Der freundliche Mr. Biden - oder wie sich Europa selbst rettet
Die Erleichterung über den Wechsel in den USA ist spürbar. Endlich ist Trump weg, die transatlantische Freundschaft zwischen Europa und Amerika kehrt zurück. Strafzölle und Drohungen sind Vergangenheit.
Das ist ein Trugschluss. Die amerikanische Wirtschaftspolitik ist zunächst immer der verlängerte Arm amerikanischer Konzerne. Sie lobbyiert für multilaterale Abkommen, die hohe Renditen für Unternehmen mit Zentrale in den USA und niedrige Steuerleistungen versprechen. Amerika hat Europa gezwungen, die Verluste der US- Banken abzudecken, auch wenn diese durch eigene Spekulationen verursacht waren. So mussten europäische Autofirmen wegen Dieselgate (berechtigterweise) zahlen, amerikanische Geländefahrzeuge aber nie. Sozial- und Umweltauflagen können vor amerikafreundlichen Schiedsgerichten bekämpft werden.
Das wird auch Joe Biden nicht ändern. Er muss den Firmen, die seinen Wahlkampf finanziert haben, etwas bieten; es sind doch in 20 Monaten wieder Kongresswahlen. Und er wird kritisch beäugt, ob er kein nachgiebiger Sozialist ist, zu weich gegenüber Gewerkschaften, China und Europa.
Das heißt nicht, dass es keinen Spielraum für eine neue Zusammenarbeit gibt. Die US-Bürger wollen weniger Ungleicheit, keine klimabedingten Stürme oder Waldbrände, keine Ölplattformen, die vor ihrer Küste sinken. Bürgermeister und Konzernchefs haben deswegen den Klimapakt eingehalten, auch wenn Trump austreten wollte. Aber CO2-Bepreisung, eine Steuer auf Finanzspekulationen, klimaneutrale Wohn- und Bürobauten haben keine Priorität. Ruinen durch Horizontalbohrungen müssen nicht entsorgt werden, wohin der Atommüll soll, ist gleichgültig. Verantwortung für Lieferketten und Töchter sind kein Thema, digitale Plattformen müssen keine Steuer zahlen, die Steueroase Delaware liegt sicher nicht in den USA.
Nur wenn Europa eine aktive Rolle in der Gestaltung der Globalisierung übernimmt, wird sich auch Joe Biden bewegen. Wenn er Europa als Partner gegen das übermächtige China braucht. Und Europa kann die Nachbarn im Osten und Süden einbinden und den Einfluss von Russland oder des Irans begrenzen.
Dazu muss Europa stärker gemeinsam auftreten auch in der UNO und in der Weltbank. Es muss öfter Abrechnungen in Euro verlangen, ob amerikanische Firmen beteiligt sind oder nicht, damit der EURO die zweitwichtigste Währung neben dem Dollar wird und nicht der Renminbi. Das neue mittelfristige EU- Budget und der Wiederaufbaufonds müssen für Dynamik und den Green Deal genutzt werden. Europa muss eine Besteuerung von Digitalplattformen, spekulativen Finanztransaktionen und Kerosin durchsetzen, und die eigenen Staatsausgaben entrümpeln, damit es wirtschaftlich stark bleibt. Ein starker Partner wird von den USA immer stärker beachtet als ein schwacher. So kann die alte transatlantische Freundschaft unter Joe Biden ein Bündnis für eine bessere Weltordnung werden.
Karl Aiginger ist Leiter der Querdenkerplattform Wien Europa, WU-Wien.