Pianist Igor Levit: „Ein Tweet allein ändert gar nichts“
Der Klaviervirtuose Igor Levit, 1987 in Nischni Novgorod (Russland) geboren, lebt seit 1995 in Deutschland und zählt zu den Besten seines Fachs. Mit den Wiener Philharmonikern gastiert er heute unter Michael Tilson Thomas im Wiener Konzerthaus. Als er das Orchester vergangenen Sommer bei den Salzburger Festspielen unter dem Dirigat von Franz Welser-Möst kennenlernte, dachte er, „so ein Orchester noch nie zuvor gehört zu haben“. Ein Gespräch über Twitter, Wagner und Wirkung und Missbrauch von Musik.
KURIER: Auf Twitter gaben Sie fast täglich Ihrer Ablehnung gegen rechte Strömungen Ausdruck. Warum sind Ihre Meldungen rarer geworden? Vor Kurzem schlug Horst Seehofer vor, Menschen, die in ihre Heimat zurückgeschickt werden, vorher in Gefängnissen unterzubringen. Ist das keinen Tweet wert?
Die App habe ich gelöscht. Denn wenn man sie öffnet, sieht man immer nur die Apokalypse. Mittlerweile ist es ein bösartiges, paranoides, aggressives Trollfeld von einfachen Absolutismen. Auch bei mir hat es zu einer ungesunden Art Aggression geführt. Ich agiere und reagiere, auf Twitter und im realen Leben. Ein Tweet allein ändert gar nichts.
Sie haben Ihr Album „Life“ Ihrem Freund gewidmet, der bei einem Unfall umkam. Hat Ihnen die Musik geholfen?
Mir hat sie nicht geholfen. Sie ist Teil meiner Ausdrucksform, aber den Schmerz hat sie nicht gelindert. Menschen haben geholfen, Gespräche. Wir helfen einander gegenseitig.
Stimmt es, dass Sie sich selber als Flüchtling fühlen?
Als Fremder. Als jemand, dessen Zugehörigkeit infrage gestellt wird.
Wie kam das?
Worte machen Klima. Das steigert eine Sensibilität. Seehofers Worte haben viele Menschen verletzt, Migranten und Nichtmigranten. Übrigens war das Allertraurigste, dass einige Freunde sagten, jemand wie ich sei ja nicht gemeint. Das war verletzend. Wird einer verletzt, werden alle verletzt. Das muss uns allen klar werden.
Sie gaben vor Kurzem ein Beispiel, wie Beethoven die Welt erklären würde. Was kann uns Musik sagen?
Musik allein sagt erst einmal gar nichts. Sie existiert nicht ohne uns Menschen. Ohne den einen, lebendigen Moment. Sie wird erlebt, geliebt, gehasst, gebraucht, benutzt und sie wird auch missbraucht.
Was ist der Einsatz von Beethovens 9. Symphonie als Europahymne?
Es ist ein Beispiel für Gebrauch, aber auch für ein Zeichen des Miteinanders. Dieses Werk erzählt von einer schönsten Utopie. Dass das zur Europahymne wurde, ist ein Geschenk. Aber als sie beim G-20-Treffen gespielt wurde, war es Missbrauch. Da hören sich Staatslenker, von denen viele Demokratie und Mitmenschlichkeit mit Füßen treten, die 9. im Konzert an und draußen herrscht Bürgerkrieg. Das ist schauerlich.
Sie spielen auf Ihrer neuen CD Richard Wagner. Wurde der von den Nazis missbraucht?
Die Frage ist mir zu eng. Ich bin ja als Pianist quasi von den Texten befreit. Manche bezeichnen Wagner als den Erfinder des modernen Antisemitismus. Ich würde da mitgehen. Es gibt Schriften, die sprechen für sich.
Denken Sie daran, wenn Sie Wagner spielen?
Natürlich, aber was soll das? Ich empfinde dabei keinen Ballast. Er ist tot. Ich befinde mich doch in einer total genialen Situation: Wagner kann sich nicht mehr wehren. Ich kann ihn spielen, kontextualisieren und ihn sogar gegen Meyerbeer stellen.
Sie sind regelmäßiger Gast bei den Salzburger Festspielen, seit Markus Hinterhäuser die Intendanz übernommen hat. Was schätzen Sie an diesem Festival?
Worte und Menschen machen Klima. Markus ist jemand, dem ich vertraue. Zu wissen, dass er im Publikum ist, verändert für mich alles. Das ist wie ein Netz, das da ist, auch wenn ich fiele.
Durch die #MeToo-Debatte sind auch im Klassikbetrieb Übergriffe bekannt geworden. Würden Sie bei einem exzellenten Künstler Gnade vor Recht stellen und mit ihm auftreten?
Nein. Ich kann nicht für bestimmte Ideale und Werte streiten, um dann bei der ersten Möglichkeit darauf zu pfeifen.
Sie sind knapp über 30 und zählen zu den besten Pianisten. Gerät man da manchmal in Panik, dass es nicht so bleibt?
Natürlich, aber aus anderen Gründen. Ich habe eine gute Mischung gefunden von Beruf und dem, was für mich am wichtigsten ist. Und das sind Menschen, die ich liebe.
Was wünschen Sie sich?
Ich bin echt schlecht im Wünschen. Hoffnungslos. Ich schenke lieber.