Kolumnen

Chaos de Luxe: Das Leben, eine Teststraße

Ich fühle mich so verboten wie ein Weihwasser-betupfter hyper-katholischer Familienvater im Pornoshop, wenn ich mich wieder in normalem Leben übe.

Wie verrucht, ins Theater zu gehen und einen knackigen Bernhard mit einer fulminanten Mizzi Happel zu sehen! Wie frivol, danach im Gmoa-Keller Veltliner zu bechern und den Kellner wie ein traumatisierter Retriever-Welpen um eine letzte Runde anzuwinseln!

Wie abartig, lange vermisste Freunde an sich drücken zu können, natürlich nur nach einem verschämt geflüsterten „bin geimpft“. Dieser Satz-Partikel wird ja wahrscheinlich auch der Eisbrecher Numero uno im Anbaggergeschehen 2021 und „Kennen wir uns?-Nein?-Wirklich nicht?!-Sie kommen mir so bekannt vor!“ harsch auf den zweiten Platz verweisen.

Ich will nie wieder spazieren gehen, meinen Kleiderschrank Ent-Marie-Kondo-isieren, Zitronentartes backen, die wie Schlachtplatten aussehen, und meine Gewürze nach Schärfegraden ordnen. Unlängst turnte ich durch die Abfallkübel eines Gasthauses in Kaisermühlen. Ich hatte meinen mit stolzer Lässigkeit aus dem Börsel gezückten Impfpass dort in der Euphorie betreuter Nahrungsaufnahme vergessen. Ein Schock, der einen in ein Gefühl allerhöchster Hilflosigkeit katapultiert. Mein Impfpass kannte Erbarmen.

Zwischen Hühnergerippen und Gemüseabfällen leuchtete er mir nach 45 Minuten Kompost-Surfing dann in sattem Gelb entgegen. Ich umarmte ihn unter Gejohle des anwesenden Personals und raunte ihm zu: „Du darfst mich nie wieder verlassen!“ Das Leben in der alt-neuen Normalität kommt also einer einzigen Teststraße gleich und fordert die Situationselastizität ständig. Macht aber auch unglaublich müde. „Die Erschöpfung ist dort am größten“, sagte der dauerermattete Friedrich Nietzsche, „wo am unsinnigsten gearbeitet wird.“ Von unsinniger Arbeit sollte man in jedem Fall mehrere ausgewachsene Elefanten emotionalen Abstand halten.

Pollys „Nymphen in Not“ am 5. 6. in St. Pölten und am 6. 6. im Rabenhof

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