Kultur

Politische Kunst: Vermeintlich harmlos

Wer heute mit Bildern oder Aktionen gegen Populismus oder autoritäre Tendenzen zu Felde zieht, muss sich recht schnell den Vorwurf gefallen lassen, selbstgerecht moralische Überlegenheit zu beanspruchen. Oder in einer abgeschotteten Kunst-Blase zu Gleichgesinnten zu predigen. Oder ästhetische Einfallslosigkeit durch „Botschaften“ zu kaschieren.

Diese Kritik, wenngleich stellenweise berechtigt, lässt allerdings außer Acht, dass politische Statements in vielen Ländern der Welt ein erhebliches Risiko darstellen – und dass das Ringen um freie Meinungsäußerung weiterhin maßgeblich am Territorium der Kunst ausgefochten wird.

Zensur in Japan

Unter drei Wiener Ausstellungen, die diesen Umstand derzeit besonders deutlich vorführen, sticht die Gruppenschau „ Japan Unlimited“ im Freiraum Q21 des MuseumsQuartiers hervor. Offiziell im Rahmen der Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum diplomatischer Beziehungen zwischen Japan und Österreich angesiedelt, wagte es Kurator Marcello Farabegoli, Kunst zu zeigen, die in ihrem Ursprungsland Gegenstand von Zensur war.

Das Korsett der Tabus ist in Japan eng: Fotos nackter Männer (Ryudai Takano) wurden den Zuschauern ebenso wenig ungefiltert zugemutet wie ein Video der Gruppe Chim Pom. In dem ruft eine Menschenmenge zwischen harmlosen Worten auch Begriffe wie „Fukushima“ laut in die Welt: Das Reaktorunglück gehört im offiziellen Japan weiterhin zu jenen Dingen, über die ein Mantel des Schweigens gebreitet wird.

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Japan wird bei uns glorifiziert“, sagt der österreichische Künstler Edgar Honetschläger, der ein Video zu der Schau beisteuerte, in dem japanische Intellektuelle Kritik am Kaisertum üben. „Das würde sofort zensuriert werden“, sagt Honetschläger, der 20 Jahre lang in Tokio lebte. „Ich liebe das Land, aber es wird gern vergessen, wie es in Japan politisch zugeht.“

Dass die Repression den Drang, Tabus anzusprechen, mitunter anfacht, ist dabei ebenso deutlich wie der Umstand, dass Künstlerinnen und Künstler innovative Möglichkeiten finden, Botschaften „unter dem Radar“ durchzuschleusen: So wirken etwa die verdrehten, in Tusche getunkten Fäden und die mit Japanpapier überklebten Fotos, die die Künstlerin Hana Usui in der Schau zeigt, vordergründig schön und zart. Bis man erfährt, dass die Fäden genau die Länge jener Seile haben, mit denen in Japan die Todesstrafe vollstreckt wird und die verunklärten Fotos Zellen von Verurteilten zeigen.

Frage nach dem Glück

Der chilenische Künstler Alfredo Jaar kann heute schon als eine Vaterfigur derart subtil verpackter Protestkunst gelten: 1956 geboren, erlebte Jaar den Militärputsch im Jahr 1973 mit und begann unter dem Regime des Generals Augusto Pinochet mit seinem künstlerischen Schaffen. 1981 musste er in die USA fliehen.

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Gleich hinter dem MuseumsQuartier zeigt die Galerie Hubert Winter derzeit im Rahmen des Galerienfestivals „Curated By“ eine Solo-Ausstellung, die auf Jaars frühes Werk fokussiert (bis 31. Oktober): So affichierte der Künstler ab 1979 die Frage „¿Es usted feliz?“ („Sind Sie glücklich?“) im öffentlichen Raum und stellte Menschen auf der Straße die nur vordergründig harmlose Frage: Denn dass die Repression der Militärdiktatur, die abtrünnige Menschen dauerhaft „verschwinden“ ließ, das individuelle Glück trübte, wollte niemand laut bekennen. Dass die Zeitrechnung nach dem 11. September 1973 – dem Datum des Militärputschs – eine andere war, verarbeitete Jaar auch in einer Reihe von Kalenderblättern, die nach dem schicksalhaften Datum nur noch den 11. September anzeigen.

Land der Reichsbürger

Mit einem anderen Datum des Umbruchs – jenem des Mauerfalls im Jahr 1989 – setzt sich die Künstlerin Henrike Naumann im Belvedere 21 auseinander. Die Künstlerin, 1984 im ostdeutschen Zwickau geboren, stellte sich für ihre Installation „Das Reich“ (bis 12. Jänner 2020) vor, die Bewegung der „Reichsbürger“ hätte nach dem Umbruch die Kontrolle im wiedervereinigten Deutschland übernommen und auch Österreich annektiert.

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Dabei geht Naumann davon aus, dass die rechtsextreme Sub-Szene, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt, sehr wohl an der hedonistischen Kultur der 1990er-Jahre partizipiert: In Naumanns Installation sieht es zunächst aus wie in einem Retro-Möbelhaus, nur einzelne Elemente (ein Trinkhorn, ein Wikingerhelm, ein Gewehr im Schrank) verweisen auf den militanten Subtext.Wie die Künstlerin erzählt, erlebte sie selbst den Möbelhaus-Look der 90er als verbindendes Element nach der Wende: „Da haben sich viele Leute neu eingerichtet und sich solche Raumschiff-Möbel gekauft“, sagt sie. „Das Ankommen im Westen war verbunden mit dieser postmodernen, nicht nachhaltigen Ästhetik.“

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Auf altmodischen Video-Schirmen lässt Naumann nun auch noch zwei Videos laufen – in einem stellt sie sich vor, wie die drei Mitglieder des NSU („nationalsozialistischer Untergrund“) wohl ihre Jugend verbrachten, bevor sie zu rechten Terroristen wurden. In einem anderen Video zeigt Naumann ausgelassene Jugendliche, ebenfalls im Gewand der 90er. Das Video wurde 2012 just auf Ibiza gedreht und heißt „Amnesia“, was einerseits der Name einer bekannten Disco ist, andererseits „Gedächtnisverlust“ bedeutet: Die Frage, wo Vergnügungslust in Verantwortungslosigkeit kippt, hängt über der Szenerie.

Und auch die Frage nach der Signifikanz künstlerischer Statements steht ständig auf der Kippe: Was in einem Moment isoliert und harmlos scheinen mag – ein Bild in einer Ausstellung, ein subtil gesetztes Zeichen im öffentlichen Raum –, kann im nächsten Moment Objekt der Zensur oder Signet politischer Proteste werden. Anschauungsmaterial gibt es genug.