Kultur

Sammy Amara von den Broilers lässt sich die Demokratie "nicht versauen"

„Lebe, du stirbst!“ Das ist der letzte Satz, den man hört, wenn „Puro Amor“, das neue Album der Punk-Band Broilers, zu Ende geht. Aber das, sagt Sänger und Textautor Sammy Amara im KURIER-Interview, sei die Essenz von "Puro Amor".

KURIER: Wenn man einige Songs des Albums „Puro Amor“ hört, könnte man glauben, dass sie sich auf die Corona-Krise beziehen. Es sind aber viele Songs schon davor entstanden, richtig?

Sammy Amara: Fast die Hälfte ist vorher entstanden. Ironischerweise sind die beiden Songs, die man am ehesten auf die Pandemie bezieht, nämlich die Singles, „Gib das Schiff nicht auf“ und „Alles wird wieder Ok!“, definitiv vor der Pandemie entstanden. Ich finde es aber völlig in Ordnung, dass man diese Songs jetzt als Mutmacher für diese Zeit nützt. Damit habe ich überhaupt kein Problem.

Vor welchem Hintergrund sind diese Songs entstanden, wenn nicht vor dem der Pandemie?

„Gib das Schiff nicht auf!“ ist aus einem kleinen Streit entstanden, den wir innerhalb der Band hatten. Uns gibt es seit 27 Jahren. Wir sind extrem eng zusammen. Wir sind weit mehr als eine Band, wir würden sogar sagen, dass die Freundschaft für uns wichtiger ist, als die Band. Und natürlich knallt es da manchmal - wie in einer Beziehung und einer Familie. Aber wir haben diese Sachen gelöst und haben das verhältnismäßig schnell besprochen, dass das Problem gar nicht so groß werden konnte. Und nach dem Vertragen hatten wir eine epische Probe. Dabei habe ich diesen Song geschrieben, um sinngemäß zu sagen: „Gib diese Freundschaft nicht auf!“ 

 

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Und „Alles wird wieder Ok!“?

Das ist eine Nummer, die stark von 80er-Wave und The Cure beeinflusst ist. Die habe ich ziemlich kurz vor der Pandemie geschrieben, weil mir die Art, wie Menschen miteinander agiert, oder besser gesagt nicht miteinander agiert haben, auf die Nerven gegangen ist. Damit meine ich Kleinigkeiten: Kein Bitte, kein Danke, es wird die Tür nicht aufgehalten. Das fehlt mir und es ist so zermürbend. Und wenn ich dann auch noch diese Wuthöhle Facebook aufmache, wo die Leute in ihrer Jogginghose auf der Couch sitzen und Dinge unter der Gürtellinie reintippen. Das ist alles so schlimm und erschöpfend. Aber ich glaube schon, dass wir es irgendwie schaffen werden, wieder ein freundliches Miteinander zu haben. 

Glauben Sie, dass das jetzt schlechter geworden ist, nachdem es zu Beginn der Pandemie eher mehr Zusammenhalt gegeben hat?

Wenn das Wetter gut ist! Ich fahre im Moment sehr viel Fahrrad, weil ich den öffentlichen Personennahverkehr wegen Corona meide. Das ist mir zu dicht und es halten sich nicht alle an die Maskenpflicht. Aber ich habe das Gefühl, dass die Menschen bei schönem Wetter immer schon eine Schraube locker hatten. Normalerweise würde man denken, da blüht der Mensch auf. Aber vielleicht sind dann auch mehr Verrückte auf der Straße, die sich bei Regen nicht raus trauen. Das merke ich, weil man bei schönem Wetter besonders aufpassen muss, wenn man mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs ist. Und in dieser Zeit jetzt umso mehr. Es geht an die Substanz von uns allen, die Menschen zeigen Nerven, und das merkt man. Also ja, es ist durchaus ärger geworden und wird auch immer ärger, je länger diese Pandemie dauert.

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Sie und Ihre Band haben sich immer politisch positioniert und gegen Pegida geäußert. Jetzt mischen sich - zumindest bei uns in Wien - bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen viele Rechtextreme darunter. Für wie gefährlich halten Sie diese Entwicklung? Stärkt das die rechtsextreme Szene?

Wenn es für jemanden in Ordnung ist, neben einer Person zu stehen, die ganz klar rechtsextrem ist, dann nützt es nichts, wenn du ein Peace-Zeichen auf der Brust hast, oder eine Friedensfahne hochhältst. Die Person neben dir reißt dich mit runter. Das ist jetzt gedanklich ein großer Sprung, aber im Dritten Reich haben diese Leute die Entwicklung möglich gemacht – die, die ruhig geblieben sind, die schweigende Mehrheit. Man darf sich nicht verunsichern lassen, und glauben, dass die Leute, die jetzt protestieren die Mehrheit sind. Das sind sie weder bei euch im Land, noch bei uns, noch in der Schweiz. Die sind einfach nur lauter, auch auf Facebook und anderen Plattformen. Deshalb wirkt es so, als wären sie die Mehrheit. Aber mit der Historie, die wir in unseren Ländern haben, bin ich sicher, dass spätestens dann, wenn es wirklich knapp wird, Leute aufstehen und sagen: „Bis hierhin und nicht weiter! Die Demokratie ist heilig, die schützen wir und die lassen wir uns nicht versauen“. Die Corona-Leugner und Maskenverweigerer, die Leute die dort protestieren, müssen aber aufpassen und da einen Schnitt machen, wenn sie weiterhin ernstgenommen werden wollen. Es ist in Ordnung zu protestieren. Es ist nicht in Ordnung, zu protestieren, indem man die Auflagen schleifen lässt, weil die Auflagen sind lebenswichtig. Es gibt Menschen in meinem Bekanntenkreis, die daran gestorben sind, es gibt Menschen in meinem Alter, die unter Long-Covid leiden. Die sind körperlich immer noch am Boden, die sind in der Reha und die sind Anfang 40. Und wenn es meinetwegen nur diese Handvoll Menschen wäre, ist es in meinen Augen trotzdem wert, dass du dein Gegenüber schützt. Und wenn das bedeutet, dass du einfach einmal für ein paar Stunden am Tag diese blöde Maske trägst, die unangenehm ist, dann zieh halt die Maske auf.

 

 

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Sie sagen, Sie sind überzeugt, dass Menschen aufstehen werden, bevor die Demokratie ernsthaft in Gefahr kommt. Vor einigen Jahren aber sagten Sie, dass Ihre größte Angst ist, dass wir schon in der Situation sind, die letztlich zum Dritten Reich führte, nämlich beim „Wir gegen die“. Warum sind Sie diesbezüglich optimistischer geworden?

Das stimmt, das war meine Angst. Und die Situation ist auch nicht besser geworden, sie ist eigentlich schlechter geworden. Nur habe ich versucht, in vielen Dingen positiver zu sein. Deshalb ist unsere Single „Alles wird wieder Ok!“ in meinen Augen wichtig. Denn die Menschen weiter zu demotivieren, hilft den Leuten nicht und hilft auch mir nicht. Ich hoffe drauf und ich glaube daran, dass es nicht so weit kommt. Ich appelliere an die Vernunft der Menschen und versuche, alles, was in meiner Macht steht, zu tun, dass es nicht so weit kommt.

 

Und als Musiker, Sänger und Textautor ist das, in den Songs, Missstände anzusprechen . . .

Ich kann versuchen, mit meinen Songs die Menschen beim Herzen zu packen und gewisse Positionen zu hinterfragen. Ich möchte auf keinen Fall den Zeigefinger erheben, denn das hilft nicht. Das habe ich schon in der Schule nicht gut gefunden, und das hat mich nur noch mehr dazu gebracht, weiter zu machen. Damit verhärtet man die Fronten noch mehr. Ich bin der Meinung, man sollte mit Menschen sprechen, die zugänglich sind, und versuchen, sie mit vernünftigen Argumenten zu überzeugen. Menschen, die in ihren Gedanken schon total verbohrt sind, die erreiche ich eh nicht. Wieder ein Beispiel aus Facebook: Ich hatte früher die Ambition, einmal am Tag in den Nachrichtenspalten etwas zu posten, das zu einer Diskussion führt. Aber da habe ich bald gemerkt, dass die Leute gar nicht diskutieren wollen. Sie wollen ihre Sachen möglichst aggressiv in die Kommentarspalten reinspucken, Unruhe stiften, und dann sind sie auch schon wieder weg.

 

Musikalisch bietet „Puro Amor“ eine sehr schöne Bandbreite an Stilen, aber auch eine durchwegs aufbauende, positive Energie. Früher sagten Sie, dass sie nur Songs schreiben, wenn Sie schlecht drauf sind . . . .

Das ist auch immer noch so. Ich schreibe nicht, wenn ich in Partylaune bin. Dann will ich eher etwas trinken und selbst Musik hören. Aber in der Entstehung  von „Puro Amor“ sind zwei sehr gute Freunde von uns gestorben, beide in unserem Alter, also viel zu früh. Aber selbst die Lieder, die ich für die beiden geschrieben habe, haben in all ihrer Traurigkeit trotzdem etwas Positives. Eines ist das letzte Lied auf der Platte und das heißt „An allen anderen Tagen nicht (Lebe, du stirbst)“. Und die letzte Zeile auf dem Album ist „Lebe, du stirbst“. Das klingt zwar hart, hat aber in sich auch eine positive Botschaft. Diese Sätze sind das Konzentrat aus dem Album: Es gibt dabei Vieles, was sehnsüchtig, traurig und emotional ist. Es gibt aber auch diese Kraft nach vorne. Denn wir sind es uns schuldig, dass wir hier und jetzt unser Leben so gut führen, wie es nur möglich ist.

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Fällt es Ihnen schwer, diese Kraft nach vorne zu spüren?

Ja, das fällt mir sehr schwer. Denn je älter ich werden, desto mehr erkenne ich, dass ich sehr, sehr sensibel und für kleine Signale empfänglich bin. Ich erkenne, dass ich eine gewisse Schwermut in mir habe. Und ich habe verstanden, dass ich eine . . . ich würde es nicht zwingend Depression nennen, aber eine „saisonal affektive Störung“ habe, wie sie das jetzt so hochtrabend nennen. Der Herbst und der Winter sind nicht leicht für mich. Das kriege ich nicht aus mir raus, aber das habe ich jetzt akzeptiert und Wege gefunden, damit umzugehen: Sport, etwas Schönes für mich tun, aktiv sein. Das hilft mir. Und das kann ich auch anwenden, wenn mich manchmal die Nachrichten aus der Welt erschlagen. Denn nachts alleine Nachrichten zu schauen, kann mich auch ganz schön runterziehen.

 

Bezieht sich der Song „Niemand wird zurückgelassen“ auf die Slogans der Regierungen bei den Ankündigungen der Corona-Hilfen?

Nein, den gibt es ja auch schon länger. Das bedeutet, dass man den Menschen, die um Hilfe bitten, tatsächlich hilft. Und da ist es mir vollkommen egal, was für eine Herkunft sie haben, was für eine Vita sie haben, oder was für eine Präferenz sie sexuell gesehen haben. Es geht um „Puro Amor“. Wie Leute, die um Hilfe bitten, auf dem Mittelmeer zurückgewiesen werden, kriegen wir ja alle mit. Was ich jetzt sage, wird durchaus Diskussionen auslösen: Aber wer glaubt denn ehrlich, dass sich jemand auf so eine lebensgefährliche Reise macht, nur weil er gefühlt zu wenig TV-Programme oder ähnliche Probleme hat? So eine Reise unternimmt man, weil man dort, wo man gelebt hat, nicht mehr menschenwürdig leben kann. Nehmen wir einmal an, es wendet sich alles und wir würden hier in unserem schönen westlichen Europa dazu gezwungen werden, zu fliehen. Wir müssen uns nur einmal vorstellen, wie schlimm das für uns wäre.

 

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Haben Sie über Ihre Eltern einen Bezug zum Thema Flucht?

Mein Papa ist aus dem Irak, er ist aber nicht geflüchtet. Er hat den Irak in den 60er-Jahren verlassen, um Medizin zu studieren. Er hat zuerst in der Türkei studiert, aber die Türken waren sehr, sehr rassistisch den Irakern gegenüber. Deshalb ist mein Papa nach Deutschland gekommen und hat in Heidelberg weiterstudiert. Er hatte zwar den Plan, wieder nach Hause zu gehen, aber im Irak hat man es ihm schwer gemacht. Da hatte sein Studium keinen Wert. Es wurde ihm aber eine Praxis in Düsseldorf angeboten. Da hat er sich dort niedergelassen und in meine Mama verliebt. Aus meiner Familiengeschichte habe ich deshalb keinen Bezug zu dem Thema. Aber ich war vor längerer Zeit einmal in einem Flüchtlingsheim und danach richtig fertig. Ich versuche nämlich immer, mich in andere Menschen hineinzuversetzen und denke, was würde ich mir wünschen, wenn ich in dieser Situation wäre. Dieser Spruch, den wir im Kalender stehen haben, „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu!“ . . .  eigentlich ist es genau das. Eigentlich wäre es so einfach.