Guinea-Bissau: Riesenschildkröte auf Mini-Insel
Sie schnauft wie eine Dampflok, macht kurz Pause und schleppt ihren zweihundert Kilogramm schweren Körper über den Strand Richtung Meer. Sie hört die Wellen und riecht die salzige Atlantikluft. Noch ein paar mühevolle Flossenschläge im weichen Sand, dann umspült sie das kühle Wasser und trägt sie zurück ins Meer. In ihr Element, in dem der schwere Panzer sie nicht niederdrückt und sie elegant wie eine Ballerina gleitet.
Der kräftezehrende Ausflug an Land musste sein. Nur hier, wo sie selber einmal aus dem Ei geschlüpft ist, legt die Grüne Meeresschildkröte ihre bis zu einhundert Eier ab. Wie das Panzertier seinen Geburtsstrand nach Jahrzehnten wiederfindet, ist unbekannt. Möglicherweise orientiert es sich am Magnetfeld der Erde oder folgt Meeresströmungen. Einer der besten – und geheimsten – Plätze, um die Grüne Meeresschildkröte zu beobachten, ist die Mini-Insel Poilão im Bijagos-Archipel vor der Küste des westafrikanischen Staates Guinea-Bissau.
Hunderte Schildkröten
Im Oktober und November kommen hier jede Nacht Hunderte der Giganten an Land. Kreuz und quer durchfurchen ihre Spuren den Sand. Das geschäftige Treiben auf Poilão ist alleine den Tieren vorbehalten. Die zwei Quadratkilometer große Insel ist unbewohnt und erlaubt nur wenige Besucher. Poilão steht als Teil des João Viera e Poilão National Marine Park unter strengem Naturschutz – und ist ein heiliger Ort für die Menschen der Bijago-Ethnie, die den Archipel bewohnen. Auf Poilão unterziehen sie sich einem Initiationsritus namens Fanado, der sie zu geachteten Mitgliedern der Gesellschaft macht. Was genau passiert, wenn die Männer und Frauen in kleinen Gruppen viele Wochen abgeschottet auf einer ihrer „heiligen Inseln“ leben, ist nicht bekannt. Wer sich dem Ritus unterzieht, verpflichtet sich, darüber zu schweigen. Ein Spaß ist es jedenfalls nicht, denn wer zurückkehrt, trägt dicke Narben am Körper.
Auf Kurzbesuch
Die Schildkröteninsel Poilão ist eine dieser heiligen Bijagosinseln. Fremde müssen daher am Strand bleiben und dürfen das dschungelartige Dickicht des Eilands nicht betreten. Das macht den Aufenthalt schwierig, aber das ökologisch betriebene Orango Parque Hotel bietet einen Ausflug nach Poilão an. Das Hotel liegt auf der Insel Orango im gleichnamigen Nationalpark und damit im 1996 ausgerufenen UNESCO-Biosphärenreservat, das den artenreichen Bijagos-Archipel mit achtundachtzig Inseln umfasst. Acht komfortable Übernachtungshütten, ein Freiluftrestaurant, ein Sandstrand und ein kleines Museum über die Lebenswelt der Bijagos warten auf die Gäste.
Von dort geht es per Boot nach Poilão – in vier Fahrstunden und ohne Komfort. Alles, was für den Zwei-Tages-Trip nötig ist, wird an Bord mitgeführt. Übernachtet wird in kleinen Ein-Personenzelten mit Schlafmatte, Katzenwäsche im Bottich, Outdoor-Toilette am Strand, zu essen gegrillter Fisch.
Belohnung für den Verzicht
Die Belohnung für den Verzicht ist der unberechenbare Schildkrötenbesuch: Sie kommen meist nachts, um der Hitze zu entgehen. Und so rufen die Guides mal mitten im Schlaf oder wenn gerade das Abendessen auf dem Campingtisch dampft. Sofort stürzen alle los, um zu sehen, wie sich eine gewichtige Mama den Strand hochschleppt, ein Loch buddelt und ihre tischtennisballgroßen Eier ablegt. Oder umgekehrt Hunderte Baby-Schildkröten Richtung Meer robben. In der Nacht ist nur rotes Licht erlaubt, Schildkröten orientieren sich am Licht, normale Taschenlampen würden sie in die Irre führen.
Sie zu beobachten, ist ein Blick in die Vergangenheit, Meeresschildkröten kommen seit Millionen Jahren zur Eiablage an Land. Der Plastikmüll, den die Atlantikströmung an die Westküste Afrikas spült und der auch an der Insel Poilão hängen bleibt, ist jung. Wie ein weiteres Problem: Das Geschlecht der Grünen Meeresschildkröten wird durch die Temperatur bestimmt, wärmer bedeutet mehr Weibchen, kühler nur Männchen. Wegen der Klimaerwärmung sind in den vergangenen Jahren überproportional viele Weibchen geschlüpft.
Abgesehen von diesem globalen Problem bietet der Bijagos-Archipel mit seinen fruchtbaren Inseln noch kaum berührte Natur. Neben den Meeresschildkröten finden sich dort erstaunlich und seltene Tiere, Salzwasser-Nilpferde etwa und springende Fische, Mini-Krokodile und Hunderte Vogelarten.
Info
Klimafreundliche Anreise
Beste Verbindung mit TAP Air Portugal über Lissabon in die Hauptstadt Bissau, dann per Fähre oder Privatboot auf die Inseln. (-Kompensation über climateaustria.at 41 €)
Beste Reisezeit
Zwischen Oktober und Juni, die Schildkröten sind zwischen September und Februar zu beobachten, Hochsaison ist Oktober/November
Unterkunft/Buchung
10-Tage-Programm ab/bis Airport Bissau inkl. ÜN/VP im Orango Parque Hotel, geführte Exkursionen, Transporte, Na- tionalparkgebühren ab 1.775 €. Buchung auf orangohotel.com oder als Reisebaustein über einen Afrikareiseveranstalter
Lektüre
Reiseführer Senegal/Gambia/ Guinea-Bissau von Thomas Baur, Reise Know-How Verlag, aktualisiert 2019/20, 16,90 €