Paaradox: Abgestrudelt
Sie Wenn der Mann nebenan was kann, dann mir den Tag mit seinen Vorträgen versauen. So führt er gerne aus, warum es so wichtig ist, seiner „Leidenschaft“ zu frönen, mit Betonung auf „seiner“. Wenn ich knapp erwidere, dass stundenlanges Löcher-ins-Flat-TV-Starren mit zwischenzeitlichen Nervenzusammenbrüchen ob eines Fehlpasses für mich nicht unter „Leidenschaft“ fällt, ist er indigniert. Ich bringe mich dann selbst als gutes Beispiel: als leidenschaftliche Küchenfee, die fürs Kochen brennt und wenigstens irgendwas Sinnvolles tut. Dazu sagt er nur: Das hat nix mit Leidenschaft zu tun, das ist eine systemrelevante Tätigkeit. Mit System meint er seinen Stoffwechsel und das Gefühl namens Hunger. Dafür tut er alles. Wirklich alles.
Ausziehen!
Erst vor Kurzem, als ich mich an Strudelteig versuchte. Ausziehen!, rief er. Und ich war bereit. Eigentlich dachte ich, ich hätte dafür alles gekauft – dann scheiterte ich am Mehl. Ich besitze Baguettemehl, Knödelmehl und Mehl für Leute, die kein Mehl vertragen. Nur an strudelteigrelevantem Mehl fehlte es. Es schüttete, es war Sonntag. Woher nehmen? Da stand er auch schon vor mir, blickte entschlossen in die Wetterhölle und sagte im Die-hard-Stil: Ich check das. Für Strudel gehe ich auch durch die Hölle. Eine halbe Stunde später kehrte er zerzaust wieder und hielt die Trophäe stolz in Händen: Geschafft. Mehl für dich! Dann sank er wieder ins Sofa, und widmete sich seiner Leidenschaft: Würzburger Kickers gegen SV Meppen. Und plötzlich wünschte ich mir jene Zeit zurück, als der Begriff „Mehl“ auf lautmalerischer Ebene noch wie Musik in meinen Ohren klang. Als es einst auf meinem Computer bimmelte und dieses Feld aufpoppte, in dem stand: You have new Mail. Und ich wusste: Es ist vom Liebsten – und es hat nix mit Essen zu tun.
NEUE TERMINE: 8. 10. Stadtgalerie Mödling; 16. 10. Stalltheater Königstetten; 14.11. Bühne im Hof, St. Pölten; 16.11. Hagenbrunn; 19. 11. Langenlois
E-Mail: gabriele.kuhn@kurier.at
Er Ich erinnere mich noch allzu gut an ein Sommerkonzert im Festsaal der Schule, wo ich als Vater bei einer Innentemperatur von gefühlten 63 Grad stundenlang fröhlich musizierenden Kindern zuhören durfte. Die Tücke der Veranstaltung lag damals im Umstand, dass neun von zehn Musik-Beiträgen auf der Blockflöte inszeniert wurden. Und die Bewältigung dieser klanglichen Herausforderung stand mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben. Also sprach meine Frau keck grinsend: „Ich glaube, ich werde jetzt auch beginnen, Blockflöte zu lernen.“ Dass sie diese Idee niemals zu einer tatsächlichen Leidenschaft werden ließ, erfüllt mich heute noch mit tiefer Dankbarkeit.
Eroberer-Geist
Stattdessen verliert sich gnä Kuhn mehr denn je in den Tiefen der außergewöhnlichen Rezeptliteratur, wovon ich normalerweise als Esser sehr profitiere. Es kann allerdings auch passieren, dass sie plötzlich mit schreckgeweiteten Augen vor mir steht, als müsste sie ein Nacktschnecken-Risotto zaubern. Um mir dann zu erzählen, dass sie ohne Wenn und Aber dieses eine Mehl benötigen würde, andernfalls das Strudelleben keinen Sinn mehr hätte. Es war Sonntag, es schüttete in Strömen, daher wagte ich einen letzten zarten Versuch, das Thema Spezialteig in ein Thema Lass’ uns Pizza bestellen zu transformieren. Vergeblich. Minuten später stand ich bereits ohne Mehl und Tadel im Tankstellen-Shop, wo ich (eh wie angekündigt) nicht fündig wurde. Doch dann kam der Ehrgeiz, und ich versetzte Verwandte, Freunde und Bekannte in Sonntagsverblüffung, mit der Frage: „Habt Ihr zufälligerweise glattes Mehl daheim?“ Meine Motivation: ein Superheld zu werden. Auch eine Leidenschaft. Und was soll ich sagen? Die Mehl-Mission glückte, ich kehrte als Eroberer zurück und verspürte während des stolzen Einzugs Lust auf die Klänge des Triumphmarschs. Meinetwegen auch auf der Blockflöte. Und übrigens: Der Strudel war ein Gedicht.
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