Redakteure fordern "glaubwürdigen Neustart" für ORF
Von Christoph Silber
Ein "Weiter so wie bisher ist nicht akzeptabel". Das stellt der ORF-Redaktionsausschuss nach seiner Herbsttagung in einer am Mittwoch veröffentlichten Resolution klar. Damit reagiert man auf das Bekanntwerden der Chats zwischen dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und dem vormaligen blauen Stiftungsratsvorsitzenden Norbert Steger sowie auf den Austausch zwischen Strache und dem inzwischen zurückgetretenen ORF-TV-Chefredakteur Matthias Schrom. Diese würden ein "furchtbares Bild" vom ORF und seiner Mitarbeiter geben. Der Redaktionsausschuss fordert deshalb eine "offene Diskussion" über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einen "glaubwürdigen Neustart" ein. "Der ORF darf nicht Spielball von politischen und wirtschaftlichen Interessen sein", heißt es in der Resolution.
Keine Regierungsmehrheit mehr
Die ORF-Journalisten-Vertreter verlangen deshalb gesetzliche Neuregelungen bei Gremien, Finanzierung und Möglichkeiten der Digitalisierung ein.
Ein Ziel dessen ist, dass im Stiftungsrat nicht automatisch die Regierungsparteien die Mehrheit haben. Für die Besetzungen im obersten ORF-Aufsichtsgremium solle es eine öffentliche Ausschreibung mit klaren Kriterien sowie Hearings aller Bewerbenden geben.
Gegen "Fesseln"
Zudem stellen sich die ORF-Redakteure gegen die "strengen Fesseln" des Gesetzes im Internet-Bereich. So will man etwa künftig auch Online-Only und Online-First-Inhalte produzieren dürfen.
"Weiters muss sichergestellt werden, dass es eine möglichst partei- und regierungs-unabhängige Form der Finanzierung" gibt, heißt es in der Petition unter Verweis auf den jüngsten Spruch des Verfassungsgerichtshofes, der auch Nutzer von ORF-Online-Inhalten mit der Gebührenpflicht belegt. "Welche künftige Finanzierungsform auch gewählt wird: sie muss wertgesichert sein und darf nicht ein verdecktes Abwürgen von Sendern und Programm über den Umweg der hohen Inflation bedeuten."
Kritik von Räten
Vom Stiftungsrat her gibt es inzwischen aber Gegenwind. So machte SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer sie in einem Gastkommentar im Mittwoch-KURIER für den Reputationsverlust des ORF durch „Selbstgeißelung“ mitverantwortlich. Er fordert „gründliche Aufarbeitung und Konsequenzen“ und er will „mehr die Interessen des Publikums in den Vordergrund stellen.“
Eine Reform des 35-köpfigen Stiftungsrates, bei der auch noch die Interessen der Bundesländer zu berücksichtigen wären, dürfte nicht so schnell kommen. Diese „steht nicht im Regierungsprogramm und deshalb nicht zur Debatte“, sagte Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) im ORF-„Report“. Und: „Ich glaube sehr wohl, dass der Stiftungsrat eine unabhängige Aufgabe wahrnimmt und so auch wirkt.“ Gleiches gilt für sie auch für die Arbeit der Journalisten.
Auf Regierungsebene gearbeitet wird laut Raab derzeit an der ORF-Digitalnovelle sowie „an einer Haushalts … äh, äh …reform, einer Finanzierungsreform des ORF“, so Raab. Ihr Stammeln nährt Spekulationen über die mögliche Einführung einer Haushaltsabgabe. Eine Neuregelung der ORF-Finanzierung ist nach dem Spruch des Verfassungsgerichtshofes, dass die Streaming-Lücke bis Anfang 2024 zu schließen ist, jedenfalls geboten. Von politischer Seite gilt dem Vernehmen nach, dass es für ORF-Zahler billiger werden muss. Eine Neuregelung muss zuvor aber von der EU geprüft werden, was etwa ein Jahr dauert.
ORF unter Druck
(Der folgende Abschnitt wurde ergänzt und zum Teil korrigiert).
Das erhöht den Zeit- und den wirtschaftlichen Druck auf den seit Jahren auf Sparkurs befindlichen ORF. Immerhin: Laut internen Bericht zum 3. Quartal 2022 strebt man weiter nach der schwarzen Bilanz-Null. Prognostiziert ist derzeit ein Minus für 2022 von nur noch vier Millionen. Hauptgrund dafür sind höhere Werbeeinnahmen als erwartet. Die Sachkosten liegen aufs Jahr gerechnet 22 Millionen (Q3: 3,7 Mio.) über Plan, die Personalkosten bei zwölf Millionen (Q3: 5,9 Mio.) über Plan.
Die Aussichten für 2023 sind nicht rosig: Die Werbekonjunktur trübt sich ein, höhere Lebenskosten führen zu mehr Gebührenbefreiungen und Abmeldungen, was jeweils zu Zig-Millionen-Ausfällen führt. Die Kosten steigen durch die Inflation auch für den ORF, was durch die jüngste Gebührenerhöhung nicht abgedeckt werden kann. Das schürt Ängste vor einem nächsten Sparprogramm samt Personalabbau.