Sarah Kuratle schrieb Unmögliches im Rhythmus der Murmeltiere
Von Peter Pisa
Es ist das letzte Dorf im Gebirge, und das Haus ist das letzte Haus im Dorf, und auf dem Bankerl sitzt Greta, die im letzten Haus wohnt und ihrer alten Großtante Severine – im Ort als Hexe verschrien – hilft. Greta stellt sich vor: Ein Zug kommt und hält, und jemand steigt aus.
Jannis steigt aus.
Die Liebe, die es nicht geben darf.
Hänsel und Gretel verlieben sich im Wald / Aber es war finster für sie und die Welt war bitterkalt ...
„Greta und Jannis“, der Debütroman der Österreicherin Sarah Kuratle, ist ungewöhnlich. Er fällt aus der Zeit, in der zum Beispiel dieser Tage der deutsche Autor Timur Vermes einen Roman nur noch aus Satzfetzen gebaut hat („U-Bahn schnell.“ – Absatz. – „Tunnel.“ – Absatz.– „Dunkel.“ – Nächster Absatz)
Whatsapp-Nachrichten sind umfangreicher und bestimmt meist poetischer.
Sarah Kuratle, Jahrgang 1989 und im Salzkammergut aufgewachsen, folgt hingegen dem Rhythmus der Murmeltierpfiffe und Schneeflocken und Regentropfen in den Augen. Die Natur ist höchst präsent. Es dauert, bis man beim Lesen in diesen Rhythmus findet. Dann allerdings wird man feststellen: Das ist etwas sehr Altes und klingt deshalb so neu.
Für später
Als Greta und Jannis noch Kinder waren, konnten sie nicht wissen, dass sie Geschwister sind. Das war das Geheimnis ihrer Familien. Man glaubte, Bruder und Schwester nur zu spielen.
Aber Jannis legte schon damals Küsse für später bereit, wenn beide groß sind und er dann nicht mehr bei Greta ist.
Tatsächlich blieb er in der Stadt und heiratete, und sie zog sich ins letzte Dorf zurück, wo sich Tante Severine um Waisenkinder kümmert. Manchmal fährt Greta zu ihm – „Wenn sie seitlich liegt, hochrutscht, passt Jannis’ Kopf genau zwischen ihre Brust und ihre Hüfte.“
Es ist ein märchenhafter Roman. Zart fließen die Zeiten ineinander, die Kindheit und die Jugend und die Gegenwart, manchmal steht alles im selben verschachtelten Satz. Das ist extrem und schön und eigentlich ein Gedicht über 200 Seiten.
„Greta und Jannis“ hat den Untertitel „Vor acht oder in einhundert Jahren“. Es ist eine zeitlose Geschichte über die Liebe.
Zeitlos, aber einmalig.
Sarah Kuratle: „Greta und Jannis“
Otto Müller Verlag. 229 Seiten. 22 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern