... und wieder 19 Bücher, ganz kurz
Von Peter Pisa
Auch alle Drachen sind nachts grau
In der Nacht sind nicht nur alle Katzen grau – soll heißen, es verschwimmen die Unterschiede. Auch Drachen können im Finstern leicht verwechselt werden. Davon erzählt der Belgier Leo Timmers in Bildern :
„Wo steckt der Drache?“ Drei Ritter gehen, vom König losgeschickt, auf Jagd – und irren gewaltig. Was gut ist, denn so bleiben alle am Leben, der Drache und die Ritter. Es gibt viel zu entdecken.
Die Zeichnung oben stammt aus dem Buch.
Leo Timmers: "Wo steckt der Drache?" Übersetzt von Eva Schweikart. Aracari Verlag. 40 Seiten. 14,50 Euro
KURIER-Wertung: ****
Doppelmoral im Haus der Freuden
Dokumentation der Doppelmoral anno 1908, als Marie Veith seit ihrem 14. Jahr einigen Richtern, Staatsanwälten, auch dem Polizeipräsidenten ... in Häusern der Freude zu Dienste war. Im Prozess in Wien wurde auf die Kunde (= Cavaliere) als Zeugen verzichtet. Marie beging Selbstmord. Die Collage aus Archivmaterial ist eine trockene Angelegenheit, aber das passt.
Walter Schübler:
„Komteß Mizzi“
Wallstein Verlag.
256 Seiten.
25,70 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Erinnerung an Richter Kremzow
Kremzow hieß der gierige Richter, der in Frühpension einen befreundeten Anwalt erschossen hat. Unglaublich, dass erst jetzt – nach seinem Tod – ein erster Roman an ihn denken lässt. Autor Dietmar Steinbrenner ist Internist. Weniger die Psyche nahm er sich vor, mehr sein Tun. Diabolisch genug. Wenn Karl Markovics Kremzow spielen würde, wär’s überhaupt der Horror ...
Übrigens: Friedrich Flendrovsky war ein junger Rechtsanwalt, als seine Kanzlei Mitte der 1960er Jahre an einem Verlassenschaftsverfahren beteiligt war. Kremzow war damals Richter im Bezirksgericht Wien - Innere Stadt.
Flendrovsky erinnert sich: "In dieser Verlassenschaft gab es eine Briefmarkensammlung mit weit mehr als einer Million Stück Marken, die sich in einem Safe in der Postsparkasse befand. Dr. Kremzow ließ den Safe öffnen und bestellte dann einen Sachverständigen aus dem Gebiet Briefmarken mit dem Auftrag, alle cirka 1,2 Millionen Briefmarken einzeln zu registrieren und zu bewerten, obwohgl der Großteil der Marken Kiloware war, das bedeutet im Händlerjargon: Das waren verschiedene einzelne Briefmarken, die nahezu wertlos sind und in Kuverts nach Gewicht verkauft werden.
Geht man von 1,2 Millionen Briefmarken aus, fernen davon, dass ein Sachverständiger im Tresorraum der Postsparkasse vielleicht 100 Marken am Tag registrieren, beschreiben und bewerten könnte, so hätte dieser Sachverständige für diese Arbeit mehr als 30 Jahre gebraucht. Freilich fand sich kein Sachverständiger, der bereit gewesen wäre, sich diesem Gerichtsauftrag zu unterziehen. In der Zwischenzeit hob das Landesgericht für Zivilrechtssachen als Rekursgericht auf Grund von Rechtsmitteln aller Beteiligter den Kremzow-Beschluss auf.
Ein völlig gefühlloser Jurist, äußerst sparsam: So pflegte er zu Mittag einen Kanzleiangestellten in die nächste Greißlerei zu schicken, der genau darauf zu achten hatte, dass nicht mehr als drei Blätter Extrawurst in der Semmel waren. Wenn zu viel Wurst in den Semmel war, verweigerte er die Zahlung. und der arme Kanztleibeamte musste dies nun aus der eigenen Tasche zahlen."
Da bahnt sich - hoffentlich - ein neues Buch an, diesmal von Flendrovsky!
Dietmar Steinbrenner:
„Gier auf der Waagschale“
Leykam Verlag.
144 Seiten.
19,90 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Gefährlich sind Aha und Naja
Es sind kleine, unscheinbare Wörter, die so gfeanzt, so gerissen sind, dass man’s oft gar nicht merkt. „Aha“ zum Beispiel. Das kann alles bedeuten. Oder „jedenfalls“: Es würgt alles ab. „Leider“ kann ziemlich unaufrichtig sein usw. Dieses Büchlein ist EIGENTLICH ein Heft, und das ist ÜBRIGENS schade, weil Sprache immer spannender ist als Donna Leon. NAJA.
Elisabeth Schawerda und
Sylvia Zwettler-Otte:
„Gefährliche kleine Wörter“
Verlag Der Apfel.
60 Seiten. 14 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Das Paradies nach Dantes Hölle
Zwei g’scheite Leute im Gespräch. Ferdinand von Schirach rechnet nach der Krise, dass die Globalisierung etwas zurückgedreht wird. Und hofft auf eine europäische Verfassung, in der ein echter Anspruch der Menschen auf eine intakte Umwelt festgeschrieben wird: „Wären das, nach dem Gang durch die Hölle, nicht Dantes Sterne?“ Zum Zuhören; und danach zum Mitreden.
Ferdinand von Schirach
und Alexander Kluge:
„Trotzdem“
Luchterhand Verlag.
80 Seiten. 8,30 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Wie der Forscher Käfer ködert
Frage an einen Insektenforscher: Woher bekommen Sie die vielen Käfer? Wie ködern Sie die? – „Mit Scheiße. Mit menschlicher, weil die besonders stark riecht ...“ US-Journalist MacNeal besucht Wissenschafter. Und Insekten. Sie können für Hungersnot verantwortlich sein, aber von ihnen hängt unser Leben ab. Flott geschriebene Reise zu den „wahren Herrschern“.
David MacNeal:
„Planet der Insekten“
Übersetzt von Matthias Frings.
Aufbau Verlag.
363 Seiten. 24,70 Euro
KURIER-Wertung: ****
Mama ist das gewisse Etwas
Constanze Dennig ist Psychiaterin, und schau dir was an: Ihre Heldin Alma Liebekind ist das auch. Vierter Krimi: Sie liegt im Spital und bemerkt Seltsames. Es gibt Ehrenmord und Kinderwunsch, man hört Wienerisches und Latein, die Mutter der Heldin, 85 ist sie, ist das gewisse Etwas der Serie. Und den Zweifel, dass es Nächstenliebe gar nicht gibt, den gibt es leider auch.
Constanze Dennig:
„Verkauft“
Ueberreuter Verlag.
256 Seiten.
15 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Erstausgabe nach 90 Jahren
Sie förderte Elias Canetti, und er hat sie als Dank – vergessen. Alle haben Maria Lazar vergessen, bis auf den DVB Verlag, der ihre Romane ausgräbt. „Leben verboten!“ (1932) erscheint als deutsche Erstausgabe! Der Roman bietet einen Bankier mit falscher Identität, vor allem aber: viel österreichische Krise der Zwischenkriegszeit. Lieblingssatz: „Ich glaube jedem, der sich aufs Lügen versteht.“
Maria Lazar:
„Leben verboten!“
Herausgegeben von
Johann Sonnleitner. DVB Verlag
380 Seiten. 26 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Etwas Ablenkung im Irrenhaus
Die Amerikaner Wheeler/Webb schrieben ab 1936 unter Pseudonym eine beliebte Serie. Ein Broadway-Produzent trinkt sich nach dem Tod seiner Frau fast tot, lässt sich in einer Privatklinik behandeln, es geschieht – 1. Band – ein „Mord im Irrenhaus“. Unspektakulär gut. „Wenn Menschen nervös sind, muss man sie ablenken“ (Seite 93). Das macht dieser alte Roman.
Patrick Quentin:
„Mord im Irrenhaus“
Übersetzt von Susann Rehlein
und Alfred Dunkel. Atrium Verlag.
272 Seiten. 20,90 Euro
KURIER-Wertung: ****
Ein Wichtelzopf ist eine gute G'schichte
Ein Historiker, spezialisiert darauf, Abseitiges zu entdecken. Also abseits des Weges zu schauen. So spannend ist das, man will unverzüglich selbst auf der Straße und vor allem in Archiven suchen. Denn über die Wichtelzopfkommission, den Blitzableiter am Stephansturm und sogar übers Haus Reinprechtsdorfer Straße 31 lassen sich gute Geschichten schreiben.
Anton Tantner:
„Von Straßenlaternen und Wanderdünen“
Mandelbaum Verlag.
160 Seiten. 19 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Das Kraut nahm die Eisenbahn
Behauptet jemand, Pflanzen können sich nicht bewegen? Sie reisen mit dem Wind, auf Tieren, auch mit der Eisenbahn stillen sie ihren starken Expansionsdrang: Samen des Felsen-Greiskrauts ließen sich durch Luftbewegungen entlang einer Eisenbahnlinie langsam von Sizilien nach Schottland tragen. Behauptet jemand, Pflanzen fehlt die Intelligenz?
Stefano Mancuso:
„Die unglaubliche Reise
der Pflanzen“ übersetzt von
Andreas Thomsen. Klett-Cotta.
154 Seiten. 22,70 Euro
KURIER-Wertung:*** und ein halber Stern
Führerschein für Wähler
Man stelle sich einen Politologen vor, der sich über die Politiker mit ihrem Populismus und Nationalismus so ärgert, dass er eine eigene Partei gründet. Gutes will er tun – und schafft eine Diktatur, in der nur (ihn) wählen darf, der eine Wählerführerscheinprüfung absolviert. Ein harter, strenger Roman der Grazerin Astrid Schilcher, der nicht schön sein will, aber warnen.
Astrid Schilcher:
„Der Alpendiktator und Menschenfreund“
Acabus Verlag.
180 Seiten. 13,40 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Wer drrr macht, will nur fressen
Bernhard Wessling ist ein Kranichbewacher und -beobachter im Naturschutzgebiet bei Hamburg. Er mag die Fairness dieser Vögel und, dass sie „um die Ecke“ denken. Ihre Sprache macht er verständlich. prrr heißt: Achtung, aufpassen! Die Antwort drrr heißt: Lass mich in Ruhe weiterfressen. Das Buch besteht aus Erlebnisberichten, so in der Art: „Ich lernte 32 Kranichpaare kennen.“
Bernhard Wessling:
„Der Ruf der Kraniche“
Goldmann Verlag.
416 Seiten.
20,60 Euro
KURIER-Wertung:*** und ein halber Stern
Nachhaltiges aus dem Kloster
Das einzige orthodoxe Kloster Österreichs, Maria Schutz, in St. Andrä am Zicksee (Burgenland) war Inspiration für dieses Buch: Vordergründig wird in diesem rhythmischen, nachhaltigen Text ein verschwundenes Grab gesucht. Aber zum Nachdenken ist: Warum sehen manche, was andere nicht sehen? Und wieso beschäftigen sich die Menschen immer mit dem Unwichtigen?
Martin Franz Neuberger:
„das kloster“
Bibliothek der Provinz.
222 Seiten.
20 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Ein Cumberbatch für 112.000 Euro
Nehmen wir den Schauspieler Cumberbatch: Will man ihn erschaffen, braucht man 59 Elemente, und die kosten 112.000 Euro. Dann kann man mit dem Menschenbasteln beginnen ...Wenn Bill Bryson durch den Körper reist, kommt er von den zehn Millionen Schweißdrüsen bis zur Samenflüssigkeit, die im Durchschnitt 20 cm weit spritzt. Aha. Immer ein Abenteuer.
Bill Bryson:
„Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers“ Übersetzt von Sebastian Vogel.Goldmann
Verlag. 672 Seiten. 24,70 Eur
KURIER-Wertung: ****
Trutscherl hat einen guten Wein
Die Frage ist: Gemma auf ein Flascherl zum Trutscherl in Leutschach. Oder hat der Puff in Kapfenstein offen? Oder trauen wir uns zum (zur) Puff’n nach St. Nikolai im Sausal? Die Hofnamen in der Südsteiermark haben etwas Wienerisches. Gut, dass Ernst Bieber vor der Pension DER Polizeireporter im KURIER war. Wenn einer dafür Erklärungen findet, dann er.
Ernst Bieber:
„Das ,Wunder’ von Leutschach“
Regionalverlag.
236 Seiten. 12 Euro
Auch bei ehemaligen KURIER-Redakteuren entfällt die Wertung
Indianer in Triest
Nach Aquilea fährt man wegen ... wieso wegen der Ausgrabungen? Nein, den Prosecco vom Weingut der Familie Ritter de Zàhony muss man probieren. Steht in Christine Casapicolas drittem Buch mit Geschichten übers Küstenland, als Österreich am Meer lag. Grado, Brioni, Pula ... verraten alte Geheimnisse, und warum 1906 Triest voller Indianer war, steht auch.
Christine Casapicola:
„Wiedersehen im Küstenland“
Edizioni BraitanVerlag.
288 Seiten.
25 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
Gefeiert und danach vergessen
Den Tenor Kurt Equiluz kennt man ja., 90 ist er und fährt im Auto mit Kennzeichen BACH 55. Dallapozza, Kmentt kennt man auch. Aber es gibt viele österreichische Tenöre, die nach 1945 bekannt, beliebt waren und fast vergessen sind. Karl Terkal etwa. Gar nicht zu reden von Sebastian Feiersinger, Hubert Grabner, Werner Krenn ... Das Buch mit den vielen Biografien ehrt sie.
Gregor Hauser:
„Magische Töne – Österreichische Tenöre der Nachkriegszeit“
Verlag Der Apfel.
254 Seiten. 36,80 Euro
KURIER-Wertung:*** und ein halber Stern
Klopapier darf niemals fehlen
Die Einbrecherin wartete, bis sich Frau A. aufs Klo zurückzog. Aber dort war kein Klopapier, Frau A. musste also das Klo vorzeitig verlassen ... Daran sieht man wieder, was wirklich wichtig ist. Jedenfalls wird der Mord im Zinshaus sehr Wienerisch geklärt. Vor allem ging es Autorin Awadalla – Millionengewinnerin bei Assinger – im ersten Krimi um dumme Vorurteile.
El Awadalla:
„Zu viele Putzfrauen“
Milena Verlag.
160 Seiten.
19 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern.
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