Kultur/Buch

Daniel Wissers "Wir bleiben noch" muss ein Bestseller werden

Das ist die Geschichte (das ist eine Geschichte) von den Sozialdemokraten, die alles falsch machen.

„Aber sie sind anständig geblieben“, sagt Viktor.

„Darum musst auch du bei den Wahlen alles falsch machen und die Sozialdemokraten wählen“, sagt Karoline. Sie wählt grün.

Viktor macht das ganz sicher. Er bezeichnet sich selbst als letzten treuen Sozi. 47 ist er, Geld hat er genug verdient – er will nur noch Bücher lesen und keine Nachrichten hören, wegen der Blauen und Türkisen.

Karoline und Viktor

Viktor erzählt gern.

Seine Ehefrau hat das nicht so gemocht. Er lässt sich sowieso scheiden.

Die Sozialdemokraten hat Viktor gern mit Jimmy Carter verglichen. Soll er’s erzählen? Er muss es jetzt erzählen: Carter war angeln, als sein Boot von einem schwimmenden Hasen verfolgt wurde. Er berichtete davon. Das war falsch von ihm: Er wurde ausgelacht, verspottet, der Washington Post war es die Titelseite wert – Hasen schwimmen nicht. Aber es gibt Fotos! Der Hase schwamm in Todesangst vor Hunden tatsächlich zum Boot.

Egal: Carter = geht gar nicht, Sozialdemokraten = ebenso.

Vor allem ist „Wir bleiben noch“ eine Familiengeschichte, in die man so schnell wie selten hineinfällt. Daniel Wisser (Foto oben) hat einen Schwung drauf, nein, der ist gar nicht österreichisch.

Sofort fühlt man sich wohl – obwohl es in mehreren Ecken des Romans Streit gibt. Nicht aber im Zentrum, bei Viktor und Karoline.

Bei Großmutters 99. Geburtstag in einem niederösterreichischen Dorf hat Viktor nach 30 Jahren Karoline wiedergesehen. Sie ist Ärztin und war lange in Norwegen.

Wahrscheinlich haben sie einander schon als Kinder geliebt. Aber jetzt sagen sie es laut.

Sie sagen es einander auch per SMS. Obwohl Emojis unerträglich sind wie Pulled Pork, schicken sie einander Herz und Kuss, und bei diesen beiden, die so liebevoll und offen und witzig sind, ist das eine Freude zu beobachten.

Großmutter stirbt.

Viktor erbt das Haus.

Er und Karoline werden hier herziehen, heiraten und das Fernsehzimmer ins Victor-Adler-Zimmer umtaufen. Zu Ehren von Oma, Sozialdemokratin bis zuletzt.

ALLERDINGS sind die Mütter von Viktor und Karoline Schwestern. Das bedeutet: Viktor und Karoline sind Cousin und Cousine.

Die Mütter sagen: Warum macht ihr denn so was? Das sei krank, abnorm, und die ÖVP-Familienministerin überlegt, derartige Ehen in Zukunft zu verbieten. (So aktuell ist dieses Buch!)

Die Verwandtschaft fällt auseinander. Es gibt Krieg. War ohnehin schon seit längerem problematisch, zuerst wegen Waldheim, danach „wegen der Ausländer“. Niemand wählt mehr die SPÖ; außer Viktor.

Viktor denkt: Ich kannte meine Leute noch, als sie alle Menschen waren.

„Wir bleiben noch“ wird ein Bestseller.


Daniel
Wisser:
„Wir
bleiben noch“
Luchterhand
Verlag.
480 Seiten.
22,70 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern