Kolumnen

Chaos de Luxe: Das Glück der Fledermaus-Scheiße

Marrakesch. Mein allererster Chef, er wurde 60 und lebt jetzt dort. Wir feiern in einem prachtvollen Palais aus dem 16. Jahrhundert, bombastisches Dinner mit Tischkärtchen, Pipapo. Der Mann war einst der pure Rock 'n' Roll, wir hatten gemeinsam Deadlines überzogen, dass es nur so rauschte, und auch sonst war Unfug in dieser Redaktion quasi die Voraussetzung für die Mitgliedschaft gewesen. Aber im Reifungsprozess schätzt man ja nicht nur gesetzte Essen, auch bestuhlte Konzerte, Nachmittagsschläfchen und Menschen mit ausgezeichneten Manieren. Während warmherzige Reden geschwungen wurden, kreiste oben, unter den Sonnensegeln, in zirka 30 Meter Höhe mit fröhlichem Speed eine Fledermaus. Während ich das Tier beobachtete und mir den Supergau ausmalte, trat er auch schon ein. Auf mein knallpinkes Festtagstop waren in Höflichkeitsintervallen dicke Tropfen von Fledermaus-Verdauungsunrat geprasselt. Ich versuchte die Katastrophe positiv zu beleuchten. In einer Berber-Parabel-Sammlung fand sich sicherlich irgendwo eine solche Textstelle: „Wenn dir die Königin der Nacht des Tierreichs Tropfen ihrer Scheiße auf kunststofffreier Seide zukommen lässt, dann wird deine Ernte reich und prall sein.“ Dem Himmel sei Dank war ich direkt vom Powershopping zu der Sause gestochen und hatte deswegen einen Reservefummel dabei. Reichlich Ausdruckstanz stand also nichts mehr im Wege und ich dachte mir, dass die Qualität eines Menschen sich auch an der Art seiner Freunde zeigt. Mein früherer Chef muss in den letzten Jahrzehnten tatsächlich ein empathischer Bussibär (wir hatten uns lange aus den Augen verloren) gewesen sein, denn seine Freunde waren durchwegs amüsant und geistreich und frei von jenem Hallo-ich-bin-wer-Beweisgetue, das ansonsten vor allem jene Menschen kennzeichnet, die mit Selbstdarstellungsakrobatik von ihrem inneren Niemandsland abzulenken zu gedenken.

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