SWR-Intendant Gniffke: "Muss egal sein, was ORF-Chef politisch denkt"
Eine sich wandelnde Mediennutzung und starke Konkurrenz durch Plattformen aus Übersee setzen öffentlich-rechtliche Medienunternehmen in Europa unter Druck. SWR-Intendant Kai Gniffke will daher die zweitgrößte ARD-Anstalt digitaler positionieren und stärker vernetzen, wie er im APA-Interview erklärt. Dem ORF wünscht er digitale Entfesselung und eine Generaldirektorenwahl, bei der auf Kompetenz und nicht politische Präferenz geachtet wird.
"Wir müssen uns vernetzen, sonst gehen wir unter", meint Gniffke in Hinblick auf die Konkurrenz durch Netflix, Amazon, Spotify und Co. Das geschehe soeben mit dem ZDF im Bereich der Mediatheken. "ARD und ZDF werden eine gemeinsame Suchfunktion, eine gemeinsame Empfehlungslogik und einen gemeinsamen Player haben. Und wir werden die Nutzungsdaten, die ausgewertet werden dürfen - das digitale Gold - miteinander teilen", kündigt der 61-Jährige an. Damit wolle man den Streaminganbietern "unseren heißen Atem im Nacken spüren lassen". Die publizistische Vielfalt solle jedoch erhalten bleiben.
Längerfristig wünsche er sich, dass aus bestehenden Ansätzen eine europäische Infrastruktur entstehe. Dabei dürfe es keine Tabus geben. "Bei 'Babylon Berlin', einer der erfolgreichsten Produktionen der ARD überhaupt, arbeiteten wir mit kommerziellen Videoanbietern zusammen und teilten uns die Rechte. Die Ansprechpartner erster Wahl sind aber die öffentlich-rechtlichen Anbieter", so Gniffke, der den SWR seit 2019 führt. Auch eine Kooperation mit dem ORF sei denkbar, wenngleich dieser aufgrund des ORF-Gesetzes derzeit im digitalen Raum mit Einschränkungen zu kämpfen habe. "Ich kann den ORF nicht in den Wettbewerb mit Amazon schicken und ihm gleichzeitig die Füße zusammenknoten", plädiert der SWR-Intendant für eine angepasste österreichische Mediengesetzgebung.
Natürlich erreiche man das Publikum am liebsten auf den eigenen Plattformen. "Aber ich weiß, dass sich viele Menschen im Instagram- und Facebook-Kosmos bewegen. Und wenn sie uns dort erwarten, dann haben wir ihnen dort gefälligst auch unsere qualitativen journalistischen Inhalte anzubieten", sagt der langjährige Erste Chefredakteur von ARD-Aktuell und somit auch der "Tagesschau". Nicht zuletzt mit dem Instagram-Projekt "Ich bin Sophie Scholl", das mit "relevantem, historischem Content 900.000 Menschen zu Abonnenten gemacht hat", habe man bereits zeigen können, dass soziale Medien, relevante Inhalte und guter Journalismus zusammenpassten.
Ermöglicht werden derartige Projekte unter anderem dadurch, dass Ressourcenströme in Richtung digitaler Plattformen gelenkt werden. Damit komme es zu Veränderungen im linearen Programm. "Das muss aber nicht damit einhergehen, dass man schlechter wird. Wir müssen anders arbeiten. Wenn wir im Linearen alles so lassen, wie es ist, schaffen wir den notwendigen Wandel einfach nicht." Nicht geplant sei, Mitarbeiter sowohl im Fernseh-, Radio- und Text-Bereich als auch für die Betreuung der sozialen Medien einzusetzen. "Ich habe noch nie etwas von der eierlegenden Wollmilchsau gehalten."
Wenig hält er auch davon, sollte eine Partei - wie derzeit möglich - via Stiftungsrat den künftigen ORF-Generaldirektor praktisch im Alleingang bestimmen können. "Ohne Wenn und Aber: Das ist nicht mehr zeitgemäß, und ich erachte es als problematisch. Parteien spielen bei der Besetzung der öffentlich-rechtlichen Positionen zu Recht eine Rolle. Das ist auch in Deutschland so. Aber niemals in einem Ausmaß, das einer Partei erlaubt, durchzumarschieren und den Generaldirektor zu bestimmen. Da gibt es Checks and Balances", so Gniffke.
"Ich würde jedem, der bei der Besetzung des ORF eine Rolle spielt, raten, darauf zu schauen, wer ein guter Medienmanager ist", sagt der Grimme-Online-Award-Preisträger. Gerade in diesen Zeiten brauche man kluge Menschen an der Spitze. "Was diese politisch denken oder wählen, muss egal sein."
Die Vorstellung, dass der ORF mit der Besetzung der Generaldirektion plötzlich in die eine oder andere Richtung tendieren würde, erachtet Gniffke als "einfach nur naiv". "Das wird so nicht sein. Dafür kenne ich zu viele Kolleginnen und Kollegen beim ORF, die ihre Arbeit äußerst professionell machen. Aber ich weiß auch, dass es in der Politik nochmal eine andere Denkweise gibt. Manchmal wollen sie jemanden von ihrer Gnaden einsetzen, nur weil sie die Macht dazu haben. Es ist - wenn es nicht so ernst wäre - wie ein Spiel: Wer setzt sich durch bei der Besetzung?"
Wer sich durchsetzt, spielt mitunter auch bei Anträgen auf Rundfunkgebührenerhöhungen eine Rolle. "Das Beitragsverfahren alle vier Jahre ist immer ein Anlass, sich kritisch mit der Arbeit der öffentlich-rechtlichen Anbieter auseinanderzusetzen. Es ist kein Spaß, jedes Mal wieder argumentieren zu müssen. Aber ich stelle mich dieser Herausforderung aus Überzeugung, weil diese Form der Finanzierung der Garant unserer Unabhängigkeit ist", sagt Gniffke.
Und wie überzeugt man heutzutage Menschen von der Rundfunkgebühr? Man müsse mit ihnen reden und erklären, dass ein von wirtschaftlichen und politischen Einflüssen unabhängiges Medium notwendiger denn je sei, meint der SWR-Intendant. "Angesichts der Flut an Medienangeboten, die niemand mehr beherrschen kann, werden Leute immer einen Dienstleister haben wollen, der ihnen beim Sortieren von Informationen hilft. Sie sollen wissen, es gibt einen Anbieter, der unabhängig ist und ethischen sowie handwerklichen Standards folgt", wirbt der SWR-Intendant für sein Medienhaus.
Als dessen Aufgabe erachtet er es auch, die Kluft in der Gesellschaft möglichst klein zu halten. "Nicht alle sollen das Gleiche denken. Aber wir müssen im Gespräch bleiben und den Dialog aufrechterhalten." Dabei wolle man stilbildend sein und starte spätestens Anfang 2022 ein Dialogforum. "Dabei treten wir nicht nur selbst mit den Leuten in Kontakt, sondern bringen Menschen unterschiedlicher Auffassung ins Gespräch", erklärt Gniffke. Geplant sei zudem bis Ende seiner Funktion als Intendant 2024, jeden zweiten jungen Menschen im Südwesten Deutschlands mindestens einmal am Tag mit einem Angebot zu erreichen: "Das schaffen wir im Moment definitiv nicht."