"Rettungsanker": Thomas Brezina schrieb in 3 Tagen ein Corona-Tipp-Buch
Von Heinz Wagner
„Es gibt vier Worte, die mein Leben verändert haben. Ich habe sie als Schild auf meinem Schreibtisch, in meinem Handy als Erinnerung und sogar auf einem Schlüsselanhänger eingraviert“, beginnt Österreichs vielleicht bekanntester Autor Thomas Conrad Brezina auf Seite 70 einen der letzten Abschnitte, der seinem jüngsten, aktuellsten Buch auch den Titel gab.
„Seit dem Ausbruch von Corona und den Maßnahmen, die getroffen wurden und das normale Leben stark einschränken, lese ich sie so oft wie möglich. Ich weiß, wenn wir in einer Krise, in einer schlimmen Situation, in einer Notlage stecken, dann sind diese Worte kaum zu glauben. Aber sie sind wahr und das kann vielfach bewiesen werden. Jeder von uns hat schon erlebt, dass die Aussage der Worte stimmt. Dazu ist nur ein wenig Zurückdenken in die eigene Vergangenheit nötig. Die Worte lauten: Auch das geht vorbei.“
Der Autor, der – dank der Hilfe des eingespielten Verlagsteams – innerhalb von nur drei Tagen das Buch produzierte – das kostenlos zum Download steht, will aber nicht mit einer Handbewegung Sorgen und Nöte wegwischen oder gar kleinreden. Das beschreibt er im Buch. Und sagt er im Telefon-Interview mit dem Kinder-KURIER.
Wie kamst du zu dem titelgebenden Spruch?
Brezina: „Den Spruch hat mir vor 20 Jahren jemand gegeben, ich weiß gar nicht mehr wer, aber er hat mir in eigenen besonders schwierigen Situationen geholfen. Ich habe ja auch in meine bisherigen Ratgeber – etwa „Die Freude Notfall Apotheke – 21 Dinge, die bei Freudemangel helfen“ oder „Tu es einfach und glaub daran – Wie du mehr Freude in dein Leben bringst“ und „Blödsinn gibts nicht – Wie wir Kinder fürs Leben begeistern“ – immer wieder Tipps mit Geschichten aus meinem Lebensumfeld geschrieben, die mir auch selber viel geholfen haben.“
Du willst zwar die Sorgen nicht kleinreden oder wegwischen, aber könnte nicht „Auch das geht vorbei“ so wirken wie der alte Spruch „Bist du heiratest ist eh alles wieder gut“, der den Kindern aber den eben erlittenen Schmerz nicht nimmt?
Das möchte ich sicher nicht. Aber es geht darum, mit diesem Schock, diesem Schreck, dem Umsturz unserer Lebenssituation umzugehen. Dafür müssen wir sie als erstes akzeptieren. Dazu zählen auch die Tatsache, dass wir zu Hause bleiben müssen, uns oft die Decke auf den Kopf zu fallen droht, Spannungen in der Familie, Ängste … aber es ist die Frage, wie wir damit umgehen.
Wir sollen und müssen sicher Platz lassen für Trauer, die Matura nicht zum vorgegebenen Zeitpunkt zu machen, einen Urlaub vielleicht absagen zu müssen, gar auf Kurzarbeit gesetzt zu werden oder den Job zu verlieren. Aber wir dürfen uns nicht ins Jammern reinfallen lassen. Vielleicht dran denken, auch das Blut bei einer Verletzung hilft die Wunde zu heilen. Und uns vielleicht zurückerinnern an andere schreckliche, traurige Momente in der Vergangenheit und wie wir diese überwinden konnten.
Hoffnung ist ja unser ständiger Rettungsanker.
Und ich möchte alle ermuntern, trotzdem freundlich miteinander umzugehen, schöne Moment jetzt zu finden oder sie in Fotos und Erinnerungen zu suchen. Übrigens, auch Humor hilft viel und sollte nicht zu kurz kommen.
Bist du derzeit in London oder Wien?
Ich lebe ja die meiste Zeit des Jahres in Österreich, nach London ziehe ich mich nur zum Schreiben zurück. Und vor elf Tagen, als sich die weltweite Lage zusgespitzt hat und absehbar war, dass Österreich Maßnahmen ergreift, England (noch) nicht, bin ich nach Österreich gekommen. Hier fühl ich mich zu Hause, hier fühl ich mich aufgehoben und von hier aus kann ich alles machen.
Fällt dir eigentlich selber die Decke auf den Kopf oder fantasierst du dich einfach nach draußen?
Was hilft sind Fotos vom Urlaub oder schönen Momenten. Die hab ich derzeit überall und ich wechsle sie immer wieder: Startbildschirm Handy, Hintergrund Handy, Laptop usw.
Hier unten gibt's noch ein paar hilfreiche Passagen aus dem Buch
Jammeranfall
Da sich durch das Jammern nichts wesentlich verbessert, ist es einfach nicht sehr hilfreich. Wir sind aber Menschen und Jammern kann auch wie ein Überdruckventil wirken. Der Druck durch Sorge und Beunruhigung, der sich innerlich angestaut hat, kann abgelassen werden.
Das ist in Ordnung, aber nur mit Zeitlimit. Drei Minuten Jammern als therapeutisches Mittel ist derzeit absolut erlaubt. Hilfreich ist es, aus meiner Erfahrung, wenn dann keiner sagt: „Aber geh, ist doch nicht so schlimm.“ (Egal, ob die Bemerkung zutrifft oder nicht.) Wenn jemand etwas loswerden will, dann ist es IN DIESEM MOMENT schlimm für den Menschen.
Aber eben nicht stundenlang, sondern maximal drei Minuten. Aufmerksam zuhören und klar zu verstehen geben: Ich höre dich. Ich nehme dich ernst. Auch wenn ich dir nicht zustimme, lasse ich deine Gedanken gelten und verstehe, wie sie dich derzeit beschäftigen und belasten.
Achtung: Solche Jammeranfälle haben die Angewohnheit, in zwei Wellen zu kommen! Es ist durchaus ratsam, selbst einen zweiten Jammeranfall zu akzeptieren, der sofort folgt. Aber wieder nur maximal drei Minuten.
Dann ist Schluss. Dann gilt es, den Kopf bildlich zu drehen und den Blick wieder auf etwas Anderes zu richten. Eine hilfreiche Aufforderung lautet: Jetzt erzähle mit bitte drei Dinge, die dir in letzter Zeit oder überhaupt Freude machen und schön sind.“ (S 56/57)
Bollywood
„Ich nehme es wieder gerne in Kauf, wenn mich manche für diesen Tipp für verrückt halten. Wird es stressig, mühsam oder habt ihr das Gefühl, ihr könnt im Moment einfach nicht mehr, stellt euch vor, in einem Bollywood-Film zu sein.
„Bollywood“ ist das indische Hollywood und die Filme, die von dort kommen, haben große Eigenheiten. Wenn es um große Liebe geht, aber manchmal auch um Probleme oder um Auseinandersetzungen, fangen plötzlich alle an zu singen und zu tanzen.
Oder die Heldin oder der Held geht auf der Straße und fragt sich „Wie soll das nur werden?“ und ZACK, plötzlich springen alle Passanten in die Höhe und tanzen, tolle Musik und indischer Pop. (Diese indische Popmusik finde ich übrigens wirklich sehr aufbauend.)
In Situationen, wenn es bei mir eng und schrecklich wird, stelle ich mir manchmal vor, dass plötzlich alle aufspringen, tanzen, singen wie im Bollywood-Film und dann geht es weiter, und es geht besser weiter.
Diese Vorstellung lässt mich grinsen, innerlich und äußerlich.
Geht es dann von alleine besser weiter?
Nein.
Habe ich aber ein Lächeln im Gesicht, kann ich wieder selbst lachen? Kann ich vielleicht die ganze Situation ein bisschen lockerer sehen?
Ja.
Und dieses „ein bisschen lockerer sehen“ ist der Trick an der Sache.
In manchen Situationen überschlagen sich die Gedanken im Hirn und brauchen dann Auflockerung. Dafür sind Humor und Lachen sehr gut geeignet. Wie heißt es doch so trefflich: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Ausprobieren, was am besten gefällt und zum Lachen bringt und in den richtigen Dosen genehmigen.“ (S 54/55)
Freudeübung
Mir ist dann auch eine kleine Freudeübung eingefallen, die ich vor einiger Zeit erfunden habe. Damals aus „Eigenbedarf“.
In London gab es vor Kurzem eine Ausstellung mit Portraits und Bildern von Popstars, die verschiedene Künstler fotografiert und gemalt haben. Ein sehr großes Bild hat das ganze Alphabet gezeigt, jeden einzelnen Buchstaben. Die Buchstaben waren verstreut über die riesige Leinwand, und jeder hat den Anfang zu einem Wort über Michael Jackson gebildet.
Als ich die Ausstellung besucht habe, war ich sehr müde, und in den Stunden davor hatte ich jede Menge Ärger. Die Idee mit dem A bis Z hat mir gefallen. Ich habe begonnen zu überlegen, wie so ein A bis Z über mich aussehen würde. Vor allem mit Momenten und Dingen, die mir Freude bereiten.
A wie rote Armbanduhr./B wie Bücher (braucht keine große Erklärung)/C wie China (wo ich völlig unerwartet riesigen Erfolg mit meinen Büchern hatte)/D wie Danke (um mich zu beruhigen, denke ich oft an alles, wofür ich dankbar bin)/E wie Einfall (ich liebe dieses Gefühl, wenn mir etwas eingefallen ist).
So ging das weiter, und mit jedem Buchstaben habe ich mich wohler gefühlt. Einfach war das übrigens nicht. Ich habe richtig nachdenken müssen. Allerdings war die Wirkung wirklich unerwartet stark und gut. Mein Frust und Ärger sind deutlich kleiner geworden. Mit jedem Buchstaben habe ich mich noch ein wenig mehr gefreut.
Es geht nicht um „große“ Dinge, sondern einfach um alles, das Freude macht. Das Alphabet der Freude hilft uns, coacht uns, hält uns bei der Stange, wie ein guter Trainer, der nicht zulässt, dass wir uns hängen lassen.
…
So eine Übung ist aber wie Vitamintabletten für die Seele. Wenn unser Hirn kapiert und erlebt, dass es sich jetzt nicht nur mit dem Schrecken und der Traurigkeit der Situation beschäftigen kann, dann will es durchaus mehr.
Dummerweise ist es immer einfacher, an Negatives zu denken. Soviel ich weiß, war das ein Schutzmechanismus in der Zeit der Säbelzahntiger. Der Mensch hat ständig nur daran gedacht, wo der nächste lauern könnte.
Heute ist uns dieses „Einfach auf negativ schalten“ geblieben.
Um Freudiges auch in dunklen Momenten zu erkennen, ist es nötig, den eigenen Kopf mit beiden Händen zu packen und hinzudrehen (natürlich ist das nur bildlich gemeint, möchte ich zur Sicherheit hinzufügen.)
Jetzt lade ich alle ein, ihr eigenes ABC der Dinge zu erstellen, die es derzeit im Leben gibt und die Freude machen.
Und sei es der Marienkäfer, der in der Wohnung überwintert hat und auf dem Fensterbrett aufgetaucht ist. Auf jeden Fall ein Glückssymbol.“
(S 33 - 35)
Thomas Conrad Brezina (Jahrgang 1963) hat mehr als 560 Bücher für Kinder geschrieben und vor drei Jahren begonnen, für Erwachsene zu publizieren – u.a. mehrere lebenspraktische, leicht lesbare Ratgeber – immer verbunden mit etlichen Geschichten. Außerdem produziert er TV-Sendungen und nutzt Social-Media-Kanäle für seine Botschaften.