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"Auch Gastarbeiter sind nicht mehr das, was sie mal waren"

"Auch Gastarbeiter sind nicht mehr das, was sie mal waren." So titelt der serbische TV-Sender RTS einen Beitrag über die eigene Diaspora. 

Die im Ausland lebenden Serben würden die Bezeichnung "Gastarbeiter" inzwischen komplett ablehnen und lebten völlig anders als ihre Vorfahren, die das ehemalige Jugoslawien auf der Suche nach Arbeit verlassen hatten.

3 Millionen Menschen verließen Jugoslawien, um im Ausland zu arbeiten 

Die ersten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus dem einst großen Vielvölkerstaat kamen bereits in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre her - kurz nachdem am 4. April 1966 das Abkommen zur Beschäftigung jugoslawischer ArbeitnehmerInnen in Österreich in Kraft getreten war.

Zwei Jahre später traf der jugoslawische Präsident Josip Broz Tito dann auch mit dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt eine ähnliche Vereinbarung. Das führte dazu, dass bis zum Zusammenbruch Jugoslawiens fast 3 Millionen, hauptsächlich Bauern und Arbeiter, das 23 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner (Stand 1991, Anm.) zählende Land verließen. Sie alle gingen vorübergehend weg, blieben allerdings jahrzehntelang oder kehrten gar nicht mehr heim. 

"Ich habe zwei Zuhause, hier in Serbien und dort in Österreich"

So ein Fall ist Danijela Marjanović. Bereits in den 1970er Jahren hatten sich ihre Großeltern aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Požarevac auf den Weg nach Wien gemacht. In den 1990er Jahren verließen auch ihre Eltern das Land. Danijela lebt seit zweieinhalb Jahrzehnten mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Wien.

"Ich fühle mich dort nicht mehr als Gast, es ist mein Zuhause, mein neues Zuhause. Aber ich habe zwei Zuhause, hier in Serbien und dort in Österreich", erzählt die Frau dem Fernsehteam während ihres Besuchs in der Heimat ihrer Vorfahren. In dem Beitrag betont sie, dass ihre Kinder in Österreich geboren wurden, fließend Deutsch sprechen und ihre Herkunft bis zur Verlesung ihrer Nachnamen ungeahnt bleibt.

Die Wochenenden werden nicht mehr in der alten Heimat verbracht

Ähnlich verhält es sich mit der Geschichte der meisten Nachkommen ehemaliger Gastarbeiter, die demnach auch nicht mehr das Bedürfnis hätten, ihrer alten Heimat so oft einen Besuch abzustatten. "Es scheint, dass die zweite und dritte Generation unserer Gastarbeiter nicht mehr so ​​motiviert sind wie früher, jedes freie Wochenende in ihrer westeuropäischen Wahlheimat bei ihren Verwandten in Serbien zu verbringen", heißt es in dem Bericht. 

Am beliebtesten Grenzübergang zwischen Ungarn und Serbien, Röszke–Horgoš, würde es sich nur noch in den Sommermonaten stauen. Früher seien hier kilometerlange Staus an der Tagesordnung gestanden. "Ich fahre nicht so oft nach Serbien. Wenn ich dort hinfahre, dann zu Feierlichkeiten, meistens zu Hochzeiten, Taufen oder ähnlichen Anlässen. In erster Linie reise ich dorthin, um meine ganze Familie dort zu sehen", sagt eine andere Auslandsserbin im RTS-Gespräch. 

Die Emotionen scheinen verflogen zu sein

Wirtschaftsexperte Nenad Jeftović sagt in dem Beitrag, dass die Beziehungen zwischen der dritten Gastarbeiter-Generation und Mutterland Serbien heutzutage in erster Linie im Wirtschaftsbereich angesiedelt seien. "Wir sollten diese 'Emotionen'-Karte im Zusammenhang mit unserer Heimat nicht länger ausspielen", findet er.

Die erste Generation von Gastarbeitern sei mit Koffern voller Träume ins Ausland abgereist: Geld verdienen, ein Haus bauen und eines Tages zurückkehren, stand auf der Wunschliste.

Die Verwandten in der Heimat lebten vom Geld, das man ihnen aus Westeuropa schickte

Sie alle kamen dann mit vollen Koffern und Taschen im hart verdienten Urlaub in die Heimat. Dank ihnen gelangten teure Autos, Möbel und die ersten tragbaren Fernseher in Dörfer, in denen es damals nicht einmal Strom gab.

Ihre Verwandten in Jugoslawien konnten von den Überweisungen, die sie schickten bzw. dem Geld, das sie heimbrachten, bequem leben. Bis zu Titos Tod sollen sich die Ersparnisse serbischer Gastarbeiter allein in Deutschland bei jugoslawischen Banken auf etwa 20 Milliarden Dinar belaufen haben.

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Die Nachkommen wollen das erleben, was ihre Eltern nicht konnten

Die erste Generation der Gastarbeiter kehrte größtenteils zurück. Ihre Nachkommen aber vermischen heute Serbisch und die Sprache des Landes, in dem sie geboren wurden und besuchen nur selten die prächtigen, verlassenen Villen - Zeugen der harten Arbeit und unerfüllten Träume ihrer Vorfahren.

"Ich weiß, wie meine Eltern gelebt haben, als sie in Wien hart gearbeitet und hier investiert, ein Haus gebaut haben. Das müssen wir jetzt nicht tun. Wir können jetzt für uns arbeiten", sagt Danijela aus Wien. Für sie sei es wichtig, im Leben etwas zu sehen, zu reisen und Möglichkeiten zu nutzen, die ihre Eltern nicht hatten.