Kolumnen

Wo Schatten da auch Sonne

Ich bin seit zwei Jahren Vegetarier. Mit einer Ausnahme. Einmal im Jahr esse ich ein Paprikahendl. Eine ganz seltene Form des Vegetarismus. Ein Bekannter von mir ernährt sich ebenfalls fleischlos. Nur einmal im Jahr isst er eine Salamipizza. Wir treffen uns immer im Jänner zu Huhn & Pizza und leben unsere Inkonsequenz aus. Danach ist der Fleischtank wieder für ein Jahr aufgefüllt.

Der große Nachteil des Vegetarismus ist, dass dieser bei manchen Menschen einen Rechtfertigungsdruck auslöst. „Ich achte beim Fleisch immer auf Bio!“ ist die häufigste Bemerkung. Ich erwarte das nicht. Es gibt Paprikahendl-Vegetarier ohne Missionierungszwang. In meiner Kindheit war ich eine Zeit lang Ministrant. Je häufiger der Priester von der Kanzel rief „Und ich sage euch“ um so weniger Gläubige besetzten die Kirchenbänke. Irgendwann beendete der von Frust gezeichnete Priester die Messe mit den Worten: „Glaubt doch, was ihr wollt!“. In der darauffolgenden Woche war die Kirche wieder voll. Irgendein Teil in unserem Kopf wehrt sich gegen betreutes Denken.

Manchmal ist diese Gedankenfreiheit jedoch auch eine Belastung. Mein Gehirn spuckt mir ständig Standpunkte aus. Zum Elektroauto, zur Inflation, sogar zum Magenbakterium Helicobacter pylori. Ahnungslosigkeit schützt nicht vor Meinung. Deswegen bin ich vermutlich auch kein aktives Mitglied auf Twitter. Ich will mich nicht in zehn Jahren durch das Archiv meiner Irrtümer scrollen. Die verdränge ich lieber.

Eine Schlagzeile in einer deutschen Zeitung machte mir das wieder deutlich. „Grüner Umweltminister feiert Erdgasabkommen mit Katar“. Diese Meldung strotzt vor Widersprüchen. Oder anders gesagt, auch ein deutscher, grüner Umweltminister hat sein Paprikahendl.