergdorf. Folge dessen: Außi auf Wien, oder eini ins Dorf. Aber niemals rauf nach Wien, oder runter nach Kärnten. Schreit regelrecht nach Kärnten-Bashing durch den Wasserkopf.
Ja, geografisch, mit Landkarte vor dem inneren Auge, ist runter schön logisch. Aber wachsen Sie einmal in einem Tal auf. Ergo umgeben von Bergen, oder nennen wir es böse Schlucht. Da denken Sie nur in einer Kategorie: raus!
Ausnahme, und jetzt wird es kompliziert, sie fahren durch einen Berg, zum Beispiel von Kärnten nach Salzburg – dann können Sie, in der Logik der Schluchtenbevölkerung, nur wie fahren? Richtig: Rüber! Also umi. Verstehen die Wiener Freunde aber auch nicht und wird mit zunehmenden Konsum von Rotwein nicht leichter verständlicher.
Wir einigen uns also jährlich auf drei Gipfel und ein runter-rauf-eini-außi-umi-Unentschieden. Der Standort bestimmt eben den Standpunkt. Punkt.