Die neue Landesgalerie: In diesem Salon ist Niederösterreich
„Ich bin alles zugleich – aber niemals werd ich alles zu gleicher Zeit tun.“
Diese Zeilen brachte Egon Schiele 1910 zu Papier, das Dokument ist nun im ersten Stock der Landesgalerie Niederösterreich ausgestellt.
Anders als Schiele muss die Institution ziemlich vieles zu gleicher Zeit tun: Die Kunstsammlungen des Landes präsentieren, Touristen und Einheimischen einen Ort zur Kontemplation bieten, auch kunstferne Leute „abholen“ und dabei auf Höhe der Zeit bleiben.
Der verdrehte Kubus, den die Architekten Marte.Marte an der Kremser Kunstmeile planten, soll die Orgel sein, die all diese Stückerln spielt. Und wie es bei Instrumenten so ist, brauchen sie Zeit, bis sie eingespielt sind: Das Haus brilliert mit seinem Eröffnungsprogramm noch nicht in allen Tonlagen, hier und da sind Dissonanzen zu vernehmen.
Die Landeskunstorgel
Der eingangs zitierte Schiele-Slogan ist (leider) auch nicht das programmatische Motto. Er öffnet bloß den Weg in eine der Sammlungspräsentationen, die der künstlerische Leiter Christian Bauer zusammengestellt hat: Er verspricht einen Parcours zur „Selbstdarstellung von Schiele bis heute“, ein breites Feld. Erwin Wurm ist dabei, Jonathan Meese, Arnulf Rainer und viele mehr.
Dass Bauer, ein ausgewiesener Schiele-Fachmann, im Vorfeld der Schau einen bislang unbekannten Brief ausgegraben hat, der für die Idee der Selbstdarstellung und Maskerade im Werk Schieles aufschlussreich ist, geht da fast unter. Und dabei offenbart sich ein generelles Problem der Kremser Landeskunstorgel, das eher ausstellungstechnischer als inhaltlicher Natur ist: Der Wechsel zwischen großen Schauerlebnissen und intimen Begegnungen und die Schaffung atmosphärischer Situationen mag nicht so recht gelingen.
Alles offen
Das Konzept von Bauer und Kurator Günther Oberhollenzer sieht vor, dass die Drehung des Gebäudes auch im Inneren spürbar sein sollte – und dass Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit haben sollten, sich selbst ihren Weg durch die Ausstellungen zu bahnen.
Die Einbauwände, die errichtet wurden, um Hängefläche für Bilder zu schaffen, decken die Wandschrägen aber fast überall zu. Wo sie blank liegen, wirkt der Raum nur selten großzügig. Dass oberhalb der Stellwände Schienen verlaufen, die neben Leuchten auch noch Video-Beamer und Notausgangsschilder halten müssen, verstärkt die Unruhe in diesen Sälen, die zudem – bei allem Respekt für Konservierung – mehr Licht vertragen könnten. Es ist weniger eine Frage der Architektur als der Inszenierung, letztere riecht nach Kompromiss.
Auch die selbstständige Orientierung wird nicht durchgezogen: Die riesenhaften Stichwörter, die einzelne Stellwände zieren, drücken dem Publikum erst recht ein Interpretationsraster aufs Auge. So darf man sich im ersten Stock fragen, was an einzelnen Werken „politisch“, „künstlerhaft“ oder „verschwindend“ ist. In der nach demselben Muster gebauten Schau „Sehnsuchtsräume“, die Oberhollenzer im 2. Stock kuratierte, sind diverse Landschaftsbilder wahlweise „romantisch“, „konditioniert“ oder „malerisch“.
Bei Tageslicht
Die zwei Künstler, die Solo-Präsentationen zeigen, haben es da vergleichsweise leicht. Heinz Cibulka kann im Obergeschoß, das auch Aussichts- und Erholungsplatz ist, seine Fotos vom ländlichen Leben präsentieren, die sich ganz natürlich mit dem Donau-Panorama verbinden. Und Renate Bertlmann schuf im Erdgeschoß einen reduzierten, fast sakralen Raum mit einer Urnenwand und einer Art Grabkammer im Zentrum. Hier offenbart sich die Praxis der Biennale-Vertreterin, Elemente der Volksfrömmigkeit für teils intime Botschaften umzudeuten – wer einen bloßen musealen Rückblick erwartete, wird eines Besseren belehrt.
Dort dicht, da leer
Museal ist dagegen das Untergeschoß‚ wo eine Schau die beachtliche Sammlung des legendären Wiener Wirts und „Selfmade-Man“ Franz Hauer teilweise rekonstruiert. Preziosen von Egger-Lienz, Schiele und Kokoschka sind hier versammelt, die Werke sind großartig – doch während die Sammlungsausstellungen oben zu gedrängt wirken, wundert man sich im großen Saal über leere Flächen, an die man sich etwas mehr Dokumentation zur spannenden Geschichte von Hauer und seiner Sammlung gewünscht hätte.
Partitur und Orgel, Kunst und Raum harmonieren also noch nicht hundertprozentig. Was nicht heißt, dass die großen Symphonien nicht noch kommen.
INFO: Die Eröffnung am 25. und 26. Mai
Am Samstag um 10 Uhr wird die Landesgalerie NÖ bei einem Festakt für geladene Gäste eröffnet. Von 14 bis 22 Uhr steht das Haus dann dem Publikum offen. Am Sonntag, 26.5., ist es von 9 bis 19 Uhr geöffnet.
Der Eintritt an den Eröffnungstagen ist frei. Danach wird das Haus von Di – So von 10 bis 18 Uhr geöffnet sein (November bis Februar 10 – 17 Uhr). Erwachsene zahlen 10 €, Schüler 3,50 €, Studierende und Senioren 9 €.