Kuscheln in Blau mit Ablaufdatum
Von Josef Votzi
So scharf hat in den letzten zehn Monaten selten jemand Sebastian Kurz ins Visier genommen: „Er ist nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. Er ist ja sieben Jahre in der Regierung gewesen, war immer Teil der ÖVP. Er hat dem Islam den roten Teppich ausgerollt und als Wiener Gemeinderat allen Subventionen für islamische Kindergärten zugestimmt.“ Und: „Er war auch 2015 mit dabei, als einstimmig im Ministerrat beschlossen wurde, nicht die österreichischen Grenzen zu schützen und zu kontrollieren und die Flüchtlinge auch nicht zu registrieren. Wenn er mutig genug gewesen wäre, hätte er das mit einem Veto verhindern können.“
Die deftige Abrechnung mit dem amtierenden ÖVP-Chef stammt von keinem aktuellen politischen Widersacher. Sie entsprang auch nicht der Feder eines Journalisten. Derart radikal ins Gericht mit Sebastian ging kürzlich noch Heinz-Christian Strache – auf Punkt und Beistrich autorisiert und damit zur Veröffentlichung freigegeben in einem Interview für den KURIER vor zehn Monaten. Die Aufstellung für den Zieleinlauf bei der Nationalratswahl war Anfang Oktober 2017 längst fix. Die Poleposition Kurz längst nicht mehr zu nehmen. Offen war nur, wie sehr er Kern und Strache als Nr. 2 und 3 distanziert.
Strache: „FPÖ hat etwas überzogen reagiert“
Hundertachtzig-Grad-Wenden, Schlammcatchen auf der Bühne und Mauscheln hinter den Kulissen sind allen Parteien nicht fremd. Mit diesem Grundrauschen des Zynismus kommen außerhalb politischen Geschäfts Stehende zwar zu Recht schwer zurande. Auffallend ist im Fall Strache aber nur, wie lange der Schmuseton zwischen Türkis und Blau bereits anhält. Der blaue Parteichef und Vizekanzler genießt es sichtlich nach 13 Jahren Opposition erstmals ganz oben wirklich mitzumischen.
Ihr nach wie vor massives Aggressionspotenzial fährt die FPÖ derzeit nur aus, wenn Kritik von außen kommt. Der Shitstorm, den etwa einer der FPÖ-Generalsekretäre jüngst gegen Wolfgang Ambros wegen eines kritischen Interviews inszenierte, war gespenstisch – am Ende aber kontraproduktiv. Nach und nach stellten sich immer mehr Prominente, die schon lange politisch nichts von sich hören ließen, demonstrativ vor Ambros und gegen das blaue Femegericht. Strache steigt nun in einem KURIER-Interview(siehe Seiten 4/ 5) massiv auf die Bremse: Die FPÖ habe „etwas überzogen reagiert. Wir sollten gelassener mit (Ambros’) Kritik umgehen“.
Die erste große Belastungsprobe für den türkis- blauen Kuschelkurs steht aber spätestens im Frühjahr an – wenn der leidenschaftliche Anti-Nationalist Othmar Karas für ÖVP und der Haudrauf Harald Vilimsky für FPÖ bei der EU-Wahl als Spitzen-Duo gegeneinander antreten.
Denn auch ein kalkulierter Schaukampf kann schnell eskalieren – vor allem im weiten Hinterland der Sekundanten. Der glühende Europäer Karas ist für viele hartgesottene Blaue ein rotes Tuch. Dann könnte sich Straches einstige Wahlkampfabrechnung mit Kurz plötzlich vergleichsweise wie ein lauwarmes Geplänkel lesen.