Paaradox: Entscheidende Momente
Sie
„Entweder man lebt, oder man ist konsequent“: Ein sehr schöner Satz, der dem wunderbaren Erich Kästner zugeschrieben wird. Er könnte aber auch vom Lebenskünstler nebenan sein, der diversen Freunden zu sehr später Stunde schon oft sein Lust-Prinzip erklärt hat: „Ich will halt alles!“ Die gnä Frau an seiner Seite schließt seinen Gedanken dann meist mit einem Und das am besten möglichst rasch, saftig, medium rare sowie gefällig arrangiert.
Im Schlaraffenland
Stimmt, da schwingt ein Hauch Sarkasmus mit. Aber als Madame Spaßverderberin kann ich gar nicht anders als sein magisches Weltbild vom Schlaraffenland zu korrigieren. Also sage ich dann so blasse Sätze wie Alles geht leider nicht, Schatz. Du musst eine Entscheidung treffen, du bist schon sehr groß! Das gilt fürs Wichtige wie fürs Unwichtige und ist, Sie ahnen es, mitunter sehr schwierig für ihn. Folglich lautet seine Lieblingsantwort auf allerlei Entscheidungsfragen so: „Hm. Blöd. Sag doch du!“ Was aber auch irgendwie Dings ist, weil das, was ich sage, meist für einen Schnoferl-Exzess sorgt. Erst unlängst, als es darum ging, welchen Film wir anschauen könnten. Er so: „Ich weiß auch nicht, komm, sag du.“ Ich schlug ihm daraufhin ein japanisch-koreanisches Drama vor, das mit dem nippon akademī shō ausgezeichnet wurde und reichte, dazu passend, ein paar Grünkohlchips. Sein Gesicht! Ein Mix aus Mega-Schnoferl und sehr viel Ekel. Oder tags zuvor, als es ums Essen ging – er, gähnend, so: „Sorry, keine Idee. Sag du!“ Und ich ihm daraufhin vorschlug, wir könnten den von La Tochter empfohlenen Räuchertofu knusprig anbraten und probieren. Da folgte ein Schnoferl so groß wie die Ortler-Gruppe sowie ein jammriges „Wäh!“ Ja, da werde sogar ich ratlos – und schlage vor, um eine Beschlussfassung zu würfeln. Aber da meint der Mann nebenan nur: „Gott würfelt doch nicht!“ Um, o Wunder, seine Entscheidungen zu verkünden: Einmal „Kill Bill“ und Schnitzi mit viel Ketchup.
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Er
„An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser“. Ein sehr schöner Satz von Charlie Chaplin. Den reibe ich der Liebsten mit Vorliebe unters Näschen, wenn sie wieder einmal hinterher genau weiß, was vorher besser gewesen wäre. Es ist nämlich so: Wenn gnä Kuhn etwas wirklich will, bindet sie mich nur der Ordnung halber in den Prozess der Entscheidungsfindung ein und stellt Fragen wie: Wenn wir heute etwas beim Vietnamesen bestellen, ist das eh ok für Dich, oder? Der Klang ihrer Stimme macht klar: Als Suggestiv-Soubrette ist sie von unerreichtem Glanz, ein Nein meinerseits ist also keine Option. Aber wehe, sie ist sich ihrer Sache nicht sicher, und der Geist möglicher Misstöne schwebt über uns – erst dann werde ich mit der Hoheit zur Richtungsansage ausgestattet. Und sie fragt, ob wir für unseren Ausflug Route A oder doch besser Route B nehmen sollten. Wohl wissend, dass sie – am Ziel angekommen – eines fix niemals sein mag: Schuld an irgendetwas.
Nein, sag‘ du
Daher bieten sich mir zwei Möglichkeiten: Entweder ich wage es, entschlossen und resolut den Weg vorzugeben, dann nehme ich in Anbetracht unvorhersehbarer Ereignisse ihr verlässlich provokant-dezentes Ich hätte und Ich wäre ja in Kauf. Oder ich delegiere als Großmeister der Antizipation taktisch raffiniert die Frage zurück. Das führt mitunter zu Dialogen, wie sie nur in langjährigen Ehen mit dieser Konsequenz vorkommen: Weiß nicht, sag’ du! – Nein, sag’ du! – Nein, du! – Nein, du – Oder du! – Oder du! – Du! – Du! – Gut, ich! – Nein, ich! – Also dann du! – Nein, doch du! Dabei kann es durchaus dauern, ehe es endlich jemandem von uns beiden zu blöd wird. Und so kam es tatsächlich schon öfter vor, dass wir bei der Wahl des Weges, des Filmes, des Essens oder des Urlaubsorts die Würfel (wenn wir nicht diskutiert haben, ob eine Münze besser wäre …) entscheiden ließen. Damit wir im Fall einer Brez’n im Chor sagen können: Das Schicksal ist echt zu deppert für alles.
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