Kultur

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Ein Unterhaltungsmusiker bekommt einen Faschingsorden, und die Wogen gehen hoch.

Dass Andreas Gabalier in München den Karl-Valentin-Orden bekommt, war die Aufregung der letzten Tage. Und in ihr findet jeder sein Eckchen: Man kann sich mitaufregen, dass durch Gabalier das feine Erbe von Valentin in den Schmutz gezogen wird. Man kann sich darüber aufregen, dass die Bild-Zeitung aus dem Blödsinn eine Coverstory macht. Oder, dass der erfolgreichste österreichische Musiker ganz zu Unrecht kritisiert wird (das auf dem alten CD-Cover ist doch ganz wirklich kein Hakenkreuz!).

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Gabalier, dem mit unschöner Regelmäßigkeit Reaktionäres auskommt, kann sich über die Kritik aufregen. Man kann auch selbst die linken Kritiker hässlich und gemein finden.

Oder man kann sich darüber aufregen, dass der sonst Künstlern gegenüber wenig aufgeschlossene H. C. Strache ausgerechnet hier einen Künstler verteidigt.

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Man kann sich auch darüber aufregen, dass sich alle aufregen – denn eigentlich, tief drin, ist es völlig egal, ob Gabalier einen Orden kriegt.

Stopp!

Man kann sich aber auch fragen, warum sich alle so gerne aufregen. Und das bei jeder Gelegenheit. Über ein Mädl mit Zöpfen, das für Umweltschutz ist. Über jeden Satz, den Herbert Kickl sagt. Über diese Heidi Klum und diese Meghan. Über Links oder Rechts. Über Oben und Unten. Über Feministinnen und Machos, über alte Männer und junge Frauen. Über Medienberichte, die nicht der eigenen Meinung entsprechen.

Mitten im Shitstorm

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Zu all dem gibt es im Internet lautstarke Meinungsvertreter, die mit augenscheinlicher Freude wie ein Ballon explodieren, wenn irgendwo ein Nadelstich spürbar ist. Und dann mit der Wucht der Inquisition die Andersdenkenden attackieren. Aufregung gibt es aber selbst dann, wenn man gar nicht weiß, worüber man sich aufregt. Denn Aufregung ist auch ein Ausdruck von Unfähigkeit, Komplexität zu erkennen.

Das zeigte zuletzt Nick Sandmann. Sandmann ist ein US-Schulbub, der eine rote „Make America Great Again“-Kappe aufhatte an dem Tag, an dem er zum Online-Aufreger wurde. Man sieht Sandmann in einem Video grinsen, wie pubertäre Buben das so tun: obergescheit, als wären alle anderen nur Witzfiguren. Ihm unangenehm nahe: Ein Native American (wer Indianer sagt, löst Aufregung aus), der trommelt.

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Der erste Blick ist klar: Da wird ein amerikanischer Ureinwohner von einem arroganten Trump-Fan verarscht. Es folgte: Empörung.

Dann wurde mehr von dem Video bekannt. Und es wurde plötzlich viel komplizierter. Zusammengefasst: Keiner der Beteiligten – dazu gehörte noch eine Gruppe religiöser Extremisten – hat besonders sympathisch gehandelt. Was folgt darauf? Mehr Aufregung. Einige, die Sandmann kritisiert hatten, entschuldigten sich – was wieder eine Gegenwelle der Empörung auslöst.

Und so weiter.

In der Falle

Der perfekte Shitstorm ist das ideale Beispiel für die Falle, in die wir geraten sind: Es ist ein völliges Nicht-Ereignis. Ein paar Leute mögen einander nicht. Soll sein.

Die große, auch gesellschaftliche Herausforderung der nächsten Jahre wird sein, wie man mit derartigen aufgeladenen Nichtgeschichten umzugehen lernt. Das ist leider schwierig. Denn die Aufregungslogik der öffentlichen Debatte setzte sich aus verschiedenen Puzzleteilen zusammen, die perfekt ineinander passen.

Da ist einerseits die Belohnungsmaschinerie für Aufregung im Internet. Wer sich auf den sozialen Medien durchsetzen will, muss zuspitzen. Seine Meinung, seinen Humor, seine Art, Wäsche zu falten (ja, das ist seit TV-Chefaufräumerin Marie Kondo ein Ding). Das führt zu einer Verschärfungsspirale: Wer für den scharfen Tweet mit vielen Likes belohnt wird, wird den nächsten vielleicht noch pfeffriger formulieren. Was dazu führt, dass das Gegenüber mit etwas noch Härterem zurückschlägt. Wie das endet, sieht man tagtäglich auf Twitter.

Das weiß auch Gabalier: Seine wohlgesetzten Äußerungen bedienen diesen Empörungswillen. Und auch die Politik funktioniert großflächig nur so: Wer die Empörung auf seiner Seite hat, hat gewonnen, auch wenn es völlig unwichtig ist.

Aufregung klickt gut

Der andere Faktor in der Aufregungslogik ist, dass viele Medien durch sinkende Reichweiten geschwächt sind. Und im Internet plötzlich mit Nutzerdaten konfrontiert sind, die sie nicht interpretieren können.

Denn was lässt sich für den unter Druck geratenen Medienmacher daraus lernen, dass Storys über Flüchtlinge, die FPÖ, Frauenmorde und peinliche Stars besonders gut klicken? Dafür vielleicht Opernkritiken, Klimaschutz-Analysen und China-Reportagen nicht? Für viele Medien ergibt das: Wir machen mehr vom Ersten und weniger vom Zweiten. Auch hier beginnt eine Spirale: Dass Aufregung funktioniert, führt zu mehr Aufregung.

Und auch der Konsument ist derzeit orientierungslos: Wer etwa den leisen Verdacht hat, dass Flüchtlinge den ganzen Tag vergewaltigen und rauben, kann selbst den ganzen Tag nach derartigen Geschichten im Internet suchen. Und so seine Aufgeregtheit hochschaukeln – wie der Pornokonsument, der nach dem immer härteren Kick sucht.

Und jetzt?

Das alles zusammen führt zu etwas Fatalem: Zum Verlust der Mittenwahrnehmung. Es gibt sie natürlich noch, die gemäßigte, vielleicht sogar unaufgeregte Mitte, deren Blick auf das alles vernunftgeprägt oder zumindest distanziert ist. Nur kommt die nicht vor: Sowohl die sozialen Medien als auch die professionellen können die Mitte nicht abbilden, weil diese keinen aufregt. Die Mitte wird hier niedergeschrien von jenen, die das Mikrofon in der Hand halten und in dieses hineinbrüllen, dass sie ihre Meinung gar nicht mehr äußern dürfen.

Was also tun? Das Wichtigste liegt wohl, auch wenn das fad ist, bei jedem Einzelnen. Sich die Frage zu stellen, ob man in diesem Empörungsspiel mitmachen will. Ob man den Aufreger mit allen Freunden teilen muss. Ob man den nächsten Klick vielleicht einem Artikel widmet, der einen bereichert, und nicht empört. Ob man aus den sozialen Medien aussteigen sollte. Ob man irgendeinen Orden an irgendeinen Unterhaltungsmusiker nicht einfach durchwinken kann.

„Empört Euch!“, schrieb Stéphane Hessel in seinem berühmten Essay 2010. Mit 2020 in Sichtweite muss man sagen: Genug jetzt.

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Wer war Karl Valentin?

Der Münchner Humorist Karl Valentin (1882-1948) ist ein Gigant des Humors, vor allem jener Spielart, die vom Umgang mit Sprache lebt – und die mit jeder Pointe auch dunkle Töne mitschwingen lässt. Er beeinflusste Generationen an Komikern.

Der Orden

Die Münchner Faschingsgesellschaft Narrhalla verleiht die Auszeichnung seit 1972. Träger sind unter anderen der emeritierte Papst Benedikt XVI. und Heino.